Selbst wenn das Hemd spannt, bleibe ich entspannt.

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Mein Gewicht, geteilt durch die Körpergröße zum Quadrat: 28,4. Das ist der Wert, den der BMI-Rechner im Internet für mich ermittelt hat. Einen Ratschlag gibt mir das Programm gleich noch gratis dazu: "Sie sind übergewichtig und sollten versuchen abzunehmen." Das Ziel: unter 25 kommen. Das heißt für mich: mindestens 13 Kilo weniger werden. Dann hätte ich jene Masse, um wieder im Klub der Normalgewichtigen aufgenommen zu werden. Vielleicht könnte ich dann meinen Gürtel wieder enger schnallen.

Ganz ehrlich. Im Dezember war das völlig undenkbar. Wegen der kulinarischen Hochwetterlage aus gebratener Entenbrust mit Rotkraut und Schupfnudeln, Hirschragout mit Semmelknödeln, Krautfleckerln und cremiger Erdäpfel-Lauch-Suppe. Zu Silvester auf jeden Fall Fondue. Schweinsfilets und Hühnerbrüsten die letzte Ölung verpassen. Und dann unbedingt in Sauce Tartare ertränken.

Am 1. Jänner soll dann Schluss damit sein? So denkt zumindest rund ein Drittel der Österreicher und verordnet sich selbst über Wochen Nahrungsabstinenz. Krautsuppen, Detox-Säfte, Low- und No-Carb-Gerichte oder nur noch gedämpften Fisch: dass ich so auf den vermeintlich gesunden BMI von 24,9 oder weniger komme? Nein, ich mach da einfach nicht mit. Weil ich mich von den gängigen Heilsversprechen "Schlank ohne Sport", "In drei Wochen zum Idealgewicht" oder "In einem Monat um zehn Kilo leichter" einfach nicht verarschen lasse. Weil ich weiß, es steckt eine ganze Abnehmindustrie dahinter, die nur ein Interesse hat: mir ein Leben lang weitere Diäten zu verpassen, an denen sie weiterhin gut verdient.

Nicht mit mir

Das mit den Diäten funktioniert nämlich nicht. Selbst wenn ich mir noch so sehr wünschte, meinen Körper kurzerhand in eine kernige Slim-fit-Figur verwandeln zu können. Rasch und möglichst bequem am besten. Unlängst habe ich sogar von einer Abnehmpille gelesen, an der US-Wissenschafter gerade arbeiten. Unzählige Studien beweisen dagegen, dass die Befreiung von der Wampe ein schwieriges Unterfangen ist. Einer Befragung vom Mai 2017 zufolge blieb für zwei Drittel der Österreicher, die eine Diät gemacht hatten, das Ziel "Weg mit dem Speck" unerfüllt. Mühsame Wochen ohne Schokolade, Weißbrot, Nudeln, Chips, Bier und Wein waren sprichwörtlich "für die Würscht".

Es kam noch schlimmer: Ein Großteil der Diätabsolventen brachte danach noch mehr Kilos auf die Waage als zuvor. Das riskiere ich nicht. Ich will nicht, dass mein Körper im kältesten Monat des Jahres seinen Energiehaushalt drosselt, um auf Sparflamme laufen zu können. Das war evolutionsbiologisch zwar einmal praktisch, da der Mensch so auch magere Zeiten überleben konnte. In unserer Überflussgesellschaft ist das aber einfach nicht mehr zeitgemäß. Ich jage mein Essen nicht und will mein Leben nicht auf Verzicht und Verbote aufbauen müssen.

Ich sage nur: Jo-Jo-Effekt. Ich weiß, mein Körper würde sich die abgespeckten Kilos wieder zurückholen und zusätzliche Fettdepots anlegen. Langfristig könnten – auch das weiß die Wissenschaft – meine Muskeln schwinden und allmählich durch Fett ersetzt werden. Noch mehr Speck und Frust wären so programmiert. Ich habe mich für einen anderen Weg entschieden. Und der beginnt am 29. Dezember mit einer Gesundenuntersuchung. Ich werde mir erst einmal ein Bild von meinen Blutfetten machen lassen.

Was Fett macht

Die größte gesundheitliche Gefahr für Herz und Hirn ist nämlich nicht die reine Körpermasse, sprich ein zu hoher BMI, sondern Risikofaktoren wie Bluthochdruck, ein erhöhter Blutzuckerspiegel und zu viel LDL-Cholesterin – das hat eine Untersuchung an 7.000 Probanden ergeben. Wenn ich metabolisch nicht im Lot bin, hätte ich ein mehr als doppelt so hohes Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall, und zwar unabhängig davon, ob ich normalgewichtig, übergewichtig oder adipös bin. Mein Übergewicht erhöht insofern nicht per se das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Ein BMI von 28,4 ist demnach kein Todesurteil. Wenn, dann nur indirekt, da bei manchen Dicken auch Blutdruck und Blutzucker ansteigen. Der einfache Grund dafür: Fett ist nicht gleich Fett. Schlecht sind die weißen, viszeralen Fettzellen. Ich vermute, dass ich eine gewisse Portion davon intus habe. Weil es bei Männern die Kugelwampe wachsen lässt und die Knöpfe an Hemden sprengt. Diese Bauchfettzellen möchten vor allem eines: wachsen, gefüttert werden, um sich vermehren zu können. Dafür erzeugen sie Hormone, die meinen Appetit anregen, Entzündungsprozesse befeuern und meinen Insulinhaushalt stören.

Wenn das also das Ergebnis meiner Gesundenuntersuchung ist, werde ich mir etwas überlegen müssen. Eines kann ich ausschließen: Eine Diät wird sicherlich nicht das Ergebnis sein. Lieber nehme ich mit meinem inneren Schweinehund Kontakt auf. Mein Glück ist, dass ich mich eigentlich sehr gern bewege. Allein schon wegen meiner kleinen Tochter, der ich tagsüber hinterherlaufe und die ich im Winter auf dem Schlitten ziehe. Vielleicht fallen mir noch zwei, drei andere Bewegungssachen ein.

Das Fleisch bewegen

Das beste Mittel gegen Übergewicht ist immer noch die körperliche Ertüchtigung. Wenn ich das schaffe, ist es eigentlich kaum mehr relevant, was auf den Teller kommt, sondern vielmehr die Frage, wie ich die zugeführte Energie verwerte. Wie viel Fett ich in Muskelmasse umwandle und wie schön es sein wird, wenn ich mich in zwei, drei Monaten nicht dünner, sondern stärker fühlen werde.

Der wahre Feind, auch das sagen Wissenschafter seit Jahrzehnten, ist die Bewegungsarmut. Sie verkürzt das Leben. Den Beleg dafür brachte schon eine Studie in den 1940er-Jahren, in der der Epidemiologe Jerry Morris die Fahrer und Schaffner in Londons Doppeldeckerbussen verglich, ihre Schritte notierte und die Stunden zählte, die sie jeweils sitzend verbrachten. Die Buslenker saßen 90 Prozent ihres Arbeitstages hinter dem Steuer. Die Schaffner kontrollierten die Tickets und waren ständig in Bewegung.

Das Ergebnis: Busfahrer hatten ein doppelt so hohes Risiko für einen plötzlichen Herzinfarkt. Wie ich es also angehen werde: mit einem genussvollen Frühstück am 1. Jänner. Stressfrei. Ich mag meinen Bauch nämlich. Er stresst mich an sich recht wenig. Dann plane ich einen ausführlichen Spaziergang, bei dem ich mir überlegen werde, wie ich das lange Gehen künftig in meine Wochenroutine einbauen kann. Meinen BMI? Den vergesse ich einfach. (Günther Brandstetter, 30.12.2017)