Sozialistisches Betonerbe: Der Nationale Kulturpalast in Sofia wird die Ministertreffen während der EU-Präsidentschaft beherbergen.

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Der Killer schoss aus einem Fenster im dritten Stock eines leeren Fabrikgebäudes. Die Fensterscheibe soll am Tag zuvor zu Bruch gegangen sein. Petar Hristows Ermordung war Profiarbeit. Fünf Kugeln treffen den Geschäftsmann am Montagvormittag auf der Straße vor einem seiner Unternehmen im Westen Sofias. Eine halbe Stunde später ist er tot. Bulgariens Parlamentspräsidentin fand das alles nicht ungewöhnlich.

"Solche Dinge passieren in jedem europäischen Land", erklärte Tsweta Karajantschewa, eine Politikerin der konservativen Regierungspartei. Europa arbeite in derselben Weise "gegen die Korruption", wie Bulgarien es tue, behauptete sie. "Ich glaube nicht, dass dieser Mord in Sofia heute ein Fehlstart für Bulgariens EU-Präsidentschaft ist", sagte Karajantschewa am Abend desselben Tages vor bulgarischen Journalisten.

Das mag vielleicht nicht die einhellige Auffassung der EU-Kommissare sein, die am Freitag zum Auftakt dieser ersten Ratspräsidentschaft des Landes zu Besuch kommen. Im Vormonat wurde schon ein leitender Steuerinspektor im Zentrum von Sofia im Morgenverkehr erschossen. Die Abteilung, die er führte, kontrolliert die Bewegung von Waren wie Treibstoff, die in Bulgarien üblicherweise mit Schmuggel und Steuerhinterziehung zu tun haben. Auch Petar Hristow, der 49 Jahre alte Geschäftsmann, war kein kleines Licht.

Privatisierungsgewinner

An mehr als 50 Unternehmen war er beteiligt und in der Bauwirtschaft ebenso aktiv wie im Tourismus. Seinen entscheidenden Coup landete er bereits als junger Mann mit dem Erwerb einer der größten Molkereifabriken Bulgariens während der chaotischen Privatisierungen Ende der 1990er-Jahre. Und Hristow hatte enge Beziehungen zu den Politikern der Regierungspartei, allen voran zu Tswetan Tswetanow, dem früheren Innenminister und einflussreichsten Mann hinter Premier Boiko Borissow.

Was genau Hristows Ermordung mit "Korruption" zu tun hat, wie die Parlamentspräsidentin nahelegte, war am Dienstag noch nicht klarer. Die Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität in Bulgarien ist nach Auffassung der EU-Kommission jedenfalls das größte Manko des Landes. Auch elf Jahre nach dem Beitritt des kleinen Balkanlandes zur Europäischen Union sind die Standards noch nicht erfüllt. Die Justizexperten der EU-Kommission gaben der bulgarischen Regierung zuletzt 17 "Empfehlungen" für Reformen an die Hand. Keine dieser Vorgaben sei zufriedenstellend erfüllt, hielt Brüssel im jüngsten Überprüfungsbericht im vergangenen November fest.

Ebenso wie Rumänien unterliegt Bulgarien seit dem EU-Beitritt 2007 einem sogenannten Kontroll- und Kooperationsverfahren, das auf Fortschritte im Justizbereich achtet.

Keine Verurteilungen

Anders als im Nachbarland Rumänien aber gab es in Bulgarien in all den Jahren seit der Wende zur Demokratie praktisch keine rechtskräftigen Verurteilungen hochrangiger Politiker und Beamter, die der Korruption verdächtigt wurden. Auch der Kampf gegen die mafiösen Strukturen im Land lieferte bisher eher Anekdotisches. Der bulgarischen Öffentlichkeit werden gern Berichte über Mafiabosse präsentiert, die sich gegenseitig umzubringen versuchen. Das gelingt bisweilen wie im Fall des Unterweltchefs Iwan Todorow ("Der Doktor") oder schlägt fehl wie im Sommer 2016, als Dimitar Scheljaskow ("Mitjo die Augen") schwer verletzt einer Schießerei in einer Diskothek im beliebten Badeort Nessebar am Schwarzen Meer entkommt.

Gegen ein neues Gesetz zur Korruptionsbekämpfung, das die Regierung noch schnell vor der Übernahme der EU-Präsidentschaft durchs Parlament brachte, legte der Staatspräsident sein Veto ein. Ungenügend fand dies Rumen Radew. Andere Kritiker, vor allem Politiker des nicht mehr im Parlament vertretenen Reformblocks, werden deutlicher. Sie werfen Borissow, dem ehemaligen Leibwächter des sozialistischen Staats- und Parteichefs Todor Schiwkow, vor, das politische Establishment in Sofia vor Korruptionsermittlungen schützen zu wollen. Die Parlamentsmehrheit wird den Präsidenten wohl überstimmen. Vor dem Treffen der Justiz- und Innenminister der EU in Sofia Ende Jänner sähe das aber wohl wenig vorteilhaft aus. (Markus Bernath, 10.1.2018)