Wien – Die Vorhersage von Influenzaepidemien ist eine komplexe Sache. Nicht nur, weil Grippeviren sich ununterbrochen verändern. Blickt man auf die Weltkarte, brechen Infektionskrankheiten scheinbar irgendwo aus, tauchen dann an verschiedenen Punkten auf und breiten sich – in der immer stärker vernetzten Welt scheinbar keinem klaren Muster folgend – aus.

Komplexitätsforscher eruieren, wo die Krankheit ihren Anfang genommen hat und wie schnell sie sich ausbreitet. Sie können zudem in der Nachbetrachtung Modelle entwickeln, anhand derer man erklären kann, wie sich zum Beispiel Influenza auf der Welt weiterverbreitet.

Netzwerke analysieren

"Das kann man verstehen, wenn man sich zugrundeliegende Netzwerke anschaut: die physikalischen Kontakte zwischen den Menschen", sagt Peter Klimek vom Institut für die Wissenschaft komplexer Systeme der Med-Uni Wien. "Man muss sich also zum Beispiel anschauen, wie viele Menschen von einem Land ins andere fliegen."

Bild nicht mehr verfügbar.

Temperaturcheck bei einer Flugpassagierin zur Vermeidung der Seuchenverbreitung am Flughafen Hong Kong (2015).
Foto: AP/Kin Cheung

So zeigten Klimeks Kollegen Dirk Brockmann von der Humboldt-Uni in Berlin und Dirk Helbing von der ETH Zürich im Fachmagazin Science 2013, wie sich Infektionskrankheiten wie die H1N1-Pandemie 2009 auf Flugnetzen vorhersagbar und systematisch ausbreiteten.

Ein Video von Komplexitätsforscher Dirk Brockmann (HU Berlin) zeigt die Verbreitung einer Pandemie über "effektive Distanzen".
Dirk Brockmann

Was irgendwo auf der Weltkarte wie das unsystematische Aufleuchten neuer Krankheitsfälle aussah, folgt in der Darstellung "effektiver Distanzen" in kreisförmiger Ausbreitung einem System.

"Traditionelle Karten sind für uns irrelevant", sagt denn auch Dirk Brockmann.

Grafik: Dirk Brockmann/HU Berlin, Standard

Von Google gab es den Versuch, den Ausbruch von Grippewellen anhand entsprechender Sucheingaben festzustellen. Google Flu Trends habe aber nicht funktioniert, weil man das System nicht kontinuierlich lernen lassen habe. "Die Menschen und ihre Suchanfragen haben sich über die Jahre geändert", sagt Klimek.

8400 Neuerkrankungen

In Österreich überwacht das Zentrum für Virologie der Med-Uni Wien die Zahl der Neuerkrankungen: vorige Woche rund 8400 grippale Infekte und Grippefälle allein in Wien. Aktuell dominiert der Virustyp B / Yamagata, den nur der neue Vierfachimpfstoff abdecken kann.

Neben der Analyse der Virenverbreitung in Echtzeit wäre laut Klimek auch wichtig, anonymisierte Gesundheitsdaten im Nachhinein auszuwerten und sich den Verlauf anzuschauen, um Vorhersagemodelle zu verbessern.

"Gesundheitsdaten für die Forschung leichter zugänglich zu machen ist im Elga-Gesetz aber nicht vorgesehen", kritisiert der Komplexitätsforscher. "Davon könnte man extrem profitieren. Denn je besser ich weiß, was los ist, desto besser kann ich darauf reagieren und im Gesundheitssystem planen."

Ruf nach mehr Gesundheitsdaten

Klimek hat einen großen Forschungsdatensatz aus den Jahren 2006/07 des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger ausgewertet und daraus Schlüsse über die Häufigkeit von Diabetes bei bestimmten Geburtenjahrgängen und über etwaige mit Diabetes zusammenhängende Krankheiten gezogen.

"Wenn man diese inzwischen historischen Daten heranzieht, umfasst das nur zwei saisonale Grippewellen", gibt Klimek zu bedenken. "Es ist etwas anderes, ob ich zwei oder 20 habe, um meine Modelle zu verfeinern." (Gudrun Springer, 19.1.2018)