"Personen, die nicht arbeitswillig sind, versucht man auch jetzt schon zu identifizieren. Ihnen wird das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe gesperrt", sagt der Arbeitsmarktexperte Helmut Mahringer.

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Wien – Er ist der wohl aktuell meistbesprochene Staatsfeind – und doch weiß man nicht so recht, um wen es geht: der "Durchschummler". Kanzler und Vizekanzler hatten dieses Wort bemüht, als sie am Mittwoch über ihre ersten Ideen zur Reform des Arbeitslosengeldes referierten: Jene, die erst kurz ins System einzahlen und sich "durchschummeln" wollen, sollen ihr Vermögen aufbrauchen, bevor Sozialhilfe fließt, finden Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ). Wer mogelt sich also derzeit durchs Sozialsystem? Oder anders gefragt: Wer kann jedenfalls nicht gemeint sein?

Vermögen aufbrauchen

Zur Erinnerung: Die Regierung plant, die Notstandshilfe abzuschaffen. Diese Sozialleistung beziehen derzeit Menschen, die ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld aufgebraucht, aber weiterhin keinen Job haben. Künftig soll man dann nach dem Arbeitslosengeld in die Mindestsicherung fallen, was nach jetzigem Stand bedeuten würde, dass man, bevor man Geld bekommt, sein gesamtes Vermögen bis auf rund 4200 Euro aufbrauchen müsste – bei Bezug der Notstandshilfe ist das nicht der Fall.

Türkis-Blau möchte aber Ausnahmen schaffen, also gewisse Gruppen vor dem "Vermögenszugriff" schützen. Details liegen nicht vor, wer definitiv kein Schummler ist, hat Kanzler Kurz aber bereits klargestellt: "Wenn jemand sein Leben lang ins System eingezahlt hat und vor der Pension arbeitslos wird, wird keinesfalls Sorge haben müssen, dass auf sein Haus oder Erspartes zurückgegriffen wird." Die Statistik des Arbeitsmarktservice (AMS) zeigt: Mehr als ein Drittel der 167.000 Notstandshilfebezieher im Jahr 2016 war mehr als 50 Jahre alt.

Darüber hinaus geben die Österreich-Daten der SILC-Studie der Europäischen Union Aufschluss über die gesundheitliche Verfassung von Langzeitarbeitslosen: Jeder dritte Betroffene gibt dort an, mit einem "schlechten" oder "sehr schlechten" Gesundheitszustand zu kämpfen. Fast 60 Prozent der ganzjährig Arbeitslosen leiden an einer chronischen Krankheit. Jeder Vierte ist durch eine Behinderung beeinträchtigt.

Nicht viel zu holen

Die freiheitliche Führungsspitze hat mit der geplanten Maßnahme parteiintern für Unmut gesorgt. Neben der blauen Sozialministerin, die sich mehrfach gegen den Zugriff auf das Vermögen Arbeitsloser ausgesprochen hat, sind auch zahlreiche andere FPÖ-Politiker dagegen ausgerückt. Schließlich stellten zwei freiheitliche Landesparteichefs klar: Sozialmissbrauch wie etwa durch "junge Millionäre", die "AMS-Geld" beziehen, gehöre abgeschafft. Diesbezüglich gibt es keine Zahlen. Helmut Mahringer, Arbeitsmarktexperte des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) ist jedoch überzeugt: "Das Potenzial hält sich hier ganz gewiss in sehr engen Grenzen."

Grundsätzlich hält der Ökonom fest: "Personen, die nicht arbeitswillig sind, versucht man auch jetzt schon zu identifizieren. Ihnen wird das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe dann gesperrt." Darüber hinaus könne man davon ausgehen, dass Langzeitarbeitslose "nicht zu den vermögendsten Personengruppen zählen". Es sei also auch nicht viel zu holen.

Die sinnvollste Maßnahme sei es, den Betreuungsschlüssel im Arbeitsmarktservice zu erhöhen, sagt Mahringer: "So finden mehr Arbeitslose einen Job, und durch die bessere Kontrolle wird Missbrauch eher sanktioniert." (Katharina Mittelstaedt, 13.1.2018)