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Angela Merkel und Martin Schulz wollen über eine gemeinsame Regierung verhandeln.

Foto: Reuters/Hanschke

Berlin – Die Spitzen von CDU, CSU und SPD wollen nach dem erfolgreichen Abschluss der Sondierungsgespräche Verhandlungen über die Bildung einer großen Koalition in Deutschland aufnehmen. SPD-Chef Martin Schulz kündigte am Freitag an, auf dem Sonderparteitag am 21. Jänner um ein Mandat dafür zu bitten.

Sie wolle Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer "stabilen Regierung" führen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). CSU-Chef Horst Seehofer zeigt sich mit dem Sondierungsergebnis "hochzufrieden". Die CSU-Vertreter in den Gesprächen hätten das Ergebnis einstimmig gebilligt. Der Parteivorstand werde am Montag darüber befinden, ein Parteitag sei nicht nötig. Merkel will bis Mitte Februar ein Koalitionsabkommen ausarbeiten.

ORF-Korrespondentin Birgit Schwarz aus Berlin zum "entscheidenden Durchbruch" ("ZiB 9").
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SPD-Unterhändler einstimmig für Sondierungsergebnis

Auch die SPD-Sondierungsgruppe stellte sich einstimmig hinter das Paket für eine gemeinsame Regierungsbildung. Das vorläufige Sondierungspapier hat einen Umfang von 28 Seiten.

Zuwanderungsbegrenzung

Geplant ist in dem Papier, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland die Zahl von 180.000 bis 220.000 Menschen pro Jahr nicht überschreitet. Union und SPD wollen aber auch den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz mit Einschränkungen wieder zulassen. Pro Monat soll eintausend Menschen der Nachzug nach Deutschland gewährt werden. Der Familiennachzug für subsidiär Geschützte, der noch bis Mitte März ausgesetzt ist, war einer der Knackpunkte der Sondierungsverhandlungen.

Keine Waffen mehr nach Saudi-Arabien

Auch in puncto Rüstungsexporte sind sich die Verhandler einig. "Die Bundesregierung wird ab sofort keine Ausfuhren in Länder genehmigen, solange diese am Jemen-Krieg beteiligt sind", heißt es in dem Reuters am Freitag vorliegenden Papier der Unterhändler. Betroffen wäre davon vor allem Saudi-Arabien, das eine Militärkoalition im Kampf gegen die aufständischen Huthis im Jemen anführt. Deutschland hat in den letzten Jahren Rüstungsgüter in erheblichen Umfang nach Saudi-Arabien exportiert. Ziel des Rüstungsstopps wäre auch der Iran, der die Huthis unterstützt.

Deutschland soll mehr zahlen

Die Verhandler haben sich zudem auf umfassende Reformen in der EU und der Eurozone geeinigt. "Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann", heißt es in dem Papier. CDU, CSU und SPD sind dafür bereit, dass Deutschland mehr Geld in das EU-Budget einzahlt.

Das wird wahrscheinlich schon durch den britischen EU-Austritt nötig. Bei den Sondierungen einigten sich die Parteien auch darauf, die Eurozone besser abzusichern. "Dabei befürworten wir auch spezifische Haushaltsmittel für wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz und für die Unterstützung von Strukturreformen in der Eurozone", heißt es. Das könnte Ausgangspunkt für einen künftigen Investivhaushalt für die Eurozone sein. Man wolle die Eurozone auf jeden Fall "nachhaltig stärken und reformieren". Risiko und Haftungsverantwortung müssten aber in einer Hand bleiben. Zugleich wird die nötige Solidarität in der EU betont.

Damit bekennen sich die drei Parteien einerseits zu einem Voranschreiten in der Eurozone. Andererseits vermeiden sie eine Festlegung, ob ein solcher neuer Fonds Teil des EU-Budgets, wie es die EU-Kommission vorschlägt, oder ein gesondertes Eurozonenbudget sein soll, wie es der französische Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen hat.

Mehr Geld für Pflege

Im Pflegesektor visieren die potenziellen Koalitionäre Verbesserungen an. Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege sollten "sofort und spürbar" verbessert werden, heißt im Einigungspapier der Koalitions-Sondierungen vom Freitag.

"Es werden Sofortmaßnahmen für eine bessere Personalausstattung in der Altenpflege und im Krankenhausbereich ergriffen und dafür zusätzliche Stellen zielgerichtet gefördert", heißt es dort weiter. Konkret wollen CDU/CSU und SPD die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif stärken. Gemeinsam mit den Tarifpartnern solle dafür gesorgt werden, dass Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen.

Im Krankenhaussektor wird eine "vollständige Refinanzierung von Tarifsteigerungen" angestrebt. Allerdings sollen die Kliniken nachweisen müssen, dass das Geld auch tatsächlich bei den Beschäftigten ankommt. Zudem sollen 8.000 neue Fachkraftstellen im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlungspflege in Pflegeeinrichtungen geschaffen werden.

Zustimmung des Parteitags nötig

Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl dürfte die Hürde für die SPD-Spitze besonders hoch sein. Sie braucht für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen die Zustimmung eines Parteitags am 21. Jänner in Bonn. Die SPD-Spitzen, voran Schulz, wollen in den nächsten Tagen bei der Parteibasis für eine Neuauflage der ungeliebten großen Koalition werben. Die SPD-Jugendorganisation Jusos will dagegen Widerstand mobilisieren. Auch Jusos-Chef Kevin Kühnert tourt deswegen durch mehrere SPD-Landesverbände, wie er der dpa sagte.

Bis zum Schluss rangen die Sondierer dem Vernehmen nach um die künftige Finanzpolitik und den Bereich Migration und Flüchtlinge. Aber auch bei Pensionen und Gesundheit hakte es lange Zeit. Ein Scheitern war bis zuletzt nicht ausgeschlossen worden, ebenso eine Vertagung.

Große Brocken

Merkel und Schulz hatten am Donnerstagvormittag vor Beginn der letzten Runde den Willen zur Einigung bekräftigt. Zugleich war klar, dass noch große Brocken aus dem Weg geräumt werden mussten.

Dem Vernehmen nach wurde viele Stunden um die Finanzierung verschiedener kostspieliger Projekte in der Steuer-, Sozial- und Gesundheitspolitik gerungen. Obwohl immer wieder ein finanzieller Spielraum von 45 Milliarden Euro für eine künftige Regierung genannt worden war, summierten sich die Kosten für gewünschte Einzelvorhaben zum Teil auf rund das Doppelte.

Spitzensteuersatz

Darunter waren Vorschläge wie die Einführung einer solidarischen Lebensleistungsrente, mit der die Pensionen von langjährigen Geringverdienern aufgebessert werden könnten. Außerdem ging es um eine zusätzliche Unterstützung der Gemeinden im zweistelligen Milliardenbereich.

Schwierig waren die Gespräche auch im Zusammenhang mit der SPD-Forderung nach einer Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent. Wenn diese Anhebung linear erfolgt, könnte das auch niedrigere Einkommen treffen.

Der CDU/CSU ist es im Gegenzug wichtig, beim Abbau der nach der deutschen Wiedervereinigung eingeführten Sondersteuer Solidaritätszuschlag voranzukommen, wie es hieß. Zugleich pochte sie dem Vernehmen nach angesichts der sprudelnden Steuereinnahmen auf die schwarze Null – also den Verzicht auf neue Schulden im Budget. (red, APA, Reuters, 12.1.2018)