Eigentlich ist er im Ruhestand. Aber einer wie er kann natürlich keine Ruhe geben. So ist er bis knapp vor Weihnachten geschäftig in halb Europa unterwegs und empfängt uns knapp vorm Christbaumkerzenentzünden in seinem steirischen Domizil bei Heimschuh. Heinz Hollerweger, Jahrgang 1953, gebürtiger Linzer und Urgestein bei Audi, in Ingolstadt lange Jahre Leiter Entwicklung Gesamtfahrzeug, zuletzt, 2014 bis Anfang 2016, Chef der Quattro GmbH (heute Audi Sport GmbH; Flaggschiff: Audi R8), ist derzeit in beratender Funktion für Seat tätig – sein "Baby" ist der Leon Cupra R mit 310 PS, ein aktueller Österreich-Bezug wäre seine Vortragstätigkeit an der FH OÖ Campus Wels. Ein wenig steht Hollerweger immer noch der Spitzbub ins Gesicht geschrieben, sehr anheimelnd, und wenn er in aller Kurzweiligkeit Episoden aus einem langen Technikerleben in führender Position zum Besten gibt, drängen sich nicht von ungefähr Assoziationen mit Ludwig Thomas Lausbubengeschichten auf.

Heinz Hollerweger, bis März 2016 Chef der Quattro GmbH, auf dem Prüfgelände.
Foto: Audi

Über den Ur-Quattro von 1980 wollen wir was wissen? Über seinen Beitrag, dass jenes berühmte Automobil, mit dem Audi den Weg zur Premiummarke antrat, überhaupt fahrbar war? Gerne. "Ich war damals für Fahrwerks- und Karosserieakustik zuständig. Das betraf auch Vibrationen, Schwingungstechnik. In der technischen Entwicklung, die damals viel kleiner war, unter Federführung von Ferdinand Piëch, 1200, 1500 Leute. Heute sind es 9000, überhaupt kein Vergleich." Im großen Werkstattgebäude gab es ein Viereck, das war abgesperrt. Höchste Geheimhaltung. "Das war bei Piëch ja immer so. Da könnte ich viele Storys erzählen über das, was wir an Geheimhaltung getrieben haben."

Hadschi Halef Hollerweger bei Abnahmefahrten in der Wüste.
Foto: Audi

Erst gab es Gerüchte, es ginge um die Wiederbelebung der Motorradmarke NSU – falsch, der Ur-Quattro war's, 1978, 79. "Die Quattro-Idee", erläutert Hollerweger, "ist eigentlich so entstanden. VW hat für die Bundeswehr den VW Iltis gebaut. Damals wollten wir eine Zivilversion bauen, da haben wir den Iltis auf Winterfahrt mitgenommen. Unterwegs waren wir mit Audi 80 und 100, und immer wenn ein Auto zum Herausziehen war, haben wir das mit dem Iltis gemacht. Da hat der Piëch damals gemeint, warum können wir das nicht auch für den Pkw machen? Das war der Impuls. Das erste Auto damals war ein Audi 80 mit Iltis-Achsen."

Hollerweger hatte es nicht immer leicht und musste auch am Beifahrersitz von zweifelhaften Fahrern Platz nehmen.
Foto: Audi

Wie gesagt: großer, geheimer Raum, in dem immer die Vorentwickler verschwanden. "Irgendwann sind die dann zu meinem Chef gekommen: Wir haben ein Vibrationsproblem. Ob Sie uns da helfen können? Er hat gesagt: Das macht der Hollerweger. Dann sind sie zu mir gekommen, und ich meinte, das müsse ich mir anschauen. Da haben sie rumgedrückt und gesagt, streng geheim. Ja gut, aber ihr müsst mir das schon zeigen. – Was heißt zeigen? – Na ja, eigentlich muss ich fahren mit dem Auto, damit ich ungefähr ein Gefühl dafür kriege. – Au. Ganz schlecht ..." Aber irgendwann hieß es dann: "Du kommst heute Nacht um 23.00 Uhr vor diesen Eingang. Ich komme also dorthin, die Typen machen mir auf und verbinden mir erst einmal die Augen. Dann haben sie mich hinten in ein Auto gesetzt und sind irgendwo hingefahren, keine Ahnung wohin. Drei andere Vorentwickler war noch mit drin. Dann sind sie in der Pampa stehengeblieben, haben mir die Augenbinde abgenommen und gesagt: So. Das ist jetzt das Auto. Da kannst zwei, drei Kilometer die Straße rauf und runterfahren, mit 120 Sachen. Irgendwo im Wald. Sie hatten ein Problem mit der Vorderachse, heftiges Vorderachsschütteln. Ich meinte, jetzt weiß ich ungefähr, was das ist, aber wenn ich da helfen soll, muss das Auto auf den Rollenprüfstand. Also das geht gar nicht. Wenn ich ihnen jetzt nicht sagen kann, wie sie das hinkriegen, kann ich mich gleich wieder schleichen. Ich bin also zu meinem Chef gegangen, hab' ihm gesagt, schaut aus nach Vorderachsunwucht, aber was und wie, keine Ahnung."

Heinz Hollerweger bei der Arbeit.
Foto: Audi

Dann hätten die Jungs rumgebastelt, ohne weiterzukommen, "weil sie die Schwingungstechnik nicht verstanden haben. Dort wo sich was bewegt, in den Querlenkern, hatten sie gedacht: versteifen, versteifen, versteifen. Aber das hilft bei einer krafterregten Schwingung nichts. Man muss dämpfen. Das haben sie aber damals nicht gewusst. Also waren sie nach drei Wochen wieder da: Wir kommen nicht weiter. Ich: Auto her, Prüfstand. Selbes Procedere wieder: In der Nacht kommen sie mit dem abgedeckten Auto. Geheimhaltungserklärung. Dann haben sie es auf den Rollenprüfstand geschoben, bin dann auf der Rolle gefahren und rund ums Auto und habe gesehen, wie die Vorderachse pumpert." Gegenmaßnahmen? "Gedämpfte Lager, Störkrafthebelarm undundund, und schön langsam, in etwa einem halben Jahr, haben wir das Ding dann ins Ziel gebracht."

Till Drohnenkiller bei der Quattro GmbH.
Foto: Audi

Und die Sache mit dem Drohnenalarm? Die geht so. Eigentlich schlüssig: Wer am Anfang der Karriere vor lauter Geheimhaltung sogar eine Augenbinde tragen muss, braucht sich nicht wundern, wenn er am Ende selbst eine Geheimhaltungsparanoia entwickelt. In seiner Zeit als Quattro-Chef kamen die Drohnen auf, Hollerweger wies das Sicherheitspersonal am Testgelände ständig darauf hin, den Himmel blicktechnisch nach solch feindlichen Eindringlingen abzuscannen. Eines Tages riefen dann alle Mitarbeiter: "Chef, Chef, eine Invasion!" – nein, falsch, das ist aus Asterix und die Goten. "Chef, Chef, Drohnenalarm!" "Wo, wo?" "Na da", und schon drückten sie ihm eine Flinte in die Hand – er solle die Drohne abschießen. "Aber ich kann gar nicht schießen!" Egal, und vor allem schnell jetzt, sonst ist die Drohne weg. Hollerweger also hoch die Flinte, Kimme, Korn und päng!, runter kracht der Eindringling. Der Mann ist bass erstaunt über seine unvermuteten Schießkünste – bis man ihn aufklärt, dass weiter hinten ein Profischütze gewartet, im selben Augenblick abgedrückt hat wie Hollerweger und den Vogel runtergeholt hat. Da ist das G'lachter groß. Und statt der Eulenspiegelmütze mit Schellen kriegt der Chef eine Drohnenhaube mit Propellern. (Andreas Stockinger, 20.1.2018)