Als erwachsene, emanzipierte Frauen beobachten wir die unter dem Hashtag #MeToo entfachte Aufregung mit Verwunderung und Besorgnis. Wir sehen uns umgeben von Leuten, die mit großer Leidenschaft von kleinen und kleinsten unerwünschten sexuellen Erlebnissen berichten, die ihnen widerfahren sind: Euch hat mal jemand ans Ohr gegriffen? – Wir können versichern: Viele von uns haben noch ganz andere Dinge erlebt. Das haben wir aber nicht benutzt, um Stimmung zu machen und via öffentliche Lynchjustiz irgendwelche Köpfe rollen zu lassen. Sondern wir haben politische Arbeit geleistet und für Gesetze gekämpft, die helfen, Frauen (und andere) vor den Dingen, gegen die sie sich nicht selbst wehren können, zu schützen.

Auf der anderen Seite befremdet uns das Auftauchen einer Reihe von männlichen Frauenverstehern, die Zustimmung für #MeToo äußern und allen Ernstes meinen, diese künstlich geschürte Aufregung trage irgendetwas zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern bei.

Wir werden den Verdacht nicht los: mit #MeToo haben diese "sensibilisierten" Männer uns wieder einmal dort, wo sie uns haben wollen. Wir sind wieder reine Empfindungswesen, nur zu undifferenziertem Aufschrei und angeblich weiblicher Hysterie befähigt, nicht aber zu präzisem Urteilen, politischer Einschätzung und Strategie. Außerdem ist uns der Sex, dem Bild dieser Männer zufolge, wieder einmal grundsätzlich fremd. Catherine Deneuve und ihre Mitstreiterinnen haben das gut erkannt: Wie im 19. Jahrhundert meinen die Männer, uns Frauen vor allem, was ans Geschlechtliche rührt, bewahren zu müssen.

1. Braucht es mehr Bewusstsein? Es wird behauptet, die #MeToo-Aufregung habe ein "Bewusstsein" für die Häufigkeit von sexueller Belästigung gegenüber Frauen geschaffen. War dieser Umstand denn nicht – spätestens zum Beispiel seit der Kölner Silvesternacht 2016 – einer breiten Öffentlichkeit bekannt?

Wir halten fest: Bei all dem, was erwachsene Frauen diesbezüglich wirklich betrifft, geht es um Dinge, die völlig klar und bewusst sind – und zwar Männern ebenso wie Frauen. Was nötig ist, ist nicht "Sensibilisierung", sondern die Durchsetzung geltenden Rechts sowie bestehender Regeln des Verhaltens im öffentlichen Raum.

Auch der in der Debatte gebrauchte Begriff des Sexismus ist irreführend und entpolitisierend. Womit wir zu kämpfen haben, ist nicht Verachtung wegen des Geschlechts oder ein Vorurteil über Frauen am Arbeitsplatz. Das Problem besteht viel eher darin, dass Verlierertypen dort, wo sie die Überlegenheit von Frauen – in Fachkompetenz oder Klassenzugehörigkeit – wahrnehmen, mit sexuellen oder persönlichen Über-/Untergriffen antworten.

2. Belästigen euch wirklich nur die Vorgesetzten? Frauen werden auch nicht nur von ihren Chefs oder Vorgesetzten, sondern mindestens ebenso oft von Gleichgestellten oder sozial unter ihnen Stehenden belästigt. Die Forderung "Mehr Frauen in Machtpositionen" ist dafür keine Lösung.

Wir halten fest: Sexuelle Übergriffe finden sozial in alle Richtungen statt: nach unten wie nach oben (übrigens auch durch Frauen – in höherem Maß, als die meisten glauben; auch dieses Stereotyp gehört kritisiert!). Wenn ihr dagegen kämpfen wollt und weitere Maßnahmen vorschlagen wollt, bitte sehr. Wir sind bei euch. Aber dann benennt das Problem beim Namen.

Wenn es euch hingegen um bessere Jobs geht, dann habt ihr ebenfalls unsere volle Unterstützung. Aber dann verwendet nicht wieder einmal den Sex als Vorwand, um sie euch zu verschaffen.

3. Gibt es Handlungsbedarf? Österreich hat seit 2015 ein präzises und detailliertes Gesetz (einige von uns waren federführend an seiner Formulierung beteiligt). In all jenen Fällen, in denen Frauen sich nicht selbst schützen können, werden sie von den österreichischen Gesetzen gut geschützt.

Es besteht darum kein Anlass, die Verfolgung von Personen, die sexueller Übergriffe beschuldigt werden, nicht auf gerichtlichem Weg zu unternehmen. Der Aufbau einer stimmungsgeladenen Paralleljustiz in sozialen Medien ist in unseren Augen ein neoliberaler Versuch, die gesetzlichen Institutionen und Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu schwächen.

4. Die Demontage von Unschuldigen. Es scheint den #MeToo-Supporters keiner Bemerkung wert, dass Personen wie Peter Pilz oder der ehemalige norwegische Handelsminister Trond Giske schwere Schädigungen ihres öffentlichen Ansehens und ihrer beruflichen Tätigkeit erleiden mussten, ohne dass die gegen sie erhobenen Anschuldigungen geklärt werden konnten. Unter dem Druck ähnlicher Vorwürfe hat der walisische Sozialdemokrat Carl Sargeant Selbstmord begangen.

Die angeblichen Taten von Pilz sind, sofern es sich überhaupt um Übergriffe handelt, verjährt. Aber für die öffentliche Vernichtung genügten in seinem Fall eine aktuell hochgradig erregte Stimmung und die bloße Vermutung. Eine ganze politische Oppositionsbewegung wurde hier bei ihrem Start zu vernichten versucht.

5. Die Propagierung eines patriarchalen Frauenbildes. #MeToo verkündet ein antifeministisches Frauenbild. Frauen werden als hilflose Opfer dargestellt; Männer als böse Raubtiere. Die feministische Filmtheoretikerin Laura Kipnis hat das als ein primitives melodramatisches Klischee bezeichnet. Es leugnet jegliche Handlungsmacht von Frauen. Gerade Feministinnen hatten jedoch dafür gekämpft, dass Frauen als mündige und darum gleichberechtigte Menschen wahrgenommen werden, die eigene sexuelle Interessen verfolgen können. Nun hingegen scheint der Sex immer als etwas Böses immer von den Männern zu kommen und die Frauen völlig zu überfordern.

Wenn wir Frauen zulassen, dass unsere Mündigkeit und unsere Handlungsmacht dermaßen in Abrede gestellt werden, laufen wir Gefahr, bereits erkämpfte Rechte wieder zu verlieren und bald wieder, wie damals, ähnlich wie Kinder behandelt zu werden. Die Idee, dass Sexualität uns Frauen grundsätzlich fremd und unangenehm wäre, ist die patriarchale Idee par excellence.

6. Sexuelle Initiative ist nicht Sexismus oder Gewalt. Sexuelle Avancen gehen nach der bestehenden kulturellen Geschlechterordnung eher von Männern als von Frauen aus. Aber auch wir Frauen setzen manchmal sexuelle Initiativen, und das ist gut so. Nicht nur Männer haben das Recht zu flirten, sondern auch Frauen. Nicht jede unerwünschte Initiative ist deshalb schon ein Übergriff. Jeder und jede kann "Nein, danke" sagen, und jeder und jede kann das begreifen und das Feuer einstellen. Es ist nicht notwendig, Sex zu dämonisieren.

7. Die Ausweitung des Vergewaltigungsbegriffs. Die Verschiedenheit der von #MeToo versammelten Fälle trägt dazu bei, den Begriff der Vergewaltigung auszuweiten – auch auf einvernehmlich vollzogene Sexualkontakte, die erst im Nachhinein als unerwünscht empfunden werden. Erfährt eine Person nach einvernehmlichem Geschlechtsverkehr etwa Unverwünschtes über die ethnische Identität, den Beruf, den Familienstand, die Einkommensverhältnisse, die Weltanschauung oder die Sexualethik des Partners, kann sie ihn nachträglich wegen Vergewaltigung verklagen.

Hier ist, gerade aus feministischer Perspektive, festzuhalten: Der entscheidende Unterschied ist, ob sexuelle Handlungen durch Gewalt oder Nötigung erzwungen werden oder ob dabei Einvernehmen herrscht (und sei es auch Einvernehmen auf Basis unvollständiger oder falscher Information).

Frauen sind durchaus in der Lage, sich zu informieren und an einmal getroffenen Entscheidungen festzuhalten. Und es darf keine Verpflichtung des Staates geben, speziell Frauen davor zu schützen, dass jemand, mit dem sie ins Bett gehen, in Wirklichkeit vielleicht nicht Pilot ist.

8. Hintertüren für politische Willkür. Solche Gesetze, die angeblich speziell zum Schutz von Frauen in Schweden, Großbritannien oder Israel eingeführt wurden, haben diesbezüglich bereits zu bizarren Verurteilungen geführt. Dies hat nicht nur fatale Folgen für die zwischenmenschlichen Beziehungen. Es scheint auch ein effizientes Mittel für die Verfolgung unliebsamer Kritiker – wie zum Beispiel eines Julian Assange – zu sein. Die Verwendung von angeblich frauenfreundlichen Gesetzen zur Verfolgung politischer Gegner hat inzwischen offensichtlich System. Gegen diese Art von Missbrauch müssen gerade wir Feministinnen uns wehren.

9. Die Demontage von Rechtsstandards. Gesetze zum Schutz aller von sexuellen Übergriffen Bedrohten sind zu prüfen, gegebenenfalls zu verbessern und an neue Gefahrenlagen anzupassen.

Ebenso aber darf die gerade bei sexuellen Tatbeständen häufig auftretende Schwierigkeit, Gesetze durchzusetzen und Schuldige zu überführen, nicht dazu Anlass geben, dass Rechtsstandards wie Unschuldsvermutung, Information und Anhörung von Beschuldigten, Beweisprüfung sowie Rechtsfriede und Verjährung ausgehöhlt werden.

Es darf nicht sein, dass mithilfe einer aufgeheizten öffentlichen Stimmung, durch absichtliche Konfusion von schwerwiegenden mit leichten Fällen – oder auch durch Vorwürfe von nicht strafbaren oder verjährten Handlungen – Menschen fertiggemacht werden.

Angesichts der vorgefallenen Rufschädigungen fordern wir eine Präzisierung der Gesetze zu Verleumdung und übler Nachrede. Wer Schlimmes tut, soll bestraft werden. Wer jemand anderen aber mit verjährten oder irrelevanten Vorwürfen – oder durch deren journalistische Weitergabe – öffentlich fertigzumachen versucht, soll ebenfalls bestraft werden. So wie im modernen Frauenfußball gehören nicht nur Fouls, sondern auch "Schwalben" im Strafraum mit einer gelben Karte geahndet. (13.1.2018)