Marlis Petersen über die Koloraturen von Maria Stuarda: "Wenn es einer Figur gerade schlecht geht, darf es nicht nur bravourös und schön klingen, sondern braucht manchmal auch Mut zum Hässlichen."


Foto: Monika Rittershaus

STANDARD: Vor einigen Jahren hätte man Sie überall erwartet, nur nicht in einer Belcanto-Oper.

Petersen: Ja, es ist auch sehr aufregend für mich, da ich ja eigentlich keine Belcanto-Spezialistin bin. Ich hatte immer einen großen Respekt vor diesen Sachen, war aber am Ende immer sehr dankbar, weil man da hineinwächst und viel lernt. Ich dachte früher, ich könne das gar nicht – da ich vom deutschen Repertoire komme und ein Schwäbisch sprechendes Mädel bin. Mit dem Älterwerden habe ich mich aber sehr damit angefreundet – gerade, wenn man so starke Geschichten über extreme Schicksale hat.

STANDARD: Was steht im Zentrum dieser Geschichte von Donizettis "Maria Stuarda"?

Petersen: Es ist ein hochdramatisches Thema, ein Stück über zwei ähnlich starke Frauen. Mit meinem Gegenüber, Alexandra Deshorties als Elisabetta, ergibt sich ein wunderbares Gleichgewicht. Wir sind beide sehr unterschiedlich, aber auf einem ähnlichen Energielevel. Ich war am Anfang etwas über die Bühne überrascht, die sich Regisseur Christof Loy und die Ausstatterin Katrin Lea Tag ausgedacht haben.

Da gibt es erst einmal gar nichts, woran man sich festhalten kann, da es eine leere, sich drehende Fläche ist, allerdings mit mehreren Ebenen. Dann hat sich aber gezeigt, dass das Bühnenbild erstaunliche Blicke auf die Figuren und ihre Emotionen ermöglicht. Das war schon ein sehr spannender Prozess.

STANDARD: Wie viel von dieser gedankenreichen Regiearbeit lässt sich aus dem Stück ableiten, wie viel ist Interpretation?

Petersen: Ich denke, dass wir musikalisch an der italienischen Tradition nahe dran sind, dass aber manchmal auch die Musik zugunsten der Szene für einen Moment anhält: wenn Fermaten oder Pausen länger sind, als es geschrieben steht. Das ergibt einen ganz anderen Blick auf diese Tradition. Die Aufmerksamkeit wird sehr auf die einzelnen Personen gerichtet: Es geht zwar um die beiden historischen Königinnen, die sich begegnen, aber zugleich sind sie sehr stark ins Heute gerückt. Es geht um Machtansprüche, darum, wie Menschen übereinander urteilen, über das Einflussnehmen auf andere.

Loy macht das sehr klug, indem er über den kommentierenden Chor von Anfang an eine Betrachtungsebene einzieht. Die Historie wird nach und nach ausgeblendet, um immer näher an die Emotionen heranzurücken. Das ist toll – wie ein Spotlight auf die Figuren!

STANDARD: Wenn Sie Koloraturen singen, klingt das ungewöhnlich lebendig. Wie kommen Sie zu diesem Ausdruck?

Petersen: Ich habe mich beim Studium vor den Proben sehr intensiv mit den Koloraturen und Kadenzen auseinandergesetzt – und in meinem Sinne geschaut, wie ich sie emotional empfinde. Ich finde, das muss alles aus der Seele oder aus der Stimmung kommen, aus dem Moment, wie sich eine Figur gerade fühlt. Es sollte keine reine Kunstfertigkeit oder Show sein. Wenn es einer Figur gerade schlecht geht, darf es nicht nur bravourös und schön klingen, sondern braucht manchmal auch Mut zum Hässlichen. Da gab es auch einen Dialog mit dem Dirigenten. Früher haben die Primadonnen ja gemacht, was sie wollten, und es ist immer spannend, ob man sich da einigen kann. Am Anfang war er an manchen Stellen skeptisch, dann hat er aber zugehört und vieles überzeugend gefunden. Und auch mit der Szene hat sich das später dann wunderbar entwickelt.

STANDARD: Ihre neue CD aus einem dreiteiligen Projekt "Dimensionen – Welt" ist kürzlich erschienen. Überhaupt scheinen Sie dem Lied in den letzten Jahren mehr Raum in Ihrer Tätigkeit zu geben.

Petersen: Ja, das stimmt. Meine neue CD-Reihe ist wirklich ein Herzensprojekt von mir, über das ich auch sehr glücklich bin. Es ist ein großer Aufwand, wenn man auf die Suche nach Liedern geht, um sie einem Großkonzept einzugliedern. Ausgangspunkt war für mich die Frage nach den "Dimensionen" des Menschseins: Wo bewegen und was bewegt uns Menschen heute?

Mich interessiert die Frage, wie wir mit dem Hier und Jetzt umgehen. Sehen wir unsere Welt noch mit wachen Augen, oder lassen wir uns vereinnahmen vom Müssen und Sollen und den Vorstellungen, wie etwas zu sein habe? Wie leicht vergisst man die Schönheiten unseres Daseins und unserer Natur.

In der Musik der Romantik findet sich sehr viel zu diesem Thema. Der Zusammenhang zwischen den Kapiteln entstand dann wie von selbst. Für mich war es auch sehr inspirierend, dass ich Cover und Booklet zum großen Teil selbst kreieren konnte. Bei so einem Schaffensprozess kommen einem natürlich ganz viele Ideen für weitere Projekte. (Daniel Ender, 18.1.2018)