Heinz Fischer und Joachim Gauck (hier auf einem Archivbild von 2016) machten sich Montagabend im Wiener Audimax Gedanken über die Zukunft der Demokratie.

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Wien – Demokratie, sagt Ex-Bundespräsident Heinz Fischer, sei gewiss kein Patentrezept mit unbegrenzter Erfolgsgarantie. Das werde sie auch nie sein. Aber die Erfahrung zeige, dass die Demokratie jene Regierungsform sei, "in der sich eine moderne Gesellschaft am besten entfalten kann" und in der die Menschenwürde am besten geschützt sei. Besorgt, aber doch optimistisch für die Zukunft der Demokratie – das war auch der Tenor aus den verschiedenen Wortmeldungen bei der Podiumsdiskussion "Was ist uns die Demokratie wert?" im Wiener Audimax am Montagabend. Sie ist im ausklingenden Semester das Thema der Reihe "Semesterfrage", die von der Uni Wien in Kooperation mit dem STANDARD veranstaltet wird.

Fischer, der mit seiner Rede die Einführungsworte zum Vortrag von Deutschlands Altpräsident Joachim Gauck sprach, betonte auch, dass Österreichs Demokratie der Zweiten Republik von den Erfahrungen der Ersten Republik gelernt hatte. Das erfülle mit Hoffnung. Zwar wiederholte der Ex-Staatschef seine jüngst geäußerte Sorge, dass "die Demokratie nicht unzerstörbar" sei. Allerdings: "Sie ist schon sehr fest gebaut und hat solide Wurzeln. Sie kann sich gegen ihre Feinde wehren."

Und plötzlich gibt keiner den Tagesablauf vor

Gauck selbst stellte seine Rede unter den optimistischen Titel "Demokratie: Immer schwer – aber immer Zukunft", räumte dann aber gleich zu Beginn ein, dass "der Blick auf die Realität nicht gerade optimistisch" stimme. Er betonte die Sorge vor den Erfolgen populistischer Politiker und Bewegungen in Europa, den "illiberalen Demokratien" und den Entwicklungen anderswo: "Wenig hat mich als überzeugten Transatlantiker so sehr irritiert wie der Ausgang der letzten Wahlen in den Vereinigten Staaten." Die Entwicklung in den USA sei "etwas, was uns noch Jahrzehnte Grund zum Nachdenken liefern" werde.

Deutschlands Altpräsident schilderte die Anziehungskraft populistischer und antidemokratischer Gruppen auch vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen im Rostock der DDR. Als die Freiheit nach langen Demonstrationen endlich gekommen sei, hätten sich manche überfordert oder einsam gefühlt. "Keiner hat das Mittagessen hingestellt, keiner sagt, wie der Tagesablauf ist." Es gebe auch Furcht vor der Verantwortung. Der Sehnsuchtsort Demokratie könne so zu einem abschreckenden Ort werden, an dem populistische Versprechungen tröstlich wirkten. Demokratische Parteien müssten sich der Wirkung derartiger Ängste bewusst sein. Das betreffe vor allem die heutige Zeit, in der viele tiefe Veränderungen als besonders schnell erlebt würden. Denn die Demokratie habe den Nachteil, "dass sie sich auch selbst gewaltfrei abschaffen kann".

Als Merkel "idealistische Vorstellungen" umsetzte

Es sei daher nötig, dass die Politik wieder mehr Toleranz gegenüber unterschiedlichen Meinungen finde und auch Probleme – Gauck nannte dabei etwa Kriminalität unter Einwanderern – selbst anspreche. Wie er sich das vorstelle, führte er dann später in der Debatte aus: "Wir müssen uns zutrauen, eine robustere, zivile Debatte zu führen. Lasst uns ruhig mal deutlich sagen, was uns stört, damit nicht diejenigen, die wirklich Gründe habe, Problemfälle zu benennen, an den äußersten linken und rechten Rand gehen müssen." Es sei für ihn als Präsidenten "nicht einfach gewesen, als Angela Merkel meine idealistischen und evangelischen Vorstellungen von Menschenfreundlichkeit" in der Einwanderungspolitik in die Tat umsetzte. Auch in Teilen der Bevölkerung, "die nicht reaktionär waren", habe er damals ein großes Fragezeichen zur Zukunft wahrgenommen.

In seiner Rede hatte Gauck aber auch gefordert, bei Grundsatzfragen international mehr Entschiedenheit zu zeigen. Die EU etwa werde erpressbar, wenn sie den Zusammenhalt der Gemeinschaft über die Einhaltung von demokratischen Grundregeln in den Mitgliedsstaaten stelle, sagte er etwa mit Blick auf Ungarn und Polen.

Man dürfe die Demokratie auch nicht unterschätzen. Es gebe kein Land mit einem anderen Gesellschaftsmodell, von dem er glaube, dass eine relevante Zahl von Bürgern "aus unseren unvollkommenen Demokratien" gern dorthin auswandern würden. Allerdings plädierte Gauck auch dafür, Entscheidungen wieder verständlich zu erklären. Er fordere von Politikern die Leistung einer "erhellenden Vereinfachung" von komplizierten Themen.

Die "offene Flanke der Demokratie"

Darauf kam in der folgenden Diskussion auch der Osteuropa-Historiker Oliver Schmitt. Er als Schweizer finde dieses Konzept in Wahlkämpfen der direkten Demokratie wieder. Derzeit etwa laufe in der Schweiz eine Kampagne über die Vollgeldinitiative. Diese habe große Auswirkungen, sei aber für einen bedeutenden Teil der Schweizer "Stimmbürger" nicht zu verstehen. Das sei ein solcher Fall von "erhellender Vereinfachung", die im Schweizer System eine schlichte Notwendigkeit werde.

Verfassungsjuristin Magdalena Pöschl verwies demgegenüber auf den Schutz von Minderheitenrechten. Es sei bedeutsam zu verstehen, dass Minderheiten "die offene Flanke der Demokratie" seien. Damit Demokratie funktioniere, brauche es zudem unabhängige Medien. Kommunikationswissenschafter Hajo Boomgaarden nahm diese gleich in die Pflicht. Vor allem in den vergangenen Jahren habe er auch bei Qualitätsmedien "Erosionsprozesse" festgestellt, statt politischer Inhalte stehe immer wieder das Schicksal einzelner Politiker oder der Streit im Mittelpunkt. (Manuel Escher, 16.1.2018)