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Hinter Xis Kritik stecken nicht nur Ängste vor der Illoyalität von Vertrauten. Er sorgt sich zugleich wegen der Herausforderungen, die ab 2018 auf China zukommen.

Foto: REUTERS/Jason Lee

Chinas starker Mann Xi Jinping zog gegen die eigenen Genossen vom Leder: Sie dürften keine "Schattenboxer, Pirouettendreher oder Phrasendrescher" sein. Es reiche nicht, dass sie nur in Versammlungen sitzen und Papiere verteilen. Sie müssten umsetzen, was sie beschließen. Daneben seien "die größten Feinde von Partei und Volk der Formalismus und der Bürokratismus". Der 64-jährige Parteichef ärgerte sich auf einer Sondersitzung seines Politbüros darüber so sehr, dass er die beiden Begriffe sechsmal hintereinander wiederholte. Doch er nannte weder Ross noch Reiter, was oder wen er konkret mit "Formalismus und Bürokratismus" meinte. Seine verklausulierte Kritik richtete sich gegen die gesamte innere Führung. "Wir müssen mit den Genossen im Politbüro anfangen. Je höher ihr Rang ist, desto loyaler müssen sie dem Volk dienen."

Xi hatte am 25. und 26. Dezember sein Politbüro zur "kollektiven Studiensitzung" in den Pekinger Parteisitz Zhongnanhai zusammengerufen. Diesmal dauerte sie zwei Tage. Auf der Agenda stand "Kritik und Selbstkritik". Die Letztere hatten die zwei Dutzend Mitglieder des Politbüros zu leisten. "Sie hatten ihre Redemanuskripte vorbereitet und reflektierten über ihr eigenes Verhalten", schrieb die Nachrichtenagentur Xinhua. Xi selbst wurde dagegen von allen nur gepriesen: Sie gelobten, mit seinem "sozialistischen Denken ihre Gehirne in der neuen Ära des besonderen chinesischen Sozialismus zu bewaffen".

Problem der Wanderarbeiter

Erst vor zwei Monaten war die höchste Funktionärsriege des Landes auf dem 19. Parteitag neu gewählt worden. Doch seither ging für Xi offenbar zu vieles schief. Eines der Probleme im Hintergrund dürfte der Autoritätsverlust der Parteiführung und Xis bei Teilen der Pekinger Bevölkerung sein. Eine besondere Rolle spielte dafür der im Oktober 2016 zum Parteichef der Hauptstadt und zum Politbüromitglied aufgestiegene Cai Qi, ein Vertrauter von Xi aus alten Tagen in Ostchina.

Nachdem Cai sein Amt angetreten hatte, ließ Pekings Stadtbürokratie hunderttausende Arbeitsmigranten aus der Hauptstadt verdrängen. Sie kam allerdings nur Xis Forderungen nach, die überfüllte Hauptstadt zu verschlanken, in der neben 14 Millionen Stadtbürgern sieben Millionen geduldete Zuwanderer leben. Peking ließ hunderte große Handelsmärkte schließen und in Vorstädte auslagern. Zugleich wurden zehntausende kleine Privatläden und Straßenstände abgerissen. Schließlich gab am 18. November der Brand eines Gebäudes in der Pekinger Vorstadt Daxing, bei dem 19 Wanderarbeiter starben, den Behörden einen neuen Vorwand. Sie ließen einsturz- und feuergefährdete Bauten und Unterkünfte in den Vororten zwangsräumen und setzten tausende Menschen bei Frosttemperaturen auf die Straßen.

Die behördliche Willkür entzündete unerwartet eine gärende Unzufriedenheit bei vielen Pekingern mit der erbarmungslosen Bürokratie. Chinas Parteiführung befürchtet nun, dass sich in den spontanen öffentlichen Protesten und Unterschriftenaktionen und der Solidarisierung chinesischer Medien mit dem Schicksal der Vertriebenen auch viel Unmut über ideologische Gängelung und Unmündigkeit Luft verschafft. Stadtparteichef Cai musste sich zur Beruhigung der Stimmung und Schadensminderung öffentlich mit Migranten treffen.

Ehrgeizige Umweltziele

Eine weitere groteske Aktion Pekings erregte die Gemüter, als die Stadtregierung vergangenen Monat anordnete, alle Leuchtreklamen und Beschriftungen von Gebäuden zu entfernen. Bis zum 8. Dezember waren 14.000 Schilder von den Dächern der Pekinger Hochhäuser abmontiert, schrieb Xinhua. Offizielle Begründung sei der Wunsch eines hohen Funktionärs gewesen, ein "besseres Umfeld für den städtischen öffentlichen Raum" und eine "sichtbar klare urbane Skyline" zu schaffen. Ehrgeizige Umweltziele der chinesischen Führung sind der jüngste Grund, dass Millionen Menschen in Nordchina im Dezember frieren müssen, weil Gas knapp und extrem teuer wurde.

Die Betroffenen lasten es der Partei an, die sich blauen Himmel und Sonnenschein als Versprechen auf ihre Fahnen schrieb. Der übereilte, unkoordinierte Abbau von Kohleheizungen und die Umstellung von Industrien auf Gasverbrennung führten zur überraschenden hausgemachten Krise in Chinas Gasversorgung. Chinas Politbüro, kritisierte Xi weiter, müsse ein Krisenbewusstsein bezüglich "der in- und ausländischen tiefgehenden Veränderungen und Widersprüche entwickeln", vor denen das Land stehe. Das gelte auch für die Anforderungen an die Fähigkeiten der Partei, "für lange Zeit an der Macht zu bleiben".

Zwei Monate nach dem 19. Parteitag knirscht es im KP-Gebälk. Eine selbstherrliche Bürokratie, die Wanderarbeiter aus Peking vertreiben und Chinas Bauern frieren lässt, bedroht die Autorität von Parteichef Xi. Der macht sein Politbüro verantwortlich. (Johnny Erling aus Peking, 29.12.2017)