Eine Stadt, die in internationalen Rankings regelmäßig auf Platz eins bei der Lebensqualität, aber auch bei der Unfreundlichkeit ihrer Bewohner landet, wirft Fragen auf.

In diesem Blog beschreibt Colette M. Schmidt ihre Suche nach dem "Wiener Charme" und dem "goldenen Wiener Herz" sowie andere Wiener Phänomene.

Köck/STANDARD

Colette M. Schmidt wurde in Kanada geboren, wuchs in Graz auf, wo sie 23 Jahre für den STANDARD schrieb. Seit Juli 2017 lebt sie in Wien und arbeitet als Redakteurin für das Chronikressort des STANDARD.

Foto: Matthias Cremer

Als ich auf die Straße trat, fuhr er schon an meinem Haus vorbei. "Vier Minuten", hatte die Dame vom Taxifunk gesagt. Drei Minuten später stand ich auf der Straße, beide Hände umfassten fest eine Lasagneform. Nachwinken unmöglich. Also lief ich ihm nach.

Er blieb stehen: "Do homs a Glick ghobt. I woit scho weida. I fohr scho im Kras."

Ich: "Wie? Wie lange sind Sie denn schon da?"

Er bestimmt: "I bin scho im Kras gfohrn. Stehn ged jo do nirgends. Ois vuiparkt – und da gschissene Bus fohrt a no."

Sprich nicht über Parkplätze

Ich schuldbewusst ob meiner Gasse und der Dreistigkeit, hier ein Taxi zu bestellen: "Ja … mit Parkplatz ist es am Wochenende schwer …" Ich biss mir auf die Lippen. Wenn ich eines gelernt habe: Sprich nicht über Parkplätze oder Einbahnen. Manche Wiener und Wienerinnen – und man weiß vorher nie, welche – verwandeln sich dann plötzlich in einen Kelomat. Ihre Köpfe werden rot, sie schäumen und reden lange, wütend und angsteinflößend.

Aber der Taxichauffeur blieb vergleichsweise locker. Er erzählte dafür, dass ihn "so ein Wiener" gleich beschimpft hatte, als er versucht hatte, vor meinem Haus stehenzubleiben. Da spitzte ich die Ohren und fragte vorsichtig: "Sie sind kein Wiener?"

Er: "Na, aus Krems. Oba i hob eam daun freindlich gsogt – na ja: das berühmte Zitat."

Ich: "Götz von Berlichingen?"

Er: "Sicha."

Ich meinte vorsichtig: "Ich bin ja erst seit Sommer quasi W-W-W-Wahlwienerin. Mir kommt schon vor, die Leute sind ein bisschen ... ungeduldig oder grantig hier, oder?"

Er empört: "Wos haßt grantig?!"

Ich fasste Mut. "Na ja …. es fällt schon auf …"

Unausstehlich

Er: "Unausstehlich sans! I bin seit 60 Joar do, i kann's bestätigen."

Ich: "Aber dann sind Sie doch eh schon ... Wiener. Nach 60 Jahren!"

Er grantig: "Jo eh."

Er wollte dann noch wissen, was ich auf meinem Schoß hielt, und fuhr freundlicherweise etwas langsamer, "damit Ihre Freind die Lasagne ned zerlegt serviert kriagn".

Als wir in die Gasse des Freundes einbogen, wohin die Lasagne sollte, meinte er scheinbar anerkennend: "A guade Gegend!"

Ich vorsichtig: "Ja, eh nett."

Er: "Ned amol ois a Hiniga mecht i do liegen bleiben."

Wir verabschiedeten uns herzlich. Ich wünschte ihm noch "viele freundliche Fahrgäste und ein gutes neues Jahr".

Er drehte sich um und sah mich fast sorgenvoll an: "Und Eana vü Glick, wirklich!" (Colette M. Schmidt, 1.1.2018)