"Intensivste künstlerische Kommunikationsform": Marie Rötzer zeigt ab Februar "Onkel Wanja".

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"Onkel Wanja".

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STANDARD: Hat sich Ihr Heimvorteil als gebürtige Niederösterreicherin bezahlt gemacht?

Rötzer: Trotz Heimvorteil gibt es ja doch auch Unsicherheiten. Es ist ja vorher nie ganz absehbar, was Künstler aus den Stoffen machen. Aber eineinhalb Jahre nach meinem Antritt bin ich doch erfreut, dass dieses Programm mit sehr unterschiedlichen ästhetischen Handschriften so gut ankommt. Das kann ich nicht nur an den regelmäßigen Publikumsgesprächen festmachen, auch an Treffen im Rahmen des Bürgertheaters und auch durch den Freundeskreis des Theaters. Die Menschen kommen sehr positiv auf mich zu.

STANDARD: Wann zum Beispiel?

Rötzer: Jüngst bei Árpád Schillings Erleichterung. Das ist ein Stück über unsere unmittelbare Gegenwart. Die Menschen wollen diskutieren, es gibt einen hohen Gesprächsbedarf, und es zeigt sich, dass Reflexionsbereitschaft existiert. Es gibt in unserer Gesellschaft ein großes Defizit in der Debattenkultur; es geht meist um Meinungen anstelle von dialektischer Auseinandersetzung.

STANDARD: Worauf spricht das Publikum besonders an?

Rötzer: Wir leben in einer Umbruchszeit, Meinungen werden auf populistische Weise geschürt. Menschen haben oft Angst und Ohnmachtsgefühle, z. B. wegen Digitalisierung oder Migration. Da ist das Theater ein Denkmodell, das Alternativen durchspielt. Bei Schilling ist es insbesondere die Frage nach "westlichen Werten". Diese Fragen haben wir auch bei der Bewerbung St. Pöltens als Kulturhauptstadt 2024 eingebracht. Theater ist die intensivste künstlerische Kommunikationsform.

STANDARD: Das Landestheater will ein Theater für alle sein. Aber kommen auch "alle"?

Rötzer: Wir arbeiten daran, eine diverse Gesellschaft anzusprechen, einerseits alle Generationen, aber auch Menschen unterschiedlicher kultureller Prägungen. Das Theater hat da viele Möglichkeiten, über Musik, über Körpersprache, aber auch, indem wir multilingual werden. Vor allem wollen wir mit bestimmten Themen Menschen erreichen. Nicht jeder kann sich mit allem identifizieren, klar.

STANDARD: Was tun Sie dafür, dass das Publikum möglichst divers ist?

Rötzer: Vermittlung ist sehr wichtig, das geht am einfachsten bei jungem Publikum, das man über Schulen erreicht. Und Partizipation. Das Bürgertheater lädt Menschen ein, mitzumachen, sich einzubringen, das funktioniert sehr gut. Wichtig ist mir auch, hinauszugehen. Im Vorjahr haben wir für Utopia in ganz Niederösterreich nach alternativen Lebenskonzepten geforscht, das hat viel direkten Kontakt zu Menschen geschaffen. In der aktuellen Spielzeit betreiben wir das Zukunftsbüro, eine Anlaufstelle für Bürger und Bürgerinnen am Rathausplatz, und das Theaterlabor für alle, ein generationen- und kulturenübergreifendes Format für Menschen mit und ohne Fluchterfahrung

STANDARD: Sie wollten sich für ein europäisches Theater starkmachen, mit den Nachbarländern Kontakt aufnehmen. Mit Ungarn hat das bereits geklappt. Welche Pläne haben Sie da noch?

Rötzer: Das ist ein mittelfristiges Projekt. Aber bereits in dieser Spielzeit haben wir eine internationale Koproduktion mit Bozen und Antwerpen: Mother Song von Mokhallad Rasem ist ein Rechercheprojekt über Frauen im Irak und Libanon, die Trauer- und Verlusterfahrungen gemacht haben.

STANDARD: Sie zeigen viele Gastspiele, auch Lesungen von Burgtheater-Stars. Ist da das eigene Ensemble nicht eifersüchtig?

Rötzer: Die internationalen Gastspiele sind ja auch ein Tor zur Welt. Im Idealfall ist das Ensemble in die Produktionen integriert. Ich achte darauf, dass sie große Rollen bekommen. Ensemblearbeit ist mir sehr wichtig, unsere Schauspieler haben sich in kurzer Zeit schon eine Bekanntheit erarbeitet. Darauf bin ich sehr stolz.

STANDARD: Wie sind Sie denn auf Sabine Derflinger als Nestroy-Regisseurin gekommen?

Rötzer: Ich wollte unbedingt den Zerrissenen machen, die Idee, die Kluft zwischen Arm und Reich mittels Heirat zu schließen, scheint mir genial. Aber wie inszeniert man Nestroy heute neu? Ich habe sehr lange nachgedacht, aber Sabine Derflinger stand auch schon lange auf der Liste. Ich schätze ihre Filme sehr, und spürte im Gespräch mit ihr einen ausgeprägten Theaterinstinkt. Sie improvisiert beim Filmdreh, macht Proben, das ist ungewöhnlich.

STANDARD: Wie sieht es mit der Wiedergeburt des Österreichischen Theatertreffens aus?

Rötzer: Die Idee lebt! Es gibt Gespräche, aber noch nichts Konkretes, wir beschnuppern uns gerade. Man müsste dafür Geld in die Hand nehmen. Der Mehrwert würde sehr dafür sprechen. (Margarete Affenzeller, 12.1.2018)