Jyväskylä – Viele Tierarten setzten bei ihrer Färbung auf einen Tarneffekt – schließlich ist es immer noch der einfachste Weg, nicht gefressen zu werden, wenn einen der Räuber gar nicht erst bemerkt. Manche Spezies haben allerdings den umgekehrten Weg eingeschlagen: Sie sind möglichst auffällig gefärbt, um damit schon von weitem sichtbar zu kommunizieren, dass sie giftig oder zumindest ungenießbar sind.

Die Warnfarben-Strategie hat freilich einen Knackpunkt, auf den ein internationales Forscherteam mit einer Studie in "Nature Ecology & Evolution" hinweist: Wenn jeder einzelne Räuber für sich die Erfahrung machen muss, was die Warnfarbe bedeutet, muss das Opfer eine Vita voller irrtümlicher Bisse über sich ergehen lassen – das wäre für beide Seiten eine gewaltige Belastung. Besser wäre es, wenn sich die Bedeutung der Warnfarbe unter den Räubern gewissermaßen herumspricht.

Da schüttelt's einen: Eine Kohlmeise hat ein Säckchen mit ungenießbarem Inhalt geöffnet.
Rose Thorogood

Um zu testen, wie das funktionieren kann, haben Forscher der Universitäten Cambridge, Zürich und Jyväskylä in Finnland Kohlmeisen eingefangen. Von dieser Spezies weiß man, dass sich bei ihr das Phänomen der sozialen Übertragung finden lässt. Mitte des 20. Jahrhunderts beispielsweise haben britische Kohlmeisen den Trick gelernt, den Deckel der morgens vom Milchmann gebrachten Flaschen aufzupicken und die Obersschicht zu schlürfen. Welche Meise auch immer das als erste herausgefunden hat – das Phänomen breitete sich anschließend in Windeseile über das Land aus.

Für ihr Experiment setzten die Forscher um Rose Thorogood die gefangenen Kohlmeisen in eine Voliere und fütterten sie mit Mandelsplittern, die in kleinen Papiersäckchen mit einem Kreuzmuster steckten. Dazwischen gab es aber auch Säckchen, die ungenießbare Nahrung enthielten – hier waren die Mandelsplitter mit einer bitteren Flüssigkeit überzogen. Diese Säckchen trugen ein Quadratmuster.

Schulfernsehen für Meisen.
Foto: Liisa Hämäläinen

Ein Vogel, der eine solche Niete gezogen hatte, wurde bei seiner angeekelten Reaktion gefilmt: Er schüttelte den Kopf und streifte sich den Schnabel ab. Dieses Video wurde anschließend einer Gruppe von Meisen vorgeführt, einer Kontrollgruppe aber vorenthalten. Das Verhalten der beiden Gruppen unterschied sich anschließend deutlich: Diejenigen Tiere, die das Ekelvideo gesehen hatten, waren bei der Auswahl unter den Futtersäckchen nicht nur schneller als die anderen, sie griffen auch mit 32 Prozent niedrigerer Wahrscheinlichkeit zu den falschen.

Aus den konkreten Zahlen rechneten die Forscher ein Modell hoch, wie sich sogenannte Gefühlsansteckung respektive deren Erweiterung als soziale Übertragung von Wissen in einer Population ausbreiten kann. Letztlich werde ein Kipp-Punkt erreicht, ab dem sich das Wissen um die Bedeutung eines abschreckenden Signals unter einer Spezies von Räubern so stark ausgebreitet hat, dass die Abschreckung auch ohne unangenehmen Praxistest funktioniert. Das soziale Verhalten von Räubern sei daher ein Faktor, den man miteinbeziehen muss, wenn man die Evolution von Tieren verstehen will, die auf Warnfarben setzen, sagt Thorogood. (jdo, 8. 1. 2018)