Randalierer machen ihrer Wut auf die Regierung in Tunis Luft.

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600 Menschen wurden seit Beginn der Unruhen verhaftet.

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Die meisten Demonstranten verhielten sich freilich friedlich, so wie diese in Tunis.

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Tunis/Wien – Die letzten Augenblicke in Khomsi el-Yerfenis Leben, sie dürften wohl für immer ein Rätsel bleiben. Ein Polizeifahrzeug habe den Demonstranten im dichten Tränengasnebel überfahren, schildern Augenzeugen. Der Mann – laut Berichten war er wie so viele in der Gegend arbeitslos – habe an einer Atemwegserkrankung gelitten und das Gas eingeatmet, behauptet hingegen das Innenministerium.

Fest steht, dass der 45-Jährige am Montagabend in der Kleinstadt Tebourba dreißig Kilometer westlich der Hauptstadt Tunis zum ersten Todesopfer der Protestwelle gegen die Sparpolitik der tunesischen Regierung wurde, und das fast auf den Tag genau sieben Jahre nach dem Tod des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi im zentraltunesischen Sidi Bouzid, der als Auftakt zum Sturz der Ben-Ali-Diktatur gilt. Zu Beginn der Woche breitete sich binnen weniger Stunden der Protest von Tunis über das ganze Land aus. In der Stadt Thala an der Grenze zu Algerien rückte die Armee ein, nachdem Demonstranten die Polizeistation gebrandschatzt hatten.

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Auslöser des Aufruhrs, der bis Donnerstagabend zu mehr als 600 Verhaftungen und dutzenden Verletzten sowie zu Plünderungen und Ausschreitungen geführt hat, sind die gestiegenen Preise auf Waren des täglichen Gebrauchs. Sie sind dem Budget der Koalitionsregierung aus religiösen und säkularen Parteien geschuldet.

Höhere Steuern

Seit Jahresbeginn wird etwa auf Benzin, Telefon- und Internetnutzung, Obst und Gemüse ein empfindlich höherer Mehrwertsteuersatz fällig. Die Regierung verspricht sich dadurch, die grassierenden Staatsschulden unter Kontrolle zu bekommen. Der Internationale Währungsfonds (IWF), von dem Tunesien 2017 einen Kredit in der Höhe von 2,8 Milliarden Dollar erhalten hatte, hat das nordafrikanische Land im Gegenzug an die Kandare genommen – und fordert zügige Reformen ein. Die linke Opposition, die Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen verlangen hingegen die sofortige Rücknahme des Budgets.

Premier verspricht Besserung

Die Regierung versucht es derweil mit Beschwichtigung. Premier Youssef Chahed bat die Tunesier um Geduld. 2018 werde man den Gürtel noch enger schnallen müssen, danach sei Besserung in Sicht. Innenminister Khelifa Chibani glaubt, die Proteste seien in den sozialen Netzwerken organisiert worden, um die Regierung zu destabilisieren. Die islamistische Ennahda-Partei vermutet eine Verschwörung der anderen politischen Kräfte, die sie aus dem 2016 geschmiedeten breiten Bündnis drängen wollten.

Die Spannungen in Tunesien entladen sich freilich nicht erst seit den jüngsten Preissteigerungen. Vor allem die hohe Arbeitslosenquote von offiziell 15 Prozent, die Schwäche des tunesischen Dinar zum Euro und die hohe Inflationsrate lassen die Wirtschaft des Landes nicht vom Fleck kommen.

Im Jänner 2016 kam es in Kasserine im Westen des Landes zu tagelangen Protesten gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit, bei denen 100 Menschen verletzt wurden. Und erst im November nahm sich eine fünffache Mutter aus Verzweiflung ob ihrer wirtschaftlichen Lage das Leben.

Ein Brandanschlag auf eine jüdische Schule auf der Ferieninsel Djerba, den Agenturen am Mittwoch vermeldet haben, steht hingegen offenbar nicht in Zusammenhang mit den Protesten. (Florian Niederndorfer, 11.1.2017)