Adam Ondras Arme fallen in die Kategorie "austrainiert".

Foto: Pavel Blazek

Flatanger/Brno – Adam Ondra hängt kopfüber von einer norwegischen Höhlenwand. Der linke Fuß steckt in einer Felsspalte, die linke Hand etwas darunter. Langsam und kontrolliert bewegt sich auch der rechte Fuß nach oben und findet seinen Platz im Fels. Eine vierbeinige Spinne, pure Muskelmasse. Ondra bewegt seine Gliedmaßen, als gäbe es in dieser norwegischen Höhle keine Schwerkraft.

Der 24-jährige Tscheche ist dabei, Geschichte zu schreiben. Ondra ist Sportkletterer, er tüftelt an der Route, die er "Project Hard" nennt. Es ist auf der französischen Vorstieg-Schwierigkeitsskala die erste 9c-Route. Ondra hat bereits drei Routen der Schwierigkeit 9b+ geklettert, nur eine davon schaffte auch ein Anderer, der US-Amerikaner Chris Sharma.

Die Skala

Die Skala ist rein subjektiv, basiert auf Konsens und ist nach oben offen. Der Erstbegeher einer Route schlägt einen Grad vor, wer sie nachklettert, kann den Grad bestätigen oder eine Änderung anregen.

Das wird bei "Project Hard" wohl nicht passieren. Der König der Sportkletterer hat sich eine Route ausgesucht, die ihm perfekt lag und trotzdem kaum zu schaffen war. "Es gibt einige Moves, die wohl kein anderer kann. Ich habe zwei Jahre sehr spezifisch dafür trainiert", sagt Ondra. Bei der fünften von zehn Bewegungen der ersten Schlüsselstelle – im Klettersprech Crux – bekommt nur die Kante des kleinen Fingers Halt. Also übte Ondra genau das, presste die Hand wieder und wieder in einen V-förmigen Felsen. Noch Monate später ist die Hornhaut millimeterdick.

Ein früher Versuch der ersten Schlüsselstelle von Project Hard, später Silence. Eingangs erwähnte Szene beginnt etwa ab 0:30.
TENDON

"Alleine diese Crux wäre eines der schwierigsten Boulder-Probleme der Welt", sagt Ondra. Aber sie ist genau in der Mitte der stark überhängenden Hanshelleren-Höhle. "Du musst bis dorthin klettern, wirst müde und brauchst dann noch diese schreckliche Kraft, um durch die Sequenz zu kommen."

Die Höhle

Norwegische Kletterer hatten Ondra 2012 nach Flatanger beordert. "Es sah schon auf den Fotos zu gut aus und als ich es erstmals in Person sah, konnte ich es kaum glauben." Der Klettergott, ein Kind im Süßigkeitenladen. "Stell dir vor: Diese riesige Höhle aus perfektem Fels – und sie gehört nur dir! Du kannst hier klettern, du kannst dort klettern, es gibt noch gar nichts. Du kannst entscheiden."

Ein kletternder Adam ist ein glücklicher Adam.
Pavel Blazek

Ondra präparierte etwa 15 Routen in der Höhle. "Als ich 2013 die Sicherungspunkte für Project Hard in den Fels schraubte, wusste ich: Es ist irgendwie möglich. Aber es war noch zu schwierig. Ein paar Jahre später fand ich völlig andere Zugänge und langsam begann es zu funktionieren." Insgesamt 15 Wochen verbrachte Ondra 2017 in Norwegen. Nur ein Mal pro Tag konnte er die ganze, 45m lange Route versuchen, die meiste Zeit verbrachte er in der ersten Schlüsselstelle. "Ein winziger Fehler und du fällst." War er zuhause in der Kletterhalle in Brno, lief das normale Training weiter – sechs Tage die Woche, fünf Stunden pro Tag. "Die Haut an den Fingerspitzen ist der limitierende Faktor." Nur zwei Wochen im Jahr hat Ondra kletterfrei, in diesen gewährt er beispielsweise dem STANDARD Audienzen in seiner Kletterhalle. Er ist nicht der Einzige, der dort trainiert, aber er ist der, der die Griffe nach Bedarf und Belieben umsteckt. Stichwort V-förmig, Stichwort Hornhaut.

Beim Interview zeigt sich: Still sitzen zählt nicht zu Ondras Kernkompetenzen.
Foto: Tobias Schmitzberger

Das Geheimnis

Fragt man Ondra, was ihn zum Besten machte, hat der 24-Jährige viele Antworten. Man muss an winzigen Details arbeiten, visualisieren, maximal präzise sein, daran glauben. Alles wahr. Der Schlüssel liegt andernorts. "Ich sehe es nicht als Training, das hört sich wie ein großes Opfer an. Ich bin viel geklettert, aber mit meinem Herzen. Wenn ich nur klettern würde, um berühmt zu werden, wäre ich dumm", sagt Ondra. Und dann lacht er, und wer ihn lachen sieht, versteht, versteht, warum gerade er schafft, was unmöglich schien. Ondra ist ein frisch Verliebter, und das seit Jahrzehnten, wohl seit er mit sechs Jahren zu klettern begann. Sein Leben, klettern.

Die zweite Crux von Project Hard.
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Dieses Leben führte ihn in die norwegische Höhle, bis zur Schlüsselstelle, und eines Tages darüber hinaus. "Ich war perfekt im Flow, als gäbe mir eine surreale Macht mehr Präzision als je zuvor. Ich kam so schnell durch, fast, als würde ich die Crux ignorieren", erzählt der Wuschelkopf. Seine Augen strahlen. Aber: "Es ist direkt nach dieser Sequenz immer noch sehr schwierig. Ich wurde verdammt nervös." In der Route gibt es mehrere Ruhestellen, bei denen Ondra seine Beine in der Wand verkeilen und kopfüber seinen Oberkörper erholen kann – so lange die Waden mitspielen. In einer solchen Stelle hing der Tscheche minutenlang, um sich zu beruhigen. "Den Rest der Route kletterte ich dann sehr gut."

Das Finale

Die letzten Meter sind einfach. "Ich hatte immer angenommen, dann schon zu feiern. Aber ich konnte nicht." Erstmals war eine 9c-Route bezwungen. Ondra ist ein lauter Kletterer, beim Erfolg schreit er seine Freude in die Wand. "Als ich zum Ende kam, war ich zu emotional, um zu schreien. Es war eine Minute der Stille." Project Hard hatte seinen finalen Namen: "Silence".

Erleichtertes Hängen.

Mit 13 Jahren schaffte Ondra seine erste 9a, mit 16 gewann er bei seiner ersten Teilnahme den Vorstieg-Gesamtweltcup, mit 19 kletterte er die erste 9b+ der Welt: Change, ebenfalls in der Hanshelleren-Höhle. Mit 23 wagte er seinen ersten Ausflug in die Welt der "Big Walls", ohne jede Erfahrung auf diesen Riesenwänden gelang ihm die weltweit erste Wiederholung der schwersten dieser Route, der legendären Dawn Wall im Yosemite-Nationalpark. Freilich ohne Vorbereitung und in einem Bruchteil der Zeit, den die Erstbegeher gebraucht hatten.

Ondra "schnupfte" die Dawn Wall in acht Tagen. Die Erstbegeher Tommy Caldwall und Kevin Jorgeson hatten sich sieben Jahre darauf vorbereitet und 19 Tage benötigt.
Foto: Pavel Blazek

Nun die 9c: "Für mich war es die bemerkenswerteste Leistung meines Lebens." Der unbeschwerte Tscheche könnte der beste Sportkletterer aller Zeiten sein. Da wäre es nur standesgemäß, wenn er die erste Olympiamedaille der Geschichte des Sports holt. 2019 und 2020 will er ganz der Vorbereitung auf das Ringe-Debüt seiner Sportart widmen.

Und davor? Schelmisches Grinsen. "Zwei 9cs sind besser als eine." 9a-Routen frühstückt Ondra, bald hat er 150 davon gesammelt. Herzensprojekte müssen deutlich darüber stehen. "Es gibt ein Projekt in Italien, das ich sehr, sehr gerne ausprobieren würde. Vielleicht ist es momentan noch ein bisschen zu schwer".

"Vielleicht aber auch nicht." (Martin Schauhuber aus Brno, 2.1.2018)

Auf das gesamte Video von Silence muss man noch warten.
Adam Ondra