Robert Keohane, Experte für internationale Beziehungen.

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Eine Industrieanlage im Kosovo: Keohane fordert, dass eine CO2-Steuer auf Pro-Kopf-Basis an die Bürger refundiert wird.

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Bern – Wie kann Kooperation ohne zentrale Autorität entstehen? Im 20. Jahrhundert entwickelten sich weitgehende internationale Kooperationen, aus denen jeder Staat Vorteile generiert. Robert Keohane widmete seine akademische Laufbahn der Theorie der kooperativen Netzwerke, die die Interessen verschiedener Staaten verbinden. Multilaterale Institutionen sind ein Mittel, die Globalisierung oder die Milderung des Klimawandels zu koordinieren. Künftig will sich Keohane, der kürzlich mit dem renommierten Balzan-Preis geehrt wurde, einer vergleichenden Klimapolitik-Forschung widmen. Ein von ihm initiiertes Netzwerk soll Bedingungen und Mechanismen effektiver politischer Maßnahmen identifizieren.

STANDARD: Präsident Donald Trump kehrt vom Multilateralismus, also dem gemeinsamen kooperativen Agieren mehrerer Staaten, ab. Was halten Sie von der Vorgehensweise der US-Regierung?

Keohane: Sie ist ignorant. Sie versteht die moderne Welt nicht. Multilateralismus ist relevant, weil man Vertrauenswürdigkeit aufbauen muss. Man hat gemeinsamen Regulierungen zugestimmt, und es muss Vertrauen da sein, dass die andere Seite ihre Zusicherungen einlöst. Die Bündnisse sind gut für die USA. Trump glaubt, dass die Welt ein Nullsummenspiel ist, dass, wenn die USA gewinnen, die anderen verlieren – und umgekehrt. Tatsächlich basieren Friede und Wohlstand der Nachkriegszeit auf der gegenteiligen Annahme: darauf, dass wir alle profitieren können, auch wenn wir unterschiedliche Interessen haben. Diese Administration hat aus den letzten 60 Jahren nichts gelernt. Für mich ist das deprimierend, weil sich meine ganze Arbeit darauf konzentriert, unter welchen Bedingungen internationale Kooperation möglich ist.

STANDARD: Können Sie einschätzen, wie groß der Schaden ist?

Keohane: Trump hat jedenfalls den Ruf der USA in der Welt beschädigt. Das Land schied etwa aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) aus – sie war ursprünglich eine Idee der USA. Auch bei Klimaverhandlungen ist das Land nun kaltgestellt. Die Reputation des Landes – als "soft power" eine wichtige Größe – ist dramatisch gesunken. Die Fähigkeit der USA, Ereignisse in der Welt zu beeinflussen, ist zurückgegangen. Um andere zu Aktionen zu überreden, braucht es Kooperation und eigene Zugeständnisse. Nach der Wahl Trumps vor mehr als einem Jahr habe ich prognostiziert, dass die Folge ein Rückgang der Macht der USA in der Welt sein werde. Genau das sehen wir gerade.

STANDARD: Sehen Sie die Trump-Administration als Teil eines globalen Trends zur Wiederbelebung von Nationalismus?

Keohane: In vielen Ländern gibt es die Tendenz, in Nationalismus zurückzuverfallen und ihn als emotionale Grundlage für Politik zu verwenden. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es sich tatsächlich um einen globalen Trend handelt. Die Ursachen sind nämlich von Land zu Land unterschiedlich. Chinas Nationalismus rührt von seinem Machtzugewinn. Es ist ein historisch tief nationalistisches Land, für das der Niedergang im Vergleich zum Westen im 20. Jahrhundert ein "Jahrhundert der Scham" war. In manchen Fällen ist Nationalismus ein Vehikel, das Möchtegerndiktatoren verwenden. Die Türkei ist ein Beispiel dafür. In Europa und den USA herrscht eine Unzufriedenheit in Teilen der Arbeiter- und Mittelklasse, weil die Einkommen zurückgehen. Diese Unzufriedenheit kann sich als Gegenreaktion zur Globalisierung äußern und den Nationalismus befördern

STANDARD: Wie erklärt sich die Reaktion gegen die Globalisierung, wo ein Großteil der Menschen doch stark davon profitiert?

Keohane: Auf der einen Seite erkennen die meisten Leute, dass sie etwa von internationalem Handel profitieren. Man braucht nur auf die Etiketten ihrer Kleidung zu blicken, wo die Herkunft vermerkt ist. Die Menschen profitieren von der Globalisierung als Konsumenten, als Reisende, als Menschen, die international kommunizieren und weltweite Informationsquellen nutzen. Auf der anderen Seite sind sie aber eng mit ihren lokalen Communitys und deren Werten verbunden; Werten, die sie dann beispielsweise durch Immigration aus anderen Kulturkreisen gefährdet sehen. Es wird immer eine Spannung zwischen diesen beiden Seiten geben. Das Problem ist, diese Spannung zu managen. Das ist einfacher in Zeiten steigender Einkommen und sehr schwierig, wenn Wirtschaftskrise und Immigrationsbewegungen zusammenkommen. Es ist einfach, Ausländern, Einwanderern oder einer internationalen Bürokratie die Schuld zuzuschieben.

STANDARD: Eines der größten weltweiten Probleme ist der koordinierte Kampf gegen den Klimawandel. Warum ist es so schwierig, bei einer Gefahr, die jeden betrifft, eine gemeinsame Linie zu finden?

Keohane: Die USA unter Trump, unter dem Einfluss von Ignoranten und der Erdöllobby, sind hier der große Ausreißer. Das wird aber nicht von Dauer sein. Die meisten US-Bürger verstehen die Gefahr und dass sie von Menschen verursacht wird. Viele US-Staaten, -Städte und -Unternehmen werden aktiv. Das Leugnen des Klimawandels durch die Trump-Administration hat zumindest als Nebeneffekt mehr Leute im privaten Sektor motiviert, etwas zu unternehmen. Weltweit wurde in den vergangenen Jahren der Konsens stärker. China und Indien waren Klimawandelleugner und sind jetzt keine mehr. Es besteht kein Zweifel, dass die USA hier Schlusslicht in der historischen Entwicklung sind.

STANDARD: Ein Ansatz, dem Klimawandel zu begegnen, ist Handel oder Besteuerung von Emissionen. Wie könnte man eine derartige Maßnahme global etablieren?

Keohane: Beides erhöht den Preis fossiler Brennstoffe, spornt zu geringerem Verbrauch an und macht emissionsfreie Energieformen konkurrenzfähiger. Aber niemand, besonders nicht in den USA, möchte neue Steuern haben. Man müsste also den Menschen zeigen, dass sie nicht verlieren. Meine bevorzugte Variante wäre, dass die gesamte CO2-Steuer auf einer Pro-Kopf-Basis an die Bürger refundiert wird. Jeder zahlt die Steuer. Jene, die viel Emissionen haben – reichere Leute –, bezahlen mehr. Wer weniger verbraucht, bezahlt weniger. Das Geld wird aber auf ausgeglichener Basis an die Haushalte zurückerstattet. Diese Maßnahme könnte nur schwer zurückgenommen werden, weil die Leute es gewohnt wären, jedes Jahr dieses Geld zu bekommen. Für diesen Weg würde ich mich einsetzen.

STANDARD: Wie koordiniert man die Staaten dabei?

Keohane: Es könnte in einem Rechtssystem Emissionshandel sein, in einem anderen eine CO2-Steuer, solange die Kosten letztendlich ähnlich sind. Sonst würden sich Industrien beliebig in günstigere Länder verschieben. In Europa wurde der Emissionshandel bereits als ein gemeinsames System umgesetzt. Es funktioniert noch nicht sehr gut. Aber immerhin ist es europaweit.

STANDARD: Sie sehen Europa als Avantgarde im Kampf gegen den Klimawandel, aber dennoch ohne großen globalen Einfluss. Was könnte Europa tun, um mehr zu erreichen?

Keohane: Europa hat nur einen moderaten Anteil an den weltweiten Emissionen. Es wird also nie der wichtigste Akteur sein. Europa kann aber stolz sein, wie viel es bisher erreicht hat. Diese Führungsrolle beinhaltet, dass Dinge ausprobiert werden. Die Erfahrungen mit dem Emissionshandel waren zwar nicht besonders erfolgreich, aber sie geben anderen die Möglichkeit, daraus zu lernen. Als Kalifornien einen Emissionshandel etablierte, schaute man genau auf die Erfahrungen in Europa, um die Fehler nicht zu wiederholen. Europa wird nicht alle anderen mitreißen, kann aber beispielhaft vorangehen.
(Alois Pumhösel, 12.1.2018)