Im September begann Deutschland wieder mit Rückschiebungen nach Afghanistan. Für das Land eine Herausforderung, wie die afghanische Botschafterin in Wien sagt.

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Wien – Khojesta Fana Ebrahimkhel, neue afghanische Botschafterin in Wien, ist zwar erst wenige Wochen im Amt, verspricht aber schon jetzt, sich für den Stopp von Zwangsabschiebungen abgelehnter afghanischer Asylwerber einzusetzen. Mit dem Krieg habe ihr Land alles verloren, sagt sie. Der Aufbau benötige noch Zeit und vor allem internationale Hilfe.

Bereits im Oktober hatte der afghanische Minister für Flüchtlingsangelegenheiten, Sayed Balkhi, am Rande eines Besuches in Wien die EU-Staaten aufgefordert, Afghanen mit negativem Asylbescheid nicht mehr unter Zwang in ihre Heimat abzuschieben. Auf die Frage, ob sie sich in den geplanten Gesprächen mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ebenfalls dafür stark machen werde antwortet Ebrahimkhel ohne zu zögern: "Ganz bestimmt." Die Sicherheitslage sei "nicht so gut", umschreibt sie die Situation. So hoffe sie, "für die Menschen, die alles verloren haben und jetzt beginnen, sich in Europa etwas aufzubauen, eine faire Lösung zu finden".

Angriffe auf Familien

Grundsätzlich gebe es zwar in Afghanistan ausreichend Orte, wo die Taliban und andere Extremisten keinen Zugriff hätten und sich dort also niemand vor Verfolgung fürchten müsse. Andererseits könne es den Terroristen jederzeit und überall gelingen, einen Anschlag oder ein Attentat zu verüben. Hinzu käme, dass die Taliban in vielen Fällen nicht nur hinter jenen Personen her seien, die für die afghanische Regierung oder die internationalen Partner tätig sind, sondern teils auch deren Familien verfolgten.

"Die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan war im vergangenen Jahr so hoch wie nie zuvor, und um flächendeckende Sicherheit zu schaffen, benötigt es vor allem eines: die ausländische Unterstützung für Terrorgruppen in Afghanistan muss unterbunden werden", so die Botschafterin in Anspielung auf die radikalislamischen Taliban oder die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Erst dann werde sich die Sicherheitslage verbessern, die Frage der Flüchtlinge sich infolgedessen "so nicht mehr stellen", meint Ebrahimkhel.

600.000 Rückkehrer aus Pakistan

Derzeit habe sie noch Sorge, dass nach Afghanistan abgeschobene Asylwerber "Opfer von Gewalt durch Terroristen werden könnten, und daher fordern wir, dass eine faire und sichere Vorgehensweise gegenüber Flüchtlingen und Migranten sichergestellt wird", betont die Diplomatin. "Aber auch für jene, die sich dazu entschließen, in ihrer Heimat zu bleiben, müssen wir Lösungen finden."

Bei der Betreuung der rückgeschobenen Asylwerber sei die Regierung in Kabul jedenfalls "noch länger auf Unterstützung angewiesen", betont sie. Alleine aus Pakistan habe man 600.000 afghanische Rückkehrer zu versorgen. Angesprochen auf die Pläne, ein neues Terminal auf dem Kabuler Flughafen zu bauen – unter anderem, um die vielen Rückkehrenden schon bei Ankunft richtig betreuen zu können – teilt Ebrahimkhel mit, dass eine Prüfung des Baus weiterhin im Gange sei. Sie rechne aber – abgesehen von der Menge der Rückkehrer – generell mit einem erhöhten Flugaufkommen. Ein drittes Terminal sei also sinnvoll.

Junge Bevölkerung als Potenzial

In den vergangenen 15 Jahren habe Afghanistan wichtige Fortschritte gemacht, lobt Ebrahimkhel. Das größte Potenzial des Landes ortet sie in der jungen Bevölkerung – 65 Prozent der Afghanen sind unter 25 Jahre alt, die Nation ist eine der jüngsten weltweit. "Diese junge Generation, das ist der Hauptgrund für meinen Optimismus", sagt die Mutter von vier Kindern. Außerdem seien ihre Landsleute besonders resilient. Ebrahimkhel: "Wenn wir fallen, stehen wir sofort wieder auf."

"Ich wuchs in einer Zeit auf, in der Afghanistan florierte", erinnert sich die heute 53-Jährige. Menschenrechte, gleiche Rechte für Frauen und Männer seien für sie selbstverständlich gewesen. "Das war eine andere Gesellschaft. Aber mit dem Krieg haben wir das alles wieder verloren. Der Krieg hat alles zunichtegemacht und wir mussten wieder von Null anfangen", sagt die Diplomatin, nicht ohne etwas Wehmut in der Stimme.

Wahlen im Juli

Zum Streit zwischen dem Gouverneur der nördlichen Provinz Balkh (Balch), Atta Mohammad Noor, und Präsident Ashraf Ghani, den manch Beobachter sogar zu der Aussage veranlasste, dem gesamten Land drohe die Spaltung, meint Ebrahimkhel nur, dass dieser bereits wieder beigelegt sei. Und: "Meinungsverschiedenheiten gibt es in jedem Land, vor allem vor Wahlen." Der Weg der Demokratie sei eben beschwerlich und bringe Konflikte mit sich, aber "wir kennen keinen besseren Weg". Eine Spaltung des Landes sieht sie jedenfalls "ganz klar nicht": "Afghanistan ist ein unteilbares Land." Die Parlamentswahl soll plangemäß im Juli stattfinden – natürlich sei das aber auch von der Sicherheitslage abhängig, so Ebrahimkhel. (APA, 18.1.2018)