Foto: APA/dpa/Kay Nietfeld
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Geld- und Handyabnahme beim Asylantrag

Pro: Es komme sehr auf eine präzise Vorgangsweise an, sagt der Europa- und Verfassungsrechtler Walter Obwexer. Laut dem vorliegenden Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ soll Asylwerbern künftig bei ihrer Antragsstellung Bargeld "abgenommen" werden, das sie bei sich haben, "um die Kosten für die Grundversorgung zu decken". Detto ihr Handy, wenn auch Letzteres laut Innenministerium auf STANDARD-Anfrage ausschließlich in Fällen, in denen "der Verdacht besteht, dass unzureichende oder falsche Angaben über Herkunft bzw. Reiseroute nach Österreich" gemacht worden seien. Die Frage sei, was "Abnehmen" konkret bedeute, sagt Obwexer im Gespräch mit dem STANDARD: "Es muss wichtige und gerechtfertigte Gründe dafür geben." Die Grundversorgungsmitfinanzierung sei eine solche: Die EU-Aufnahmerichtlinie sehe dezidiert vor, dass Asylwerber verpflichtet werden könnten, sich hier mit ihren eigenen Geldern zu beteiligen. Nicht mit zulässigem "Abnehmen" gemeint sind laut Obwexer allerdings leibesvisitationsähnliche Geld- und Handykonfiszierungen: "Asylsuchende genießen in Österreich den vollen Schutz durch sämtliche Richtlinien der EU", sagt er. Laut Innenministerium sollen abgenommene Handys auf auswertbare Daten überprüft und den Flüchtlingen dann zurückgegeben werden.

Kontra: Einem Flüchtling beim Asylantrag sein Handy abzuknöpfen oder ihn seiner Barschaft zu entledigen sei laut EU-Aufnahmerichtlinie unter manchen Bedingungen vielleicht nicht verboten: "Aber es handelt sich um einen massiven Eingriff in das Recht auf Privatheit laut Artikel acht der Europäischen Menschenrechtskonvention", sagt Manfred Nowak, Menschenrechtsexperte der Uni Wien. Im STANDARD-Gespräch geht er angesichts der Pläne der Bundesregierung noch weiter: Würden einem Flüchtling durch einen österreichischen Behördenvertreter künftig "die paar Hundert Euro weggenommen, die er oder sie sich noch aufbehalten konnte", so sei von "erniedrigender Behandlung" auszugehen: "Das wäre dann ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel drei." Handys wiederum, so Nowak, seien "kein Luxusgut, sondern ein höchstpersönlicher Gegenstand, in dem unter anderem meine Privatkontakte gespeichert sind". Ein Datenabgleich sei also auch datenschutzrechtlich problematisch. Die EU-Aufnahmerichtlinie würde den Staaten "einen großen Ermessensspielraum einräumen". Die nationalen Regierungen seien aber keinesfalls gezwungen, "die Rechte von Asylwerber weiter und weiter zu beschneiden, wie es jetzt die schwarz-blaue Regierung plant".

Laut dem neuen Regierungsprogramm sollen Asylwerbern künftig ihr Bargeld und Handy abgenommen werden.
Foto: APA/dpa/Kay Nietfeld

Kein Rekurs mehr beim Verwaltungsgerichtshof

Pro: Neben kürzeren Beschwerdefristen für beschleunigte Asylverfahren mit Anwaltspflicht wollen ÖVP und FPÖ auch eine höchstgerichtliche Beschwerdemöglichkeit kappen, die Asylwerber derzeit nutzen können. Laut Regierungsprogramm sollen so, wie schon anlässlich einer Reihe vorhergehender Novellierungen, Asylverfahren beschleunigt werden. Konkret soll es Asylwerbern künftig nicht mehr erlaubt sein, nach der Ablehnung ihrer Berufung durch das Bundesverwaltungsgericht via außerordentliche Revision den Verwaltungsgerichtshof anzurufen: eine Möglichkeit, die ihnen im Zuge der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit seit 2014 offensteht. EU-rechtlich stehe dem Beschränkungsplan der Regierung nichts entgegen, sagt der Europa- und Verfassungsrechtler Walter Obwexer im STANDARD-Gespräch. Jedem Asylwerber sei "effektiver Rechtsschutz" zu garantieren. Laut EU-Richtlinien sei dieser immer dann gegeben, wenn es in Asylverfahren "eine gerichtliche Berufungsinstanz gibt, die Tatsachen und rechtliche Fragen gleichermaßen überprüft". In Österreich sei das der Fall: Das Bundesverwaltungsgericht überprüfe beides. Rund 68 Prozent aller beim Bundesverwaltungsgericht stattfindenden Verfahren haben mit dem Asyl- und Fremdenwesen zu tun. In vier Prozent aller entschiedenen Rechtssachen legen abgeblitzte Beschwerdeführer Revision beim Verwaltungsgerichtshof ein.

Kontra: Kritik am Ende der Revisionsmöglichkeit in Asylsachen kommt von jenem Gericht, das derzeit mit diesen Beschwerden konfrontiert ist. Dadurch werde es zu einem "Rückschritt in einem menschenrechtlich besonders sensiblen Bereich" kommen, warnen die Richter des Verwaltungsgerichtshofs in einer Aussendung. Tatsächlich hat Österreich die unionsrechtlichen Mindestanforderungen in diesem Bereich bisher übererfüllt, aus eigener Entscheidung: ein Umstand, den Manfred Nowak, Menschenrechtsexperte der Uni Wien, lobend herausstreicht. Natürlich sei es "theoretisch möglich", derlei außerordentliche Revisionen künftig zu verbieten, sagt Nowak: "Nur: Es bringt nichts." Asylwerber würden sich stattdessen dann eben an ein weiteres Höchstgericht wenden: an den Verfassungsgerichtshof. Dort prognostizierte auch der scheidende Präsident Gerhart Holzinger im STANDARD-Interview einen Anstieg der Fälle. Es wäre nicht zum ersten Mal: Vor der Verwaltungsgerichtsbarkeitsreform wurde der Verfassungsgerichtshof mit Asylfällen geradezu überflutet. Bedenken gibt es indes auch gegen die eingangs erwähnte Verkürzung von Beschwerdefristen in Asylverfahren. Damit – so Helmut Langthaler vom NGO-Zusammenschluss Agenda Asyl – planten ÖVP und FPÖ offenbar eine Regelung ähnlich jener, die schon zweimal vor dem Verfassungsgerichtshof landete – und zweimal außer Kraft gesetzt wurde.

Individuelles Wohnen soll Asylwerbern künftig untersagt werde.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Bundesquartiere statt privater Unterbringung

Pro: Zentralisierung – lautet der Begriff, unter dem man die Pläne der neuen Bundesregierung für die Asylwerberunterbringung subsumieren kann. Das jetzige System, bei dem Neuankömmlinge in Erstaufnahmestellen des Bundes leben, bis sie zum Asylverfahren zugelassen sind, um danach in Länderquartiere – vielfach Flüchtlingsgasthöfe – oder privat angemietete Wohnungen im zugewiesenen Bundesland zu übersiedeln, soll abgeschafft werden. Stattdessen soll Asylwerbern individuelles Wohnen künftig untersagt werden, die Grundversorgung soll allein Aufgabe einer neuen Agentur des Bundes sein. Letzterem kann die Politikwissenschafterin und Herausgeberin von Büchern über das Asylwesen, Sieglinde Rosenberger, etwas abgewinnen. "Mehr Zentralisierung hat ihre Vorteile", sagt sie unter Hinweis auf die jahrelangen Quotendiskussionen um ausreichend Asylwerberquartiere in den Ländern. Mit der alleinigen Bundeskompetenz wäre wohl auch die Bund-Länder-Vereinbarung über die Grundversorgung aus dem Jahr 2004 überflüssig. Diese sieht eine Kostenbeteiligung der Länder von 40 Prozent vor. Viel Länderwiderstand gegen dieses Aus sei nicht zu erwarten, meinen Experten. Und was bezweckt man laut Innenministerium mit den Neuerungen? Die Bundesagentur werde einen einheitlichen Betreuungsstandard sicherstellen, in organisierten Quartieren sei "die nötige Mitwirkung der Asylwerber besser gewährleistet".

Kontra: Das neue Bundesgrundversorgungssystem werde vor allem eines sein: teuer – sagt Herbert Langthaler vom NGO-Zusammenschluss Agenda Asyl. Konkret geht er, bei der aktuellen Zahl zu versorgender Asylwerber, von "rund 37 Millionen Euro Mehrkosten" pro Jahr aus. Seine Rechnung: Ein organisierter Grundversorgungsplatz koste 630 Euro, eine Person, die privat wohne, erhalte 405 Euro pro Monat. Im Jahr ergebe das pro Kopf 2700 Euro Differenz. Bei derzeit rund 14.000 privat wohnenden Asylwerbern mache das insgesamt 37,8 Millionen Euro Mehrkosten aus. Ressourcenprobleme wiederum sieht Politikwissenschafterin Rosenberger auf das Grundversorgungswesen zukommen. Zwar werde es aufgrund der insgesamt härteren Gangart gegen Asylwerber zu einem Rückgang der Zahl zu versorgender Menschen kommen: "Aber was geschieht, wenn es, wie mittelfristig erwartbar, zu einer neuerlichen großen Fluchtbewegung kommt?" Große Bedenken bestehen auch wegen der mit der Übersiedlung in größere Quartiere einhergehenden verstärkten Isolation von Asylwerbern. Begegnungen mit der Mehrheitsgesellschaft würden dadurch ebenso erschwert wie zivilgesellschaftliche Hilfe, kritisiert Langthaler. Der zusätzliche Plan, in der Grundversorgung nur noch Sachleistungen zu gewähren, werde "sogar erste Kontakte mit der österreichischen Gesellschaft beim Einkaufen verunmöglichen". (Irene Brickner, 28.12.2017)