Wien – Gernot B. und Marie-Sophie E. (Namen geändert, Anm.) führten mit ihrem kleinen Sohn zwischen 2009 und Anfang 2017 ein recht komfortables Leben. Auf dem Tisch stand geliefertes Essen von Anbietern wie dem Schwarzen Kameel, Toni Mörwald oder Demel, Austern und Grand-Cru-Weine. Man urlaubte um über 9.000 Euro auf Sylt, und im von Gartengestaltern designten Grünraum, der das 156-Quadratmeter-Domizil in Wien-Währing umgab, entspannte man in Hängematten. Gab es Probleme mit der Schule, ließ man sich Briefe von Fachkräften schreiben oder erschien mit einem Mediator. Das Problem: Leisten konnte das Paar sich das alles nicht, daher sitzt es vor einem Schöffengericht unter Vorsitz von Wolfgang Etl.

Schwerer gewerbsmäßiger Betrug wird dem 44-Jährigen und seiner 35 Jahre alten Partnerin vorgeworfen, B. zusätzlich der schwere gewerbsmäßige Diebstahl von Kinderwägen und Kinderfahrrädern, die E. wiederum via Internet verkaufte, womit sie auch wegen Hehlerei angeklagt ist.

Egozentrikerin in Scheinwelt

Verteidiger Florian Kreiner hat vor allem für das Verhalten der Frau eine Erklärung: Sie leide an einer histrionischen Persönlichkeitsstörung, auch Pseudologia phantastica sei bei ihr schon diagnostiziert worden. Soll heißen: Sie ist eine Egozentrikerin und krankhafte Lügnerin. "Es werden Scheinwelten kreiert, das war der Motor dafür. Sie dachte, sie kann alles bezahlen", argumentiert Kreiner und stellt die Zurechnungsunfähigkeit in den Raum. Auch ihr Partner sei in dieser Fantasiewelt verstrickt gewesen, da die Frau oft sagte, sie könne zahlen.

Was insofern bemerkenswert ist, da die Frau seit Jahren in finanziellen Dingen besachwaltet ist. Dem Richter erzählt die Arbeitslose, von ihren 1.900 Euro Rehageld bekomme sie 1.500 Euro, dazu kämen Zuwendungen ihrer Eltern aus Deutschland. Gernot B. steuert weniger zum Familieneinkommen bei: 2010 ging seine Firma in Konkurs, seit 2013 lebt er von Sozialleistungen, derzeit sind das 830 Euro Rehageld.

Dafür haben beide einschlägige Erfahrungen mit dem Gericht. Im März 2010 wurde B. zu drei Jahren, eines davon unbedingt, verurteilt, im Jänner 2014 kamen 15 Monate bedingt dazu. E. wurde im Februar 2016 zu einem Jahr bedingt verurteilt. Der Grund in allen Fällen: Betrug, großteils in den Ausformungen Miet-, Bestell- und Lieferbetrug.

117 Weinflaschen für Alkoholkranke

Nun sind beide zu den meisten angeklagten Fakten geständig. B. bestreitet nur einen Betrug an der Weinfirma Umathum, von der er eine Lieferung von 117 Flaschen um über 2.800 Euro entgegennahm. "Die habe ich nicht bestellt, das muss Marie-Sophie gewesen sein", erklärt er. "Und da fragen Sie nicht: 'Du, warum brauchen wir so viel Wein? Können wir das überhaupt bezahlen?'", wundert sich der Vorsitzende.

Die überraschende Antwort: "Sie hatte ein massives Alkoholproblem. Und es entzieht sich meiner Kenntnis, was der Sachwalter mit ihr vereinbart." – "Hmmm, ist es dann förderlich für das Alkoholproblem, wenn Sie 117 Flaschen entgegennehmen?" – "Das ist eine berechtigte Frage, ich hatte selbst damit zu hadern", konzediert der Erstangeklagte.

B. kann mit einer noch überraschenderen Antwort aufwarten. "Ich habe keine bösen Absichten und wollte niemanden schädigen", sagt er auf die Frage Etls, was in einem vorgehe, wenn man ohne Geld bestelle. "Es war immer mit Blick auf mein Kind. Ich wollte, dass es ihm gutgeht", schluchzt der Angeklagte. Etl lässt sich von dem Gefühlsausbruch nur mäßig beeindrucken. "Und worin besteht der Nutzen für ein Kind in 117 Flaschen Wein?", kontert er trocken.

Schwieriges Leben

Sein Leben mit E. schildert der Erstangeklagte als anstrengend: "Sie ist eine sehr intelligente Frau, aber ich lebe immer in einer gewissen Unsicherheit, dass solche Dinge passieren." Mit "solche Dinge" meint er, dass sie Dinge kauft und behauptet, der Sachwalter, die Eltern oder eine andere dritte Seite würde dafür zahlen.

Wie das beim dreiwöchigen Sylt-Urlaub im Sommer 2016 unter falschem Namen gewesen sei? "Mir wurde berichtet, Marie-Sophies Freundin übernimmt die Rechnung. Ich habe sie aber nie kennengelernt." Etl mag das nicht recht glauben: "Worauf gründete sich das Vertrauen? Bei einer vorbestraften Betrügerin, die besachwaltet ist?" B. schweigt zunächst. "Vielleicht ist es ein Teil in mir, der gehofft hat, dass sie mich nicht belügt", sagt er schließlich.

E. arbeitet seit 2009 nicht mehr, davor war sie IT-Fachkraft. Sie ist überzeugt, dass ihre Eltern an allem Schuld seien. "Die Sprache meines Vaters ist einfach sehr materiell. Er gibt mir nur Geld, wenn ich das mache, was er will." Auch sie bricht immer wieder in Tränen aus und verblüfft einmal sogar ihren Verteidiger. "Ich bräuchte endlich einen Menschen, der mich auch stärkt und zurückführt in ein normales Leben!", beschwert sie sich.

Zwei bis drei Flaschen Wein täglich

"Wenn ich anmerken dürfte, Sie haben einen Sachwalter und einen Lebensgefährten, was fehlt Ihnen denn?", fragt Kreiner. Konkrete Antwort erhält er keine, nur: "Ich bin schon viel stabiler seit 2016, nachdem ich mit dem Trinken aufgehört habe", sagt sie. Davor seien es zwei bis drei Flaschen Wein täglich gewesen, Umathum ist nicht das einzig geschädigte Weingut.

Interessanterweise konnte sie in manchen Fällen aber sehr wohl Ratenzahlungen mit Gläubigern vereinbaren oder retournierte Waren. Dennoch scheidet der Senat ihr Verfahren aus, um ein psychiatrisches Gutachten über ihre Zurechnungsfähigkeit einholen zu lassen. Gernot B., der seit Mai in Untersuchungshaft sitzt, wird dagegen rechtskräftig zu zwei Jahren unbedingt verurteilt. Im Fall Umathum glaubt das Gericht aber B.s Version. (Michael Möseneder, 12.1.2018)