Hans Peter Haselsteiner ist einer der bedeutendsten Unternehmer des Landes und mischt sich auch politisch gerne ein, so unterstützte er etwa die Neos ebenso wie den Wahlkampf von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Regelmäßig im TV aufgetreten ist er zuletzt im Rahmen der Start-up-Castingshow "2 Minuten 2 Millionen" auf Puls 4. Aber wie gefällt dem Unternehmer die Richtung, in die sich Österreich derzeit entwickelt? Mit dieser Frage im Hinterkopf erfolgte die Interviewanfrage an ihn. Geworden ist es ein Gespräch über Gerechtigkeit und die Verantwortung von Unternehmern.

STANDARD: Wenn Sie sich eine utopische Gesellschaft in Österreich zurechtzimmern könnten: Was würden Sie ändern?

Haselsteiner: Ich glaube, in Österreich, wie in den allermeisten Industriestaaten, besteht derzeit die größte gesellschaftspolitische Herausforderung darin zu verhindern, dass erneut Kasten entstehen, und zwar im materiellen Sinn. Dass es also eine Milliardärs- und Millionärskaste gibt, aber abseits davon nichts mehr kommt. Die Verarmung des Mittelstandes halte ich für die größte Gefahr, dass es künftig nicht mehr genügend selbstbewusste Bürger gibt, die durch ihre große Zahl die Politik bestimmen können. Der Mittelstand ist seit 20 bis 30 Jahren unter Druck.

STANDARD: Woran merken Sie das?

Haselsteiner: Für mich ist Italien das allerbeste Beispiel. Ich kenne das Land gut, ich lebe in Südtirol und habe viele italienische Freunde. Es herrscht ein harter materieller Druck vor, davon erzählen mir meine Freunde. Deren Arbeitsplatz und Einkommen sind aber nicht einmal gefährdet. Aber die Leute springen nicht mehr weit. Als Baumeister ist es für mich immer ein Maßstab ob man sich noch leisten kann, ein Eigenheim zu bauen. Wer kann es sich noch leisten, in Wien eine Eigentumswohnung zu kaufen?

Haselsteiner setzt sich politisch gegen EU-Gegner ein.
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STANDARD: Ohne üppiges Startkapital der Eltern geht es für Junge im Regelfall nicht.

Haselsteiner: Das sollte ein Alarmzeichen sein. Wir haben Fortschritte gemacht. Die Bildung ist heute für wesentlich größere Teile der Bevölkerung offen als in den 50er- oder 60er-Jahren, als ich studiert habe, bei der Gleichstellung von Frauen sind wir weiter. Aber was die Einkommens- und Vermögensverteilung betrifft, ist der Weg unserer Gesellschaften negativ. In der Geschichte war es immer so, dass, wenn die Unterschiede zu groß geworden sind, dies eine sehr große Sprengkraft entfaltet hat. In einer utopischen Gesellschaft würde ich also – Hexerei – Einkommen und Vermögen angemessener verteilen.

STANDARD: Wenn Sie von Sprengkraft reden: Fürchten Sie, dass die Demokratie gefährdet ist, dass wieder Sündenböcke gesucht werden?

Haselsteiner: Alles das.

STANDARD: Was würden Sie also empfehlen zu tun?

Haselsteiner: Ich glaube, ohne ein Grundeinkommen wird es nicht gehen. Jeder soll diese Grundleistung erhalten und daneben noch die Möglichkeit haben, dazuzuverdienen, um gut leben zu können.

STANDARD: Das Geld dafür müsste irgendwoher kommen. Sie haben einmal einen 80-prozentigen Spitzensteuersatz vorgeschlagen, plädierten für Erbschaftssteuern.

Haselsteiner: Ich halte jede Vermögenstransfersteuer für angebracht, und ich halte Spitzensteuersätze von weit über 50 Prozent für angebracht.

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Würden zu hohe Spitzensteuersätze die Wohlhabenden vertreiben? Der französische Schauspieler Gérard Depardieu ließ sich in Russland einbürgern, um Steuern zu sparen.
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STANDARD: Wie sind Sie politisiert worden?

Haselsteiner: Ich bin ein politischer Mensch und wurde frühzeitig interessiert, durch meine Mutter und viele Debatten in meiner Studentenzeit. Im Laufe meiner Karriere hat sich bei mir eine Erkenntnis verfestigt: Als Unternehmer hat man nur eine einzige Aufgabe. Und die lautet, dass man es schaffen muss, dass möglichst viele erstklassige Menschen für dich bzw. mit dir arbeiten. Dann kann man ein wenig die Richtung vorgeben, gute Ideen haben. Das ist alles gut und schön. Aber der unternehmerische Erfolg ist immer der, den andere Menschen ermöglichen, da stehen wir im Gegensatz zum Maler oder Bildhauer.

STANDARD: Wie sehen Sie unter dem Blickwinkel der Verteilungsgerechtigkeit die Pläne der neuen Regierung? Debattiert wird ja ein Ende der Notstandshilfe.

Haselsteiner: Man wird abwarten müssen, was da als Gesetz vorgelegt wird. Ich kenne seit mindestens zehn Jahren eine arbeitslose Akademikerin, die Leistungen bezieht, obwohl sie drei Eigentumswohnungen geschenkt bekommen hat und davon gut leben könnte ...

STANDARD: ... drei Eigentumswohnungen geschenkt zu bekommen ist jetzt nicht sehr typisch.

Haselsteiner: Es ist weiter verbreitet, als Sie denken. Aber auch, wenn es nicht sehr typisch wäre, es ist auf jeden Fall ein Missstand. Wenn wir also dieses Thema angehen und sagen, es gibt Hartz IV auf der einen Seite in Deutschland, und wir haben auf der anderen Seite ein österreichisches Modell, das solche Dinge zulässt, vielleicht können wir dann eine Mischform finden und ein neues Modell schaffen, indem wir das Beste aus Hartz IV nehmen. Das ist schon eine der Notwendigkeiten, die ich sehe. Ich glaube auch, dass es ein europäisches Modell werden kann, die Förderung von Kindern an das jeweilige Preisniveau in dem Land anzupassen, wo diese leben. Ich kann daran noch nichts Unfaires erkennen.

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Hartz IV wird nun nicht mehr nur in Deutschland, sondern auch in Österreich hitzig diskutiert.
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STANDARD: Sie sprechen den Plan der Regierung an, das Kindergeld an das Preisniveau im jeweiligen Land anzupassen. Im Endeffekt kürzt man damit der slowakischen Pflegerin das Geld. Egalitärer macht das die Gesellschaft nicht.

Haselsteiner: Eine staatliche Unterstützung zu vergeben, ohne die wirtschaftliche Situation desjenigen zu beurteilen, der diese bekommt, geht immer in die Hose. Deswegen war ich schon immer der Ansicht, dass die Kinderbeihilfe in Österreich falsch läuft. Deswegen finde ich auch den neuen Kinderbonus, von dem der Vorstandsvorsitzende genauso etwas hat wie die Sekretärin, falsch. Das in Österreich heilige Gießkannenprinzip ist insbesondere, was Sozialleistungen betrifft, fehl am Platz, und für mich sind auch familienpolitisch motivierte Zuwendungen jenen vorzubehalten, die sie brauchen, und sollten nicht im gleichen Maße denjenigen zufließen, die sich damit einen luxuriöseren Urlaub finanzieren, als schon geplant war.

STANDARD: Freut es Sie, dass die Regierung die Körperschaftssteuer senken will?

Haselsteiner: Sehen Sie, seinerzeit, als die Körperschaftssteuer von 35 Prozent unter Finanzminister Karl-Heinz Grasser gesenkt wurde, haben ich und alle meine Unternehmenskollegen uns die Augen gerieben. Hätte Grasser die KöSt auf 28 Prozent gesenkt, hätte ihm jeder die Hand geküsst, das Gleiche, wenn er die Steuer auf 30 Prozent gedrückt hätte. Aber er ist tiefer gegangen, die drei Prozentpunkte hat er hergegeben für nichts und wieder nichts, dafür hat Grasser gar nichts eingetauscht. Ich denke auch nicht, dass eine KöSt-Senkung nennenswertes Wirtschaftswachstum generiert. Solche Dinge geben für den Unternehmer nicht den entscheidenden Anreiz zu investieren. Die entscheidende Frage muss immer sein, ob ich eine Investition in vernünftiger Zeit ins Verdienen bringen kann. Wenn dem so ist, sollte man sie machen, ansonsten nicht.

Hans Peter Haselsteiner.
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STANDARD: Warum unterstützen Sie die Neos? Viele Punkte die Sie ansprechen, ob Erbschaftssteuer oder Spitzensteuersätze, hier haben Sie ganz andere Positionen.

Haselsteiner: Ja, aber es gibt so viel anderes, was mit ihnen einhergeht. Wenn Sie nur ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen wollen, müssen Sie eine eigene Partei gründen. Ansonsten müssen Sie Kompromisse machen. Die für mich erträglichsten Kompromisse mache ich an den Neos. Es gibt viele Punkte die ich positiv und negativ bei allen Parteien bewerte. Am weitesten positiv ist es mit den Neos.

STANDARD: Die Steuertricks großer Unternehmen, aber auch reicher Persönlichkeiten waren viel in den Schlagzeilen. Einige sagen, alles ist erlaubt, was nicht verboten ist. Man kann einwenden, dass ein Verhalten moralisch falsch sein kann, auch wenn es nicht untersagt ist.

Haselsteiner: Uns ist die moralische Verantwortung verlorengegangen. Mein Vater hätte verschiedenen Menschen nicht die Hand gegeben, weil er gesagt hätte: Der hat zwar alle Gesetze eingehalten, nutzt aber irgendwas aus. Das tun wir nicht mehr. Es gibt keinen Sportler, den wir bannen, keinen Reichen, den wir nicht mehr einladen, der etwas ausnützt, etwa seinen Wohnsitz verlegt, um die Steuer zu vermeiden. Wenn einer das macht, wollen andere auch. Alle Erscheinungen, die wir beklagen, die Gier, kommt meiner Einschätzung nach davon, dass die Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist, diese Leute zu ächten.

STANDARD: Wie halten Sie es denn selbst? Geben Sie Ihrem Steuerberater eine Linie vor?

Haselsteiner: In früheren Jahren, als alles noch anders war, haben wir zwei Prozent des Umsatzes als pauschale Schmiergeldkasse gehabt. Die Finanz in Österreich hat uns das genehmigt. Wir haben gesagt: Wir hatten im Ausland 100 Millionen Schilling Umsatz und davon zwei Millionen nützliche Abgaben. Die wurden pauschal anerkannt, was das ist, haben alle gewusst. Dann hat man mit der Finanz diskutiert, dass da und dort fünf Prozent nötig waren. Hat man das glaubhaft machen können, hat man das auch anerkannt bekommen. Das ist noch keine 30 Jahre her. Daran erkennt man, was für ein Umdenken stattgefunden hat, heute wäre das ja völlig undenkbar. Ich glaube, diese schnellen Veränderungen haben viele überfordert.

STANDARD: Aber sollte ein Unternehmer dafür sorgen, dass auch seine Firma einen fairen Anteil bezahlt? Was sollte zum Beispiel der Facebook-Chef sagen?

Haselsteiner: Der Herr Zuckerberg sagt, die Steuerlast des Unternehmens ist zu optimieren. Daran wird man nicht sehr viel Kritik üben können, denn da muss man dem Gesetzgeber den Vorwurf machen: Macht es besser. Moralisch bedenklich wird es, wenn es in die persönliche Sphäre geht. Denn wenn es nicht in die persönliche Sphäre geht, hat derjenige, der es macht, immer eine gute Ausrede. Er kann sagen, ich bin verpflichtet, die Interessen meines Unternehmens zu wahren: Ich kaufe beim billigsten und nicht beim teuersten Lieferanten ein. Ich achte darauf, dass Preis und Qualität optimiert werden. Und jetzt soll ich ausgerechnet bei der Steuer anders denken. Insbesondere dann, wenn mir die EU sagt: Du darfst optimieren.

Wo sind die moralischen Grenzen des Unternehmertums? Weil die Strabag beim slowakischen AKW in Mochovce einen Bauauftrag annahm, protestierte Greenpeace gegen das Unternehmen. Die Strabag sagte, man habe nicht an den Reaktoren, sondern nur an einem Wirtschaftsgebäude daneben gearbeitet.
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STANDARD: Gibt es nicht eine moralische Grenze?

Haselsteiner: Diese kann ich nicht sehen. Als Unternehmensführer ist man verpflichtet zu optimieren. Seinen Wohnsitz zu verlegen wie Gérard Depardieu und andere, das kann ich nicht gutheißen, obwohl es legal ist. Aber wenn ein Unternehmen die Wahl hat, die Steuer in Frankreich zu zahlen oder in Irland, dann kann der Unternehmensführer nicht anders.

STANDARD: Aber ist er neben der Unternehmung nicht auch der Gesellschaft verpflichtet?

Haselsteiner: Lesen Sie nach im Aktiengesetz. Da ist die Gesellschaft nicht dabei. Als Unternehmensführer hat man eine klar definierte Verantwortung. Unmoralisch ist es vielleicht, eine unangemessene hohe Dividende zu zahlen. Es gibt auch eine andere ewige Debatte: Dürfen wir als Strabag ein Atomkraftwerk bauen, dürfen wir etwas bauen in einem sensiblen Naturschutzgebiet? Wir haben uns dazu durchgerungen, dass wir dürfen, wenn die diesbezüglichen Beschlüsse in einem demokratischen System zustande gekommen sind. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Strabag sehen das aber aus ihrer jeweiligen Grundeinstellung heraus kritisch.

STANDARD: Sie engagieren sich ja auch bei einer TV-Show für Start-ups. Was halten Sie denn von der Szene, wenn Sie sie mit ihrer Zeit als junger Unternehmer vergleichen?

Haselsteiner: Heute gibt es als Vorteil der neuen Technologien so viele Möglichkeiten, erfolgreich zu sein, das hat man sich in der Zeit, in der ich begonnen habe, gar nicht vorstellen können. Bei uns gab es ja abseits der großen "Tanker-Unternehmen" nicht viel Auswahl. Als ich begonnen habe, hat es noch kein Autotelefon gegeben. Dann hat es eines gegeben, das B-Netz, das 100 Kilo gewogen und einen Kofferraum beansprucht hat. Vielleicht 50 Personen hatten das.

STANDARD: Aber haben die Start-up-Unternehmer genug Durchhaltevermögen?

Haselsteiner: Die einen haben es, die anderen nicht. Die Leute können ihr Start-up heute viel schneller bekannt machen. Dafür bekommen sie viel schwieriger Geld, vor allem wenn es um langfristige Finanzierung geht. Ich halte die Szene für bemerkenswert und finde es gut, dass es sie gibt. Auch wenn die Trefferquote gering sein mag, ein paar werden es schaffen, und die werden vielleicht sehr erfolgreich sein. (András Szigetvari, 14.1.2018)