In verschiedenen Städten hat die Migrationsforscherin Peggy Levitt untersucht, welchen Beitrag Museen dazu leisten, wie über Nationalstaaten gedacht wird. Im Haus der Geschichte Österreich muss es ihrer Ansicht nach darum gehen, den Nationsbegriff zu hinterfragen.

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Wien – Um den 12. November wird am Wiener Heldenplatz zum 100-Jahr-Jubiläum der Republiksgründung nach Vorarbeiten des Zeithistorikers Oliver Rathkolb das Haus der Geschichte Österreich unter der Leitung von Direktorin Monika Sommer eröffnet. Welche Chancen und Herausforderungen es birgt, in Zeiten von zunehmendem Nationalismus ein Museum zu eröffnen, das sich mit der Geschichte einer Nation befasst, thematisierte die US-Soziologin Peggy Levitt kürzlich in Wien.

STANDARD: Frau Levitt, Sie haben als Migrationsforscherin ein Buch über Museen im 21. Jahrhundert geschrieben. Was hat Migration mit Museen zu tun?

Levitt: Viele Migrationsforscher befassen sich nur damit, was mit den Menschen passiert, wenn sie einen neuen Ort erreichen. Sie betrachten aber nicht die oftmals lang andauernden Bezüge der Menschen zu ihrem Herkunftsland. In Deutschland erhalten zum Beispiel viele türkischstämmige Menschen ihre Beziehungen in die Türkei ein Leben lang aufrecht. Wir erachten die Welt gerne als geschlossene Organisation von Nationalstaaten. Ich glaube aber, wir müssen eine andere Art von Gespräch über Nationen führen – denn die Nationen enden nicht an ihren Nationalgrenzen. Sonst können wir Migration nicht verstehen. Museen leisten einen großen Beitrag dazu, wie wir über Nationalstaaten denken.

STANDARD: Sie haben Museen weltweit studiert - welche Unterschiede haben Sie im Umgang mit dem Thema Migration bemerkt?

Levitt: Es gibt zunächst schon einmal wichtige Unterschiede darin, wie über Diversität gesprochen wird. In den USA ist es zum Beispiel sehr üblich, sich als Latin American oder Chinese American zu bezeichnen. Manche würden sogar argumentieren, dass das genau das ist, was Amerika ausmacht: Man bekommt das Label "American" und nimmt so seinen Platz am Tisch des Multikulturalismus ein. Es ist daher keine Überraschung, dass es in den USA sehr viele Institutionen gibt, die auf spezielle Gruppen ausgerichtet sind: ein Museum of African Americans, ein Museum of the American Indian, ein Museum of Women oder das Holocaust Museum. Im Gegensatz dazu werden in Skandinavien dieselben Labels, die in den USA als ermächtigend gelten, exkludierend gesehen: Niemand würde sich als pakistanischer Däne oder irakischer Schwede bezeichnen. Das wird als Schubladisierung interpretiert, die nicht wünschenswert ist. Daher sind in diesen Ländern wenige Museen einer speziellen Gruppe gewidmet.

STANDARD: In Wien wird im Herbst das Haus der Geschichte Österreich zum 100-Jahr-Jubiläum der Ersten Republik eröffnet. Wie kann sich ein solches Museum in Zeiten des zunehmenden Nationalismus positionieren?

Levitt: Wir befinden uns derzeit in einem sehr nationalistischen Moment. Ich hoffe, das ist ein Pendel, das wieder zurückschwingt. In einem solchen Museum muss es darum gehen, den Nationsbegriff zu hinterfragen. Klar ist, dass die Gesellschaften immer multikultureller werden, wir müssen also einen Umgang mit Flüchtlingen und Migration finden – sowohl ethnisch wie auch religiös. Meiner Meinung nach sind Museen in dieser Anstrengung noch zu wenig eingesetzt worden. Es ist immer ein interessanter Moment, wenn ein neues Museum eröffnet wird, weil es ja auch so viele Museen gibt, die leer sind. Und die wenigen Leute, die dort sind, sind oft ältere Menschen und jene, die der Mittelklasse angehören, häufig Frauen. Die Frage ist, wie wir das ändern können: Wie können wir erreichen, dass die Leute, die im Museum sind, mehr so aussehen wie jene, die draußen sind? Wenn Museen das nicht schaffen, werden sie nicht im 21. Jahrhundert ankommen.

STANDARD: Haben Sie eine Antwort darauf?

Levitt: Ich denke, dass jedes Museum dabei vor spezifischen Herausforderungen steht. Es hat seine eigene Sammlung, und es gibt spezielle Gruppen, die es anzusprechen und zu inkludieren versucht. Es gibt also nicht eine Antwort, die für alle gilt. Es ist aber auf jeden Fall notwendig, neu zu definieren, was Museen sind. Weiters muss ein neuer Umgang gefunden werden, wie Museumssammlungen eingesetzt oder interpretiert werden können. Die meisten Museen sind heute so aufgebaut, dass man sie durch eine große, ehrfurchtgebietende Halle betritt – schon das Gebäude macht einem klar, dass hier unantastbares Wissen produziert wird, das nicht infrage gestellt werden darf. Wir müssen lernen, die Mechanismen der Wissensproduktion offenzulegen.

STANDARD: Wie kann das gelingen?

Levitt: Heutzutage gibt es oft Porträtfotos der Kuratoren mit Statements – das macht den Besuchern klar, dass Menschen hinter dieser Ausstellung stehen, die ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Solche Dinge würde ich gerne noch öfter sehen, um klarzumachen, wie Wissen produziert wird und was die Konsequenzen dieser Wissensproduktion sind – wer dadurch bevorzugt wird und wer übergangen. Ein Museum, das mich außerdem sehr beeindruckt, ist das Queens Museum in New York. Es ist ein Museum ohne große Sammlung, und es ist ein gutes Stück von Manhattan entfernt. Aber es ist im diversesten Bezirk von New York City. Der ehemalige Direktor dieses Museums vertrat die Ansicht, dass Museen stärker wie Büchereien sein und Ressourcen anbieten sollen. So eröffnete ein Zweig der öffentlichen Bibliothek im Museum, außerdem gab es Kurse für Englisch als Zweitsprache und Räume, in denen Gruppen Tanzperformances abhalten konnten. Auch befindet sich das Museum in einem Park, und alle Parkbesucher können die Toiletten im Museum benutzen. So kann man sich als Museum auf Augenhöhe mit der Community positionieren.

STANDARD: In Ihrem aktuellen Forschungsprojekt beschäftigen Sie sich mit Global Citizenship. Worum geht es dabei?

Levitt: Wir leben in einer Welt in Bewegung: Einer von sieben Menschen auf der Welt ist ein Migrant – manche sind internationale Migranten, andere Migranten im eigenen Land; manche sind gezwungenermaßen, andere aus freien Stücken emigriert; manche mit großem Erfolg, andere nur unter größten Mühen. Wir sind alle globale Bürger, ob wir das mögen oder nicht, und die Frage ist, was unsere gemeinsame kulturelle Basis ist. Weiters geht es darum, wie wir Institutionen schaffen können, die transnationalen Sozialschutz ermöglichen. In Europa funktioniert das etwa schon in der Gesundheitsversorgung, bei der Bildung oder der Verfolgung von Kriminalitätsfällen. Ich glaube daran, dass das der Weg ist, wie wir uns global in Zukunft entwickeln müssen.

STANDARD: In Ihrem neuen Buchprojekt setzen Sie sich außerdem mit Schriftstellern aus unterschiedlichen Nationen auseinander. Was interessiert Sie daran?

Levitt: Ich gehe der Frage nach, wie Schriftsteller aus kulturell weniger einflussreichen Nationen mehr internationale Aufmerksamkeit bekommen können. So wie es eine ökonomische Ungleichheit zwischen den Staaten gibt, gibt es auch eine kulturelle Ungleichheit. Und ich bin davon überzeugt, dass sie eng miteinander verbunden sind: Wenn wir uns bei kulturellen Ungleichheiten nicht verbessern, werden auch die ökonomischen Ungleichheiten bestehen bleiben. (Tanja Traxler, 10.1.2018)