Müssen echten Neuanfang wagen: Christian Kern und Max Lercher.

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Der neue SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher will seine Partei wieder in jeden Ort des Landes bringen. Aus seiner Sicht kann das persönliche Gespräch nicht durch soziale Medien wie Facebook kompensiert werden. Die Idee ist an sich nicht schlecht, aber auch nicht neu. Der frischgebackene Mann in der Kommandobrücke der SPÖ muss nur aufpassen, dass sein ambitioniertes Vorhaben nicht in den berühmten potemkinschen Dörfern – sprich nach außen hin aufgeputzt aber im inneren an Substanz fehlend – mündet. Das Problem der SPÖ liegt viel tiefer.

SPÖ auf der Sinnsuche

In seinem Kommentar der anderen "Linke Loser. Eine Entrüstung" erörterte der Politikwissenschaftler Paul Sailer-Wlasits treffend aus seiner fachlichen Perspektive, wo die Schwachstellen der politischen Linken von der aktuell mangelnden Integrationsfähigkeit über die falsche Fixierung auf politische Detaildebatten bis zum Phänomen der berufslosen Jugendfunktionäre liegen. Das Kerndilemma der Sozialdemokratie ist, dass sie zunehmend ihre Identität und Seele verliert. Im konditionierten Reflex vorgetragene politische Floskeln sind an die Stelle einer auf gelebte Werte basierenden Auswahl des politischen Personals getreten.

Das Phänomen hatte seinen Anfang bereits bei Franz Vranitzky, der konfrontiert durch einen tafelschwingenden Jörg Haider aus seiner Façon gebracht wurde und diesen Kritikpunkten nicht viel Substantielles entgegenzusetzen hatte. Diese Entwicklung hat sich bis zum heutigen Bundesvorsitzenden fortgesetzt, der Vranitzky anscheinend in gewisser Form als politisches Vorbild internalisiert hat. Trotz des stark von seiner Person abhängigen Achtungserfolges bei den Nationalratswahlen – die SPÖ hätte es noch schlimmer treffen können – gelingt es der Partei nicht aus dem Identitätsdilemma herauszukommen. Dieses Faktum wird auch durch den Flügelstreit in der Wiener SPÖ belegt.

Politische Personalentwicklung

Mit Lercher hat die SPÖ zwar einen jungen dynamischen Parteistrategen, jedoch liegt die Gefahr, wie die letzte Wahl gezeigt hat, in ihrem jahrzehntelang gewachsenen Apparat und den saturierten Funktionären selbst. Ein echter Neuanfang wurde nie wirklich gewagt. Die fast zwanghafte Fokussierung auf Political Correctness und den damit verbundenen Sprach- und Denkregelungen hat eine Gruppe an Berufsfunktionären und die gesamte Partei vor einem absolut notwendigen Selbstfindungs- und Selbstreinigungsprozess bis jetzt geschützt. Die anfangs in gemeinschaftlicher Echolalie vorgetragenen, noch irrationalen Ängste vor Rechts haben zu einer wahren selbsterfüllenden Prophezeiung geführt. Wenn die Partei nicht im Innersten selbst mit einer qualitativen Personalentwicklung ansetzt und ihre eigenen Probleme nach außen projiziert, kann nicht nur die Oppositionsrolle schwer gemeistert werden.

Spiegel der Selbsterkenntnis

Sich selbst in den Spiegel zu schauen und seine Schwächen zu erkennen, ist nicht leicht. Doch die nicht aufgearbeitete latente Minderwertigkeitsproblematik, frei nach Adler, die sich im mangelnden Selbstbewusstsein konservativer Kräfte gegenüber, mit einem 31-jährigen Spitzenkandidaten manifestierte und die durch Dirty Campaigning zu kompensieren versucht wurde, gilt es zu behandeln. Ein derartiges Vorgehen wird den Idealen der Sozialdemokratie nicht gerecht.

Kern sprach von einem Wertekostüm, auf welches die Sozialdemokraten stolz sein können. An dieser Stelle hat der ehemalige Kanzler unbewusst das essentielle Problem der Partei nahezu im freudschen Sinne offengelegt. Ein Kostüm ist leider zu wenig, denn es geht um den Menschen, der drinnen steckt. Dieser Tatsache sollte sich die Sozialdemokratie bewusst werden. Wo wir wieder beim Thema der Qualitätssicherung in der Politik wären, das nicht nur die SPÖ und die Grünen eingeholt hat, sondern welches auch die FPÖ und die scheinbar neue Volkspartei einholen wird. (Daniel Witzeling, 4.1.2018)