Dieses Bild wurde von Johannes Rauhs, der mit einer Behinderung geboren wurde, gemalt. Der 13-Jährige geht gern in die Hans-Radl-Schule, eine Sonderschule, noch lieber aber in sein Atelier. Ein Teil seiner Werke ist noch bis Mitte März in der Caffè-Bar Hold (Josefstädter Straße 50, 1080 Wien) ausgestellt.

Foto: Johannes Rauhs
Foto: Heribert Corn

Wien – Wie soll es in Österreich mit den Sonderschulen weitergehen? Abschaffen, wie viele unter Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention fordern? Langsam zur "Ausnahme" werden lassen, wie es die vorige rot-schwarze Regierung bis 2020 geplant hatte? Oder als Bestandteil des Schulsystems weiter erhalten? Die türkis-blaue Koalition setzt auf Letzteres. Im Regierungsprogramm steht als Ziel: "Erhalt und Stärkung des Sonderschulwesens".

Was aber wollen die Betroffenen? Die Eltern behinderter Kinder? Behindertenorganisationen?

Clemens Rauhs, Elternvereinsvorsitzender an der Hans-Radl-Schule in Wien, einem Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik, an dem behinderte und nichtbehinderte Kinder in einer Volks- und einer Sonderschule sowie einer Neuen Mittelschule unterrichtet werden, geht es vor allem "um die Erhaltung, Sicherstellung und Verbesserung von bestmöglichen Bildungsmöglichkeiten auch für Menschen mit Behinderung – und die ist derzeit in Sonderschulen offenbar besser gegeben", sagt er dem STANDARD.

Wider die Segregation

Er und seine Frau Katharina haben vier Kinder, der Älteste, Johannes, kam 2004 mit einer Behinderung auf die Welt, und die Sonderschule ist für die Familie ein Ort, an dem sie ihr Kind bestmöglich betreut und gefördert weiß. Aber Elternvertreter Rauhs plädiert dafür, "diese besonders ausgestatteten Schulen auch für andere Kinder zu öffnen, wo es Sinn macht, etwa im Werk- und Sportunterricht oder bei schulischen Freizeitaktivitäten, weil der Kontakt zwischen behinderten und nichtbehinderten Kindern beiden guttut. Es ist nicht der richtige Weg, durch Schaffung von möglichst vielen Schultypen zu segregieren."

Rauhs macht aber eine Einschränkung: "Durch schlechte Inklusion dürfen die Bildungsmöglichkeiten für behinderte Kinder nicht verschlechtert werden. Derzeit gibt es schlicht zu wenig Ressourcen, um gute Inklusion zu schaffen." Dann lieber noch eine Zeitlang in guten Sonderschulen lernen, "aber sie dürfen nicht die Langfristlösung werden, die zur Restschule mutiert", warnt er und betont: "Für die Gesellschaft ist am besten ein möglichst hoher Grad an Inklusion."

Eine Frage der Ressourcen

Die ungenügenden Ressourcen sind auch das Argument der Pflichtschullehrergewerkschaft, warum sie derzeit gegen eine Abschaffung der Sonderschulen ist.

Laut Statistik Austria gab es im Schuljahr 2016/17 in Österreich 287 Sonderschulen bzw. 1644 Sonderschulklassen mit insgesamt 13.830 Schülerinnen und Schülern (65 Prozent Buben, 35 Prozent Mädchen), inklusive jener, die nach dem Lehrplan der Sonderschule in anderen Schulen unterrichtet werden. Im Pflichtschulbereich besuchen 2,4 Prozent der Kinder eine Sonderschule. Ein sonderpädagogischer Förderbedarf wiederum wurde österreichweit insgesamt 5,4 Prozent der Schüler bescheinigt. Im Finanzausgleich für 2017 bis 2021 ist aber ein Deckel bei 2,7 Prozent für Sonderpädagogik eingezogen.

Eindeutig ablehnend auf die türkis-blauen Pläne reagiert Martin Ladstätter. Der Obmann von Bizeps, dem ersten österreichischen Zentrum für selbstbestimmtes Leben, sieht im Erhalt der Sonderschulen "einen großen Rückschritt, der auch das Menschenrecht auf Inklusion infrage stellt", zumal sich die Uno schon 2013 im Rahmen der Staatenprüfung Österreichs bei der Einhaltung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen "besorgt gezeigt hat, dass die Fortschritte in Richtung inklusiver Bildung in Österreich stagnieren". Aus dieser Sorge werde nun Gewissheit, sagt Ladstätter, der auch Mitglied des unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention ist.

Inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen

Sie ist in Österreich seit 2008 in Kraft, die Unterzeichnerstaaten "gewährleisten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen". Mit Verweis auf das Deutsche Institut für Menschenrechte sagt Ladstätter, "dass das Prinzip der Inklusion mit Sonderschulen unvereinbar ist. Die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen muss endlich auch in Österreich beendet werden, denn häufig verlaufen Lebenswege von Betroffenen über Sonderschulen direkt in Beschäftigungstherapien und dann in Heime."

Diese Befürchtung äußert auch Albert Brandstätter, Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich, die die Interessen von Menschen mit intellektuellen Behinderungen vertritt. Die Sonderschule zeichne oft "die Einbahnstraße Richtung Betreuungsangebot oder Einsatz ohne Arbeitslohn in Werkstätten statt Teilhabe an der Arbeitswelt vor". Darum sehe die Lebenshilfe das türkis-blaue Bildungskapitel "äußerst kritisch, da es eher den Geruch der Elitenbildung und Segregation – als ,bewährte Differenzierung' umschrieben – verströmt als das Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention, dass Kinder mit Behinderungen an allen Bereichen der Bildung gleichberechtigt teilhaben können".

Eine Schule für alle

Was möchte die Lebenshilfe? Brandstätter: "Inklusion bedeutet, alle können die gleichen Angebote nutzen und erhalten die individuell nötige Unterstützung." Die Lebenshilfe fordere daher, die "Sonderschulen – schon der Begriff ist zu hinterfragen – in integrale Teile des Regelschulwesens zu transformieren, also die Kompetenz der darin Lehrenden und die gute Begleitung von Kindern mit Behinderungen sollen weiter ermöglicht werden – aber innerhalb einer Schule für alle." Oder, zitiert Brandstätter den vormaligen deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der gesagt hat: "Was im Vorhinein nicht ausgegrenzt wird, muss hinterher auch nicht eingegliedert werden." (Lisa Nimmervoll, 15.1.2018)