Wien – Das ist keine Welt, in der man leben möchte – in der einem das Navigationssystem im Auto durchsagt, wo das Herbstlaub am schönsten leuchtet, das Kind im Chor von der Selbstoptimierung singt und man mit seinen Kollegen, die alle so angezogen sind wie man selbst – dunkle Hose, graues Hemd, dunkle Krawatte -, vor dem Chef über die beste Finanzdienstleistung referiert. In einer solchen Welt hat sich die persönliche Freiheit aufgehört.

Im Visier der systematischen Verbesserer: Fritz Karl.
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Life Guidance, der erst zweite Spielfilm der Wienerin Ruth Mader nach ihrem Debüt Struggle vor vierzehn Jahren, lässt in dieser Hinsicht jedenfalls von Beginn an keine Fragen offen. Dystopische Bilder, wohin man schaut: In bleichen Farben filmt die Kamerafrau Christine A. Maier kalte Oberflächen und Fassaden, spiegelglatte Bürotürme und die selbstverständlich modernistische Villa am Stadtrand, in der sich Alexander Dworsky (Fritz Karl) mit Frau und Sohn vor der Außenwelt stilvoll verbunkert. So sieht in diesem Film das Wien der nahen Zukunft aus, nämlich abweisend und steril – oder jedenfalls das der Leistungsträger und Eliten.

"Eine lasche Einstellung kann fatal sein", meint deshalb auch der Vertreter (Florian Teichtmeister) von Life Guidance, der eines Tages vor Dworskys Tür steht, bei seiner ersten Stippvisite. "Vor allem wenn man sie vor seinen Kindern zur Schau trägt." Life Guidance sei, wie Dworskys Frau Anna (Katharina Lorenz) ihrem Mann abends im Bett gerade so erklärt, als ob er es nicht wüsste, eine "ausgelagerte Agentur mit weitreichenden Kompetenzen."

Hat die Eliten fest im Blick: Florian Teichtmeister.
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Das hat man sich zu diesem Zeitpunkt aber ohnehin bereits gedacht, denn der freundlich grinsende Herr mit Scheitel im braunen Trenchcoat, der sich fortan in das Leben der perfekten Kleinfamilie drängen wird, ist ein Abziehbild aller Vertreter von Überwachungsorganisationen, die sich im Science-Fiction-Genre tummeln. Und die von Tag zu Tag den Druck erhöhen, indem sie in der Parkgarage auf einen warten sowie im eigenen Garten mit dem Sohn Fußball spielen, und von denen man sicher sein kann, dass sie bereits eine Akte über einen angelegt haben.

Ginge es bloß um das Zusammentragen von Motiven und darum, den kanonisierten Genrebildern aus Literatur und Kino zu entsprechen, so hätten Ruth Mader und ihr Team – vom Drehbuch über die Kamera und die Ausstattung bis hin zur Musik und den Kostümen – einen perfekten Film gedreht. Doch mit genau diesem vorauseilenden Gehorsam überrumpelt sich Life Guidance selbst.

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Das hat nichts mit Genrekonventionen zu tun, die hier erfüllt werden – das schafft der österreichische Spielfilm mittlerweile sogar als Western. Sondern damit, dass sich Life Guidance seiner Freiheiten und damit auch Möglichkeiten beraubt. Da sitzen erwachsene Männer im Anzug wie ruhiggestellte Kindergartenkinder vor Werkstücken (Training für Führungskräfte), ist die Polizei machtlos (der Staat versagt), schöpft Dworsky falsche Hoffnung im Glauben (als letztes mögliches Refugium). Oder er besucht absichtlich die "nicht abgedeckte Zone", die sich in Wien als Gemeindebau herausstellt, durch den einsame Gestalten torkeln (Modernisierungsverlierer).

Überwachung, Paranoia, Gleichschaltung, Manipulation – all diese Begriffe scheinen nicht Thema dieses Films zu sein, sondern dem Film Vorbild, während sich die Erzählung darauf konzentrieren und hinauslaufen muss, Dworskys zögerliche Rebellion mit der Aufdeckung der Hintermänner zusammenzuführen.

Dass die gesellschaftskritische Pointe unter diesen Vorzeichen und Vorbildern bescheiden ausfallen muss, versteht sich. Doch ist man, wenn sich das sogenannte System gegen einen richtet, tatsächlich selbst schuld, bloß weil man von ihm über die Maßen und über andere hinweg profitiert hat? Vielleicht gehört die eigentliche Pointe deshalb Alfons Mensdorff-Pouilly in seiner Gastrolle als lustiger Jäger, der sein Fressen ohne Moral genießt. (Michael Pekler, 12.1.2018)