Kaum ein anderes Projekt im Programm der neuen Regierung sorgt für derart viel Kontroverse. ÖVP und FPÖ planen ein Arbeitslosengeld "neu", in dem die bisherige Notstandshilfe aufgehen soll. Die Höhe soll mit der Bezugsdauer sinken, außerdem gilt: Je länger jemand Beiträge eingezahlt hat, desto länger darf er die Leistung beziehen.

Der Umbruch wäre massiv. Das Arbeitslosengeld (55 Prozent des bisherigen Nettoeinkommens) wird zwar schon jetzt nur begrenzt ausbezahlt, wobei sich die Bezugsdauer nach der vorherigen Beschäftigungszeit richtet. Doch danach haben Arbeitslose Anspruch auf Notstandshilfe, die 90 bis 95 Prozent des Arbeitslosengeldes beträgt – und diese wird de facto ohne Limit bis zur Pension gewährt.

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Demonstration gegen Hartz IV 2005: Kommt auf Österreich eine Arbeitsmarktreform nach deutschem Muster zu?
Foto: Reuters / Fabrizio Bensch

Wird die Notstandshilfe nun abgeschafft, fällt die Möglichkeit des unbegrenzten Bezuges. Nach Ende der Leistung wären Betroffene, die keine Arbeit finden, auf die Mindestsicherung angewiesen. Diese birgt Nachteile. Da sich die Notstandshilfe wie das Arbeitslosengeld nach dem früheren Einkommen richtet, kann die Leistung bei schlechtem Verdienst sehr niedrig sein. Weniger als bei der Mindestsicherung schaut aber auf keinen Fall heraus, zumal Bezieher auf das Niveau derselben – im Gros der Bundesländer etwa 840 Euro für Einzelpersonen – aufstocken können. Wer gut verdient hat, steigt mit der Notstandshilfe jedenfalls besser aus und würde beim Arbeitslosengeld "neu" verlieren.

Weiterer Nachteil: Wer Mindestsicherung beziehen will, muss das eigene Vermögen bis zu einer Grenze von 4.189 Euro aufbrauchen. Bei Arbeitslosengeld und Notstandshilfe – beides Versicherungsleistungen – gibt es diese Verpflichtung nicht. Wichtige Fragen sind noch offen – schon jetzt wittern Kritiker aber eine Österreichvariante der deutschen Hartz IV-Reform. Lesen Sie hier, was Befürworter und was Gegner der Pläne sagen.

Pro: Was die Befürworter sagen

Als Anreiz für Arbeitslose, rascher und mit mehr Einsatz einen Job zu suchen: So umreißt Wolfgang Mazal, als Berater der ÖVP bei den Koalitionsverhandlungen dabei, das Motiv hinter dem Arbeitslosengeld "neu". Der Arbeitsrechtsprofessor – laut Eigenaussage zwar nicht Architekt, aber Ideengeber für die Reform – sieht einen Denkfehler im derzeitigen System: Zwar sind die Leistungen der Arbeitslosenversicherung im EU-Vergleich nicht üppig, doch dafür bis zur Pension garantiert. Dieses "falsche Signal" lade dazu ein, sich mit einem Leben ohne Erwerb zu arrangieren, sagt Mazal: "Die Motivation zum Arbeiten geht verloren."

Besser mehr Geld, aber dafür nicht so lange

Klüger sei es, sich an Ländern wie Dänemark ein Vorbild zu nehmen. Diese zahlten ein höheres Arbeitslosengeld, aber eben nur für eine eng begrenzte Zeit – ein großer Antrieb für Arbeitslose, flott wieder auf eigene Beine zu kommen, glaubt Mazal. Keine andere Intention stecke hinter den türkis-blauen Plänen, berichtet der Experte: "Solange ich bei den Verhandlungen war, war immer klar, dass die Höhe des Arbeitslosengeldes in der ersten Zeit angehoben werden soll."

Doch warum braucht es danach zusätzlichen Druck auf den Geldbeutel, wo unwilligen Arbeitslosen doch längst die Streichung von Leistungen droht? Wege zum Durchschummeln fänden sich immer, so ein Argument, außerdem lasse langes Nichtstun Menschen geistig und körperlich verfallen. Viele seien dann schlicht und einfach nicht mehr vermittelbar.

Das versteckte Arbeitslosenproblem

Der Hinweis, dass Österreich im EU-Vergleich verhältnismäßig wenige Langzeitarbeitslose aufweist (siehe Gegenargumente rechts), ficht Mazal nicht an. "Wir haben sehr wohl ein Arbeitslosigkeitsproblem", sagt er: "Nur verstecken wir dieses bei den Jungen in langer Ausbildungszeit und bei den Alten in den Frühpensionierungen." Kanzler Kurz argumentiert überdies mit der Gerechtigkeit: Wer Arbeitslosengeld und danach Notstandshilfe erhalten will, muss 52 Wochen in den letzten zwei Jahren gearbeitet haben; dass jemand nach so kurzer Zeit auf Kosten der Allgemeinheit lebe, ohne sein Vermögen ausgeben zu müssen, sei nicht fair.

Notstandshilfe ist oft nicht mehr als Mindestsicherung

Außerdem lässt sich ins Treffen führen: Durch die Reform würden keinesfalls so viele Menschen an Einkommenverlieren, wie Gegner behaupten. 167.000 Menschen haben 2016 Notstandshilfe bezogen, bei den allermeisten, nämlich 135.200, lag sie unter oder bei 880 Euro im Monat – inklusive der Familienleistungen für Partner oder Kinder. Eine genauere Rechnung hat das AMS nicht. Die Zahl zeigt aber, dass ein großer Teil der Notstandshilfebezieher wegen des niedrigen Vorverdienstes finanziell nicht oder kaum bessergestellt sind, als Bezieher der Mindestsicherung, die im Gros der Bundesländer für Einzelpersonen bei etwa 840 Euro liegt.

Kontra: Was die Gegner sagen

Eine Strafe für leidgeprüfte Menschen, die für ihr Schicksal nichts können: Das sehen Gegner hinter dem Arbeitslosengeld "neu". Ja, die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist in den letzten Jahren massiv gestiegen, doch das habe mit der Wirtschaftskrise und dem zunehmend eingeschränkten Zugang zu den Frühpensionen zu tun, aber sicher nicht mit fehlendem Willen. Gerade ältere Jobsucher berichten davon, dass sie unzählige Bewerbungsschreiben abschicken, ohne überhaupt eine Antwort zu bekommen – und dann sollen die Abgehängten auch noch mit einem Griff ins Börsel bestraft werden.

Verweigerern drohen jetzt schon Strafen

Einen wissenschaftlich untermauerten Hinweis, dass "Anreize" wenig bringen, liefert eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo). Schon jetzt müssen Arbeitslose finanzielle Abstriche hinnehmen, wenn sie vom Arbeitslosengeld in die Notstandshilfe rutschen – doch das führt laut Untersuchung nicht dazu, dass die Betroffenen häufiger einen Job aufnehmen. Im gesamten Instrumentarium der Arbeitsmarktpolitik schreibt Wifo-Experte Helmut Mahringer monetären Anreizen "nur eine kleine Rolle" zu.

Schließlich ist das System schon jetzt keinesfalls so milde, wie Reformapologeten suggerieren. In 103.804 Fällen hat das Arbeitsmarktservice (AMS) im Vorjahr die Auszahlung einer der beiden Leistungen gesperrt, etwa weil Bezieher Jobangebote oder Schulungen verweigerten. Zum Vergleich: Im selben Jahr haben im Schnitt 145.976 Menschen Arbeitslosengeld und 167.075 Menschen Notstandshilfe bezogen.

Die zweifelhafte Wirkung von Hartz IV

Der Ländervergleich deutet nicht darauf hin, dass die Notstandshilfe Österreich ein besonderes Problem bereitet. Mit 32,3 Prozent liegt der Anteil der Langzeitarbeitslosen unter den Jobsuchern weit unter dem Schnitt des Euroraumes (50 Prozent). Auch Deutschland liegt schlechter – und zeigt in den Augen der Kritiker, dass Einschnitte à la Hartz IV außer größerer Armutsgefährdung nichts brächten. Mit einem Plus von 12,3 Prozent ist die Beschäftigung im Nachbarland seit vollem Inkrafttreten der umstrittenen Reformen 2005 kaum stärker gestiegen als in Österreich (plus 11,6 Prozent). Warum dann die Arbeitslosigkeit in Deutschland niedriger ist? Während die Gruppe der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland schrumpfte, rechnen Hartz-IV-Gegner vor, ist sie hierzulande gewachsen – vor allem durch Zuwanderung.

Langzeitarbeitslose müssen ums Vermögen fürchten

Niemand solle so tun, als ob die Verschärfungen nicht hart seien, man denke nur an den künftig drohenden Zugriff auf das Vermögen der Langzeitarbeitslosen. Daten aus Wien legen nahe, dass viele Bezieher einer niedrigen Notstandshilfe derzeit lieber auf ein Aufstocken via Mindestsicherung verzichten – weil sie eben um ihr Hab und Gut fürchten. (Gerald John, András Szigetvari, 21.12.2017)