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Schluss mit Dolce Vita? Marcello Mastroianni hat Anita Ekberg (Bild) – vermutlich – nicht gefragt, als er zu ihr in die Fontana di Trevi stieg.

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Nun ist es so weit: Die Regulierung der Sexualität als Maßnahme gegen sexuelle Belästigung und Gewalt hat ihren "Höhepunkt" erreicht, der rot-grün-"feministische" schwedische Gesetzgeber legt sich ab sofort mit den schon mehr oder weniger erregten Paaren (oder von mir aus Dreiern und Gruppen) ins Bett. Die Schweden, bekannt für ihre sexuelle Libertinage seit den 1960er-Jahren, schützen nun die mutmaßlichen Opfer mittels gesetzlich verpflichtender Zustimmungsäußerungen ("Ja-Sagen") vor einem möglicherweise unfreiwilligen Geschlechtsverkehr – ist das nicht großartig?

Alle Welt atmet auf, nichts kann mehr passieren, weil alle Ja sagen müssen – und tun sie's nicht: ab ins Häfen mit dem Sex-Werber.

Im Ernst: Irgendwie ist mir aus der Staatsbürgerkunde in Erinnerung, dass Gesetze nur Sinn haben, wenn der in ihnen angesprochene Sachverhalt auch irgendwie kontrollierbar ist. Die schwedischen Gesetzeskünstler haben aber sogar ausdrücklich festgelegt, dass eine mündliche Äußerung zur Einwilligung in den Sex genügt. Selbst jahrelang liierte Paare müssen aufpassen, den mündlichen Bekenntnisakt vor dem Geschlechtsakt nicht zu vergessen, das könnte heikel werden! Sicherheitsfanatiker raten zu einer schriftlichen Vereinbarung.

Genüsslich stelle ich mir (als Sexualtherapeut mit allen Tücken der sexuellen Interaktion vertraut) vor, wie der Lover nach den ersten Flirtsequenzen aus seiner Aktentasche einen vorgefertigten Text herausfuchtelt und dem Objekt der Begierde samt Kugelschreiber zur Unterfertigung unter die Nase hält. Köstlich! Dieses kann sich dann – je nach Erregungskurve – überlegen, ob es seine Unterschrift noch schnell hinzittert oder nicht. Begnügt man sich mit einer mündlichen Vereinbarung, bleibt freilich die Frage: Wer soll das bezeugen? Elektronikfirmen freuen sich schon auf das Geschäft mit Sex-Anbahnungs-Mikrofonen, die dann den Beweis für die mündliche präkoitale Einigung erbringen sollen. Unsinn? Mitnichten, denn ohne solche Mikros ist das ganze Gesetz "für die Würscht", weil ja auch jetzt schon bei Annäherungsversuchen immer wieder gesagt wird, das "Opfer" habe eh zugestimmt und nix dagegen gehabt. Also was soll der ganze furchtbare Unsinn?

#Aufschrei ...

Wie es ja gut und menschlich ist, wenn bei gutem Sex das Hirn ein wenig aussetzt, so wäre bei öffentlichen und politischen Diskussionen darüber deutlich mehr Hirn gefragt. Ich habe an dieser Stelle schon problematisiert, dass es ein moralisierender Diskurs ist, wenn nur bei sexueller Übergriffigkeit ein großer #Aufschrei entsteht, bei sonstiger Demütigung und Gewalt aber vergleichsweise wenig. Zudem empfanden viele an der #MeToo-Bewegung das Unbehagen, dass hier offenbar rechtsstaatliche Grundsätze ins Wanken geraten waren, die ich als Bürger lieber aufrecht sehen würde. So scheint häufig die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt: Menschen (meist Männer) werden schon "auf Verdacht" an die Öffentlichkeit gezerrt und ihre berufliche Laufbahn oder ihr ganzer Lebenslauf damit ruiniert – das Ganze noch dazu in einer unglaublichen Undifferenziertheit, bei der vom blöden Anreden bis zur Vergewaltigung alles zusammengewürfelt wird. Nicht umsonst haben Vergewaltigungsopfer schon dagegen protestiert, mit Grapsch-"Opfern" gleichgesetzt zu werden.

... und ruinierte Leben

Und selbst wenn jemand einer Handlung – anzügliche Sprüche, Berührungen – überführt wäre, frage ich mich, ob es wirklich angemessen ist, desjenigen Ansehen oder Karriere in der aufgeheizten Stimmung, die diese Debatte prägt, völlig zu ruinieren.

Es ist deshalb hoch an der Zeit, über vernünftige Maßnahmen gegen sexualisierten Machtmissbrauch – darum geht's ja – nachzudenken. Diese sollten aber keinesfalls in nicht vollziehbarem Gesetzespfusch bestehen, sondern einzig und allein in Aufklärung und Stärkung des Selbstbewusstseins von Mädchen und Jungen, Männern und Frauen. "Aufklärung" in dem Sinn, dass wir Heranwachsende von Beginn an mit der Bildung zu kritischem Bewusstsein über Sexualität und Gewalt ausstatten, dass wir Kinder und Jugendliche damit auch gegen die (frauen- und männerfeindliche) sexualisierende Verblödung der umsatzstarken Unterhaltungsindustrie wappnen, dass wir für die klare soziale Ächtung anmaßenden sexuellen Verhaltens werben, dass wir Bedingungen schaffen, in denen genug Stärke und Selbstbewusstsein entstehen, um sich gegen solche Zumutungen zu wehren. Nicht umsonst ist es ein bekanntes Faktum, dass gut aufgeklärte, selbstbewusste Heranwachsende kaum Opfer sexueller Übergriffe werden. Und ausreichend selbstbewusste Menschen haben sexualisiertes Machtgehabe nicht notwendig.

Pioniere sexueller Befreiung

Es waren die Schweden, die in meiner Jugend als die Pioniere sexueller Befreiung imponierten. Dort konnte jedwede Pornografie vertrieben werden, und auch sonst war Skandinavien ein sexuelles "Freiheitsparadies". Dass just dieses "emanzipierte" Land nun mit diesem Stumpfsinn an die Öffentlichkeit tritt, ist eine Ironie der Kulturgeschichte: Besser hätten die Verantwortlichen darüber nachdenken sollen, was alles an verdummender Libertinage oder mit der Geschlechterpolitik schiefgelaufen ist. Nicht zuletzt müssen wir uns – speziell im Land Freuds – wohl damit anfreunden, dass es immer Lebensbereiche gibt, vor denen gesetzliche Regelungen – Gott sei Dank! – versagen: Die Sexualität ist so etwas, und sie lässt sich nicht in vorgegebene Korsette zwängen, sondern nur, wie Freud meinte, kultivieren. Diese notwendige Kultivierung wird nie völlig "verlässlich" und kontrollierbar sein, sodass wir – ähnlich wie beim Phänomen der Aggression – immer wieder mit "Ausreißern" rechnen müssen.

Es gehört wohl zur Conditio humana, dass es menschliche Unwägbarkeiten gibt und nicht gänzlich beherrschbare Lebensbereiche – es sei denn, wir träumten (was ja gar nicht so fernliegt) von einer Roboterwelt; und selbst da streitet man sich, wer verantwortlich ist, wenn es zu Pannen und Unfällen kommt. (Josef Christian Aigner, 22.12.2017)