Das Vinzenz Pauli zeigt, dass auch richtig große Wirtshäuser spitzenmäßig bekocht werden können.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Schweinsbraten vom Freilandschwein wird samt ordentlichen Knödeln und elegant gewürztem Sauerkraut in der Rein serviert.

Foto: Gerhard Wasserbauer
Foto: Gerhard Wasserbauer

Ein Schankraum mit massiven Wirtshausdoppelbänken, abgewetzten Resopaltischen, einer prächtigen Schank samt zeitgemäßer, mit Gefühl für das Bestehende eingefügter Budel und dicht beschriebenen Schiefertafeln an der Wand: Schon beim Hereinkommen macht sich das Gefühl breit, dass dies ein Ort zum Wohlfühlen ist. Das allein wäre nicht so außergewöhnlich – dass dieses Wirtshaus in St. Pölten steht, wo auch im Jahr 32 nach der Landeshauptstadtwerdung ein Defizit an atmosphärisch ansprechenden Lokalen nicht zu verleugnen ist, dafür umso mehr.

Im Gastraum und der großen, altmodischen Veranda mit Fensterfront zum Garten wird es noch besser: Da heizt ein dezenter Art-déco-Kachelofen ein, die Tische sind großzügig platziert, die zusammengewürfelten Stühle und der Bretterboden erwecken den Eindruck, als ob das hier schon seit Jahrzehnten so bestünde. Tut es auch, irgendwie. Das Vinzenz Pauli gibt es seit mehr als 120 Jahren, der Name leitet sich vom Gründer her, dazwischen aber waren zahlreiche Häutungen und Transformationen zu Musikbeisl, Tranklerhütte und anderem mehr durchzustehen. Umso schöner, dass Besitzer Michael Glöckel und Restaurantleiter Maurice Harant dem Ort nun seine Bestimmung und seinen ursprünglichen Namen zurückgegeben haben.

Säfte von regionalen Obstbauern

Harant war davor Sommelier bei Josef Floh in Langenlebarn, insofern überrascht der Fokus auf etliche der interessanten Winzer des Landes wenig. Aber auch hierorts kaum Beachtetes versammelt die Karte, eine ganze Batterie Agrapart-Champagner oder Rotweine von der Loire mit herrlich kühler Stilistik sind da nur Beispiele. Detto beim Bier: Monatlich ist neben Heineken-Standard (Schladminger, Starobrno) auch eine regionale Kleinbrauerei mit Fassbier vertreten. Zuletzt war Bergquell von Erzbräu angezapft, ein Märzen von gefährlich frischer Süffigkeit. Eine ganze Seite nehmen Säfte regionaler Obstbauern in Anspruch, mit sortenrein gepressten Apfelsäften, aber auch mit Dirndlnektar aus dem nahen Pielachtal, der sich mit herber Frucht jederzeit als Speisenbegleiter empfiehlt.

Grüne Bratwürstel

Der Zug zur Qualität ist auch beim Essen zu spüren. Der Kräutergarten hinterm Haus ist derzeit eingewintert, die Bienenstöcke daneben ebenso, dafür gibt es hausgeräucherten Speck und Lardo sowie selbstgemachte Bratwürste vom Freilandschwein. Und die haben es in sich, schon allein weil sie entgegen dem ostösterreichischen Hang zu Aschenbecher-Aromen endlich einmal nicht geräuchert, sondern frisch und "grün" in die Pfanne kommen.

Das Brät ist grob, was die Qualität des Fleisches betont, die Würzung dezent. Das Fehlen sämtlicher Umrötehilfs-, Binde- oder gar Konservierungsmittel sorgt für ein ungewohnt klares, sauberes Aroma – von Würsteln wie diesen kann man tatsächlich mehrere essen, ohne es umgehend zu bereuen. In der Kombination mit selbstgemachtem Quittensenf und Erdäpfelpüree ergibt aber ein Paar ein frugal-köstliches Mahl.

Schweinsbraten, ebenfalls vom Freilandschwein, wird samt ordentlichen Knödeln und elegant gewürztem Sauerkraut in der Rein serviert (siehe Bild) – gibt es nur Sonntagmittag. Gemüse spielt keineswegs nur Nebenrollen: Rote-Rüben-Gnocchi zum Beispiel, mit einer duftigen Creme von gelben Rüben kombiniert, mit kurz geschwenktem Spinat knackig kontrapunktiert, sind eindeutig bessere Exemplare ihrer Art.

Rollgerste mit geschmortem Hokkaidokürbis und Granny Smith hingegen hätte prägnantere Würze vertragen, als sie der sehr dezent mit Ingwer parfümierte Schmorsaft zu vermitteln weiß. Und hinterher? Darf man sich auf knapp gesüßte Walnuss-Crème brûlée mit Kumquat-Kompott freuen. (Severin Corti, RONDO, 12.1.2018)

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