Gesichter des Glaubens: Das geplante House of One in Berlin.

Foto: Ballogg Photography

Das Vajrasana Buddhist Retreat in England.

Foto: Jim Stephenson

Die Park Plaza Synagogue in Chicago.

Foto: Jaime Navarro

Die RLJ Chapel in Mexiko.

Foto: Kuehn Malvezzi

Die Vali-e-Asr-Moschee hinter dem Stadttheater Teheran.

Foto: Maik Novotny

Ganze 126 Jahre lang tat der neoromanische Immerrather Dom im nordrhein-westfälischen Erkelenz standfest seinen Dienst. Nur zwei Tage dauerte es, bis er Anfang dieser Woche dem Erdboden gleichgemacht wurde. Das Gotteshaus musste weltlichen Begehrlichkeiten weichen, der Braunkohletagebau frisst es mitsamt dem ganzen Ort auf.

Die Demonstranten, die vergeblich gegen den Abriss protestierten, taten dies keineswegs aus tiefreligiösen Motiven. Kirchen sind mehr als Glaubensfilialen, sie sind Teil der Kultur, ihre Form und ihre Lage im Stadtbild erzählen etwas über den Stellenwert von Religion in der Gesellschaft. Sie erzählen auch davon, wo der Gesellschaft die Religion abhandengekommen ist. In den Niederlanden und Großbritannien wurden profanisierte Kirchen zu Wohnhäusern oder Bibliotheken umgenutzt.

Neue Wertschätzung

Doch nicht alle Gebetsstätten verschwinden in Anonymität oder Entsakralisierung: Religiöse Architektur erfährt zurzeit eine neue Wertschätzung. Im November waren unter den sechs Bauten, die mit dem Österreichischen Bauherrenpreis ausgezeichnet wurden, gleich drei Sakralbauten. Das bedeutet keineswegs, dass deren Architekten tief gläubig sind. Der Kirchenbau ist seit jeher eine Disziplin, in dem sie abseits der sonst üblichen Baunormen mit Raum und Licht arbeiten dürfen.

Dabei ist die Rolle der religiösen Architektur, selbst wenn sie in Stein und Ewigkeit denkt, immer ein Ergebnis von Verhandlungen. Sogar dort, wo die Religion vermeintlich das widerspruchslose Sagen hat. Zu verfolgen am Dialog zwischen dem eleganten Rundbau des modernen Stadttheaters Teheran, 1973 von Schahbanu Farah Pahlavi an einer wichtigen Kreuzung errichtet, und der Vali-e-Asr-Moschee direkt daneben. Ganz entgegen allen Erwartungen bezeugt die von Fluid Motion Architects entworfene Moschee mit ihrem begehbaren Dach dem weltlichen Theater harmonischen Respekt. Kein Dominanzgehabe, Minarette sucht man vergeblich.

Orte mit kultureller Funktion

"Viele Leute assoziieren mit Moschee einen Ort der Trauer und der Begräbniszeremonien. Dabei haben diese Orte auch eine kulturelle Funktion", erklären die Architekten. "Sie sollten dynamisch und einladend sein. Die Vali-e-Asr-Moschee war die passende Gelegenheit, sich von vorbestimmten Formen zu befreien." Nicht alle wollten diese Befreiung mitmachen. Religiöse Hardliner kritisieren das Fehlen der Minarette, die konservative Zeitung Mashregh News schimpfte: "Ein beleidigender, postmoderner Entwurf ohne Bedeutung." Die Eröffnung des fast fertiggestellten Baus ist vorerst aufgeschoben.

Hier Kirchturm, dort Minarett, dort drüben Tempel: So einfach ist es schon lange nicht mehr. Das illustriert auch der vor kurzem verliehene Faith & Form Religious Art & Architecture Award. Von den 27 preisgekrönten Projekten, die eine Jury des amerikanischen Magazins Faith & Form auswählte, lassen sich nur die wenigsten auf den ersten Blick einer Religion zuordnen. "Darunter sind viele Räume, die auch der Nachbarschaft dienen und religiöse und säkulare Aspekte mischen", so die Jury. "Die Preisträger zeigen auch eine Einfachheit, ein Entrümpeln unseres konsumorientierten Lebensstils."

Gwyneth-Paltrow-Alarmglocke

Gebetsräume als Askese-Tankstellen für überreizte Großstädter: Da klingeln schnell die Gwyneth-Paltrow-Alarmglocken einer Wischiwaschi-Spiritualität. An der Architektur selbst gehen solche Befürchtungen vorbei. Unter den Preisträgern ist etwa das Vajrasana Buddhist Retreat im englischen Suffolk von Walters & Cohen Architects, eine leichtfüßige und luftige Anlage halboffener Räume, eingebettet in wucherndes Grün. Oder die ländliche Schlichtheit der RLJ Chapel im mexikanischen Jalisco von Ricardo Yaslas Gamez Arquitectos, die regionale Materialien kombiniert, und der zarte Pavillon des Tegami-Dokoro im japanischen Funabashi von Shoji Oshio und UA Architects, dem man von außen keine Funktion attestieren kann. Natürlich finden sich alle wesentlichen Weltreligionen unter den 27 Preisträgern, bei aller asketischen Entspannung im Einzelnen ein Spannungsfeld zwischen Konkurrenz und Nebeneinander.

Herberge für mehrere Religionen

Auf die Spitze treibt dieses Nebeneinander ein anderes Projekt: Das "House of One", für das der Standort einer in der DDR abgerissenen Kirche mitten in Berlin reserviert ist, soll je einen Raum für Christentum, Judentum und Islam in einem Bau beherbergen. Ein "identitätsstiftender Ort der unvoreingenommenen Begegnung der drei monotheistischen Religionen mit der Stadt und untereinander. Auf diese Weise soll dem Zusammenspiel von Religion und Stadt zu einer zukunftsweisenden Gestalt verholfen werden", so die Charta der Initiatoren.

2012 wurde ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben, den das Berliner Büro Kuehn Malvezzi gewann. Ihr Entwurf ist von einer bis zum Anschlag aufgeladenen Archaik und Gewichtigkeit. Um den teils vorgebrachten Vorwurf, alle anderen Glaubensrichtungen würden hier ausgeklammert, zu entkräften, sind die drei Gebetsräume um einen konfessionsneutralen Zentralraum gruppiert. Zurzeit läuft die Spendenkampagne, um das mit 43,5 Millionen Euro veranschlagte Projekt zu finanzieren.

Gesegnetes Baufeld in Wien

Und gleich zehn Konfessionen soll der "Campus der Religionen" umfassen, für den in der Seestadt Aspern am Wiener Stadtrand das Areal bereits reserviert ist. Auf rund 10.000 Quadratmetern Grundfläche sollen hier verschiedene Gottesdiensträume und ein "kontemplativer Freiraum" entstehen. Schon 2015 wurde das Baufeld gesegnet.

Der Symbolismus dieser dialogischen Gesten ist zweifellos sympathisch. Ob die Architektur hier tatsächlich zum gegenseitigen Verständnis beitragen kann oder zur Shopping-Mall heimlich konkurrierender Konfessionen wird, wird sich zeigen. Welche fatalen Auswirkungen eine solche Konkurrenz haben kann, zeigen kürzlich publizierte Forschungsergebnisse an der Universität Virginia: Laut einer Analyse der Wirtschaftswissenschafter Peter Leeson und Jacob Russ war der Wettbewerb zwischen Katholizismus und Protestantismus im 16. und 17. Jahrhundert um den "religiösen Marktanteil" einer der Hauptgründe für die Hexenverbrennungen. Diese seien nichts anderes als eine volksnahe Werbekampagne für das Brand-Building der Konfession gewesen. (Maik Novotny, 13.1.2018)