Red Bull verleiht mitnichten Flügel, wie 2014 ein Gericht in den USA feststellte. Die auf 13 Millionen Dollar festgesetzte Entschädigung zahlte der Konzern, der im Marketing mit rechts Milliarden ausgibt, natürlich mit links.

Collage: Friesenbichler

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Position des Konzerns war und ist es, den Leuten vor allem dabei zu helfen, ihre Träume zu verwirklichen.

Foto: John Warburton-Lee / Danita Delimont / picturedesk.com

Böhmermann ist ein Problem. Denn Böhmermann, Jan Böhmermann, ist viel von dem, was Red Bull einmal darstellen wollte, ja auf seine kommerziellen Zwecke ausgelegt irgendwie auch dargestellt hat. Der deutsche Satiriker, Moderator, Journalist, Musiker und Autor ist vielleicht nicht mehr ganz jung (36), aber er ist klug und frech, ein richtiger "Scheiß-mir-nichts", sozusagen cool, selbst für ein deutlich jüngeres (Ziel-)Publikum.

2016 erhielt Böhmermann den Grimme-Preis in der Kategorie "Unterhaltung/Spezial – Innovation" im deutschen Fernsehen. "Unterhaltung/Spezial – Innovation" – so ließ (und lässt sich teils noch immer) trefflich die Strategie umreißen, mit der Red Bull seine umstrittenen Erfrischungen bewarb. Früher gehörten auch unbedingt noch die Worte Exklusivität und Dezenz dazu.

Tod gehört dazu

Dass gegenwärtig und immer wieder auch der Tod dazugehört, hat Böhmermann Anfang Dezember im ZDF-Neo Magazin Royale ebenfalls aufgegriffen – neben einer gründlichen, aber wohlfeilen Demontage von Stratosphärenspringer und Facebook-Größe Felix Baumgartner und Ätzendem über TV-Sendungsinhalte aus dem Reich des Dietrich Mateschitz und über, nun ja, populistische Aussagen des Chefs selbst.

Garnitur war die Anregung einer "Red Bull Refugee Challenge", die einem das Lachen gefrieren ließ. Böhmermanns Auslassungen folgten dem vorerst letzten Todesfall in der bunten Red-Bull-Sportlerfamilie. Nachdem der Russe Waleri Rosow (52), eine Legende des Basejumping genannten Fallschirmspringens von im Boden verankerten Strukturen, samt schnittig gebrandetem Flügelanzug im Himalaja in den Tod gestürzt war, ließ das Unternehmen angemessene Betroffenheit verlauten: "Es erfüllt uns mit großer Trauer, dass unser Freund Waleri Rosow nicht mehr unter uns ist", hieß es. Und es pries den "international hochgeschätzten Athleten" als "Abenteurer der Lüfte, der seine Ziele unermüdlich immer höher steckte".

Richtige Tonalität

Böhmermann traf etwas mehr als drei Wochen später die Tonalität mit seinem "Gefallen für Red Bull" also recht genau.Rosow fiel in eine Reihe von Extremsportlern, die bei mit Red Bull in Zusammenhang stehenden Schaustücken in den vergangenen zehn Jahren ihr Leben ließen. Die Stuntflugzeugpiloten Michael Leusch und Guido Gehrmann, der Schneemobilfahrer Caleb Moore, der Teenager und Motorradpilot Toriano Wilson, Motocrosser Eigo Sato sowie die Basejumperelite Eli Thompson, Shane McConkey und Ueli Gegenschatz stehen mit auf der Liste.

Waleri Wladimirowitsch Rosow war auch ein Veteran aus einer Zeit, da Red Bull noch weit weg war vom der ständigen Expansion des Unternehmens geschuldeten Einstieg in den globalen Sport. Noch weit weg von der Formel 1, der Motorrad-WM, dem Fußball, dem America’s Cup, von Golfturnieren, weit weg von der Omnipräsenz in neuen Medien, in den sozialen Netzwerken. Damals gab sich Red Bull geradezu öffentlichkeitsscheu. Einschlägige Begehrlichkeiten wurden abgeblockt, überhaupt wenn sie Chef Mateschitz selbst galten. Da konnte buchstäblich kommen, wer wollte – eine zehnseitige Strecke in der New York Times? Never ever!

Investiert wurde auch nicht vordergründig in Massentauglichkeit und Vorgefertigtes. Millionen für einen Weltstar wie Brasiliens Edelfersler Neymar, der ohnehin von oben bis unter werblich ausgelastet ist – undenkbar wäre das seinerzeit gewesen. Eine Gruppe kreativer Köpfe ventilierte, durchaus ordentliche Budgets im Rücken, Ideen – gerne auch zunächst absurd anmutende.

In Ausnahmefällen wurden aber auch bestehende Konzepte einbezogen und durch Sponsoring und Know-how überarbeitet und aufgewertet. Über Einzelsponsoring entschied der Coolnessfaktor. Die Sportler waren zum Teil extrem, aber vorwiegend jung und daher eben so, wie die Zielgruppe aus präsumtiven Konsumenten eines Energydrinks sein wollte. Es ging um Typen, um Persönlichkeit, um Authentizität.

Zweimal sechs Milliarden

Nicht unbedingt Weltklasse, sondern Perspektiven waren gefragt. Red Bull, das nach wie vor jährlich ein Drittel seines Umsatzes in Marketing investiert – 2016 wurden nach eigenen Angaben mit rund 12.000 Mitarbeitern mehr als sechs Milliarden Euro umgesetzt und ein Gebirge von ebenso vielen Dosen und anderen Getränkegebinden verkauft -, lockte aber mit weit mehr als nur Geld. Dem Vernehmen nach handelt es sich in den überwiegenden Fällen ohnehin nicht um astronomische oder auch nur besonders stattliche Summen, wie sie heute von Mateschitz besonders geschätzte Konzernvorzeigesportler wie Weltcup-Rekord-Skispringer Gregor Schlierenzauer (niedrig sechsstellig) oder Weltcup-Rekord-Skiläuferin Lindsey Vonn (eher hoch sechsstellig) für ihr ebenfalls gewiss waghalsiges, aber insgesamt doch nicht abnorm risikoreiches Tun kassieren.

Red Bull war immer auch Begleiter und bot vielfältige durchaus geldwerte Möglichkeiten – innovative Kameraleute, herausragende Fotografen, Kontakte zu Ausrüstern, identitätsbildende Worthülsen, Pressekontakte und später auch eine schon in der längst verblichenen DDR einschlägig bewährte Betreuung im hauseigenen Diagnostik- und Trainingszentrum zu Thalgau, wo sich Red-Bull-Athleten heute Zustandsüberprüfungen unterwinden. Und, im Fall des Falles, eben auch Sportmedizin erster Güte und Rehabilitation für die, die Pech oder zu wenig Demut oder beides gehabt haben.

Dass diese offensichtlich im Reich der roten Bullen immer wichtiger wird, mag an der zunehmenden Unwahrscheinlichkeit liegen, dass die Kunde von Unfällen schlicht nicht an die Öffentlichkeit dringt. Nicht nur, aber besonders zu diesem Thema folgt dieser Tage, da über die ethische Vertretbarkeit der Werbung mit lebensgefährlichem Treiben diskutiert wird, auf Anfrage ohrenbetäubendes Schweigen der sonst so lockeren Kommunikatoren in Mateschitz’ Diensten. So blieben aktuell auch mehrere STANDARD-Anfragen unbeantwortet.

Die Position des Konzerns war und ist es, den Leuten vor allem dabei zu helfen, ihre Träume zu verwirklichen. "You have one life. Live it", lautet der Untertitel eines Kinofilms über Shane McConkey, der es 2009 in den Dolomiten allerdings verlor. Dass dem Kanadier im Gegensatz zu anderen Verunglückten auf der hauseigenen Plattform immer noch breiter Raum eingeräumt wird, liegt daran, dass 2013 eben diese schlicht "McConkey" getitelte Dokumentation in Spielfilmlänge das Red Bull Media House verließ.

Die Unterstützer

Der ehemalige Skirennläufer Marco Büchel, ein enger Freund des 2009 tödlich verunglückten Schweizer Basejumpers Ueli Gegenschatz, sieht Red Bull als Ermöglicher: "Letztendlich werden Athleten in dem unterstützt, was sie sowieso machen." Man biete ihnen eine Plattform, das in breiter Öffentlichkeit zu tun, aber "Red Bull schickt die Athleten nicht in den Tod", sagte der Liechtensteiner dem STANDARD. Büchel, ehrenamtlich für "Wings for Life" (Stiftung für Rückenmarksforschung) im Einsatz, Red Bull aber auch als Moderator (X-Fighters) und Promotor der sogenannten Skills (Slalom, Riesenslalom, Super-G und Abfahrt in einem) verbunden, glaubt auch nicht, dass Extremsportler zu besonders waghalsigen Aktionen gedrängt werden.

Red Bull pushe niemanden, "sein Leben aufs Spiel zu setzen für einen Werbedreh. Aber grundsätzlich verstehe ich die Thematik schon. Das ist eine feine Linie, die da irgendwo existiert: geile Bilder und im Gegenzug die Gesundheit, diese Thematik kann ich nachvollziehen."

Problematisch ist für Büchel das Nachahmertum, auch jener, die zwar nicht für Red Bull fallen, aber dem möglichen Sponsor doch gefallen wollen. Am Beispiel Basejumping: "Da gibt es ja keine Lizenzen, keine Prüfungen. Jeder kann sich einen Schirm bestellen via Internet und sich irgendwo runterschmeißen. Letztendlich lockt das Leute aus der Youtube-Generation an, die das besser nicht machen sollten."

Stille Versorgung

Zumal in diesen Fällen auch kaum finanzielle Absicherung existiert. Bei Red Bull ist das nach Büchels Erfahrung doch anders. "Ich habe das ja mit meinem Freund Ueli mitbekommen. Das wird in den Medien sehr wenig kommuniziert, aber im Hintergrund wird für die Familien sehr gut gesorgt." Den Hinterbliebenen sei bewusst gewesen, "dass Ueli alle Sprünge so oder so gemacht hat, ob er jetzt Red-Bull-Athlet war oder nicht".

Die Sportler selbst sprechen, wenn sie zu diesem Thema sprechen, ebenfalls von Eigenverantwortung, jedenfalls nicht über Ethik. Negativ über Red Bull sprechen sie nur in Ausnahmefällen, wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seiner ersten Ausgabe 2017 berichtete. Demnach habe ein US-Mountainbiker nach dem Unfall eines Kollegen während der besonders gefährlichen sogenannten Red Bull Rampage sowohl die Versorgung des Opfers als auch die den Risiken nicht angemessene Entlohnung der Teilnehmer aufsehenerregend kritisiert.

Der folgenden Solidarisierungswelle wurde Red Bull auch durch Aufstockung des Preisgeldes Herr.Ob die wertvollste Marke Österreichs auch der von Böhmermann verstärkten Schlagzeilen Herr wird, könnte letztlich vom Glück ihrer Extreme abhängen. (Martin Schauhuber, Sigi Lützow, 7.1.2018)