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Adalbert Stifter: Der Mann, der in der körperlichen Blüte seiner Jahre 130 Kilo wog, interessierte sich seit frühester Jugend für Naturwissenschaften und schrieb einmal, dass das Universum ein ungeheurer Raum sei, den der Mensch gar nicht fassen könne.

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Angst Den Biedermeier-Erzähler Adalbert Stifter trieb sein Leben lang die Angst vor einer Welt um, die es – ganz gegen den proklamierten Anschein der Naturschönheit – doch nicht gut mit den Menschen meinen könnte. Umso verbissener vermeiden Stifters Figuren jeden Anflug von Panik. Sie schließen sich weg von der Welt, auch um den Preis, ihr vitales Glück in den selbstgewählten Bezirken der Kontemplation zu versäumen. Sie verbringen ihre einförmigen Tage am liebsten mit der Pflege von Mineralien und Pflanzen.

Bäche In den Erzählungen der Bunten Steine, aber auch im Hochwald wird Stifter nicht müde, das muntere Springen der Quellen und Bäche zur Ruhe der böhmischen Waldeinsamkeit in Kontrast zu setzen. Wasserläufe erfüllen ihre Rolle als Blutgefäße im Großorganismus der Natur, die der Erzähler in Starre versetzt. Die Menschen bewegen sich die Wasserläufe entlang. Entweder fliehen sie die Pest, oder sie verstecken sich vor Kriegswirren. Das Schicksal soll daran gehindert werden, sie in der Waldeinsamkeit zu belangen. Umgekehrt dient das Sprudeln der Quellen der Orientierung. Die verwaisten Kinder in Granit beschließen, der abwärtsstürzenden Flut so lange zu folgen, bis sie bewohntes Gebiet wiedergefunden hätten. Die Zivilisation liegt als beunruhigende Schreckensvorstellung hinter der Krümmung des Horizonts.

Chronos Auch die Zeit stellt eine Quelle der Gefährdung für die Menschen dar. In jeder Veränderung steckt das Samenkorn für Unmaß und falsche Größe, die Stifter sich nur als Bringer von Gewalt und Zerstörung auszumalen vermag. Segen spendend ist die Zeit dann, wenn sie sich als Wiederherstellerin vergangener Harmonie erweist. Unglücklicherweise bezieht sich Stifter gerade nicht auf historisch nachweisbare Geschichtsperioden, sondern er huldigt einer irrealen Ewigkeit jenseits von Gegenwart und Zukunft.

Diminutiv Dem Hang, die gleichwohl als übermächtig empfundene Natur kleinzuschreiben, entspricht Stifters Gebrauch von albernen Begriffen wie "Läubchen". Der oberösterreichische Landschulrat kann es nicht lassen, die Erhabenheit der Natur in immer neuen Anläufen zu beschwören. Umso beharrlicher entzieht sich ihm die Außenwelt. Akribie kann ihm nicht das Manko ersetzen, von der Natur lediglich in Verallgemeinerungen zu sprechen, wenn er sich müht, besonders anschaulich zu werden. Indem Stifter kleinteilig verfährt, verkleinert er Natur zur Landschaft. Natur soll wesenhaft sein, weil der Bewohner der Biedermeier-Welt instinktiv spürt, dass die Einheit der Schöpfung für ihn unwiederbringlich verloren ist. Natur bleibt unbegreiflich, weil sie den Menschen mit Katastrophen wie Hagel, Schneefall und Gewitter in seiner Existenz bedroht.

Essen Indem Stifter die Wechselfälle der Geschichte als Übel ansieht, muss er, der privat ein furchterregender Schlemmer war, die lieben, langen Tage anders strukturieren. In seinem utopischen Roman Nachsommer verläuft die Zeit zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang in monotoner Schönheit und Behaglichkeit. Für Markierungen im Einerlei dieses auf Dauer gestellten Glücks sorgen einzig und allein die zahllosen Mahlzeiten.

Kinder Ihren wahren Sinn entfaltet die Liebe in der Stifter'schen Welt am ehesten in der Entsagung. Wie W. G. Sebald nachgewiesen hat, treibt den um Sitte und Reinheit besorgten Erzähler ein befremdliches Interesse für die Jungfräulichkeit seiner Frauenfiguren um. Auch hier gilt: Der Liebe Wert besteht in ihrer Wesenhaftigkeit, verbürgt wird diese durch die Institution der Ehe. Der sprichwörtliche "Hagestolz" reiht sich in diese rigide Ordnung ebenso ein wie der ewige Witwer. Die Ehe erscheint gerechtfertigt, wenn sie mit der Praxis des Zölibatären einhergeht.

Nachsommer Die "Krone von Polen" versprach der Stifter-Verächter Friedrich Hebbel demjenigen, der die rund tausend Seiten des Nachsommers freiwillig ausgelesen habe.

Psyche Das Chaos der Psyche wird durch eingehende Betrachtung der Außenwelt stillgestellt. "Wie ein schöner Gedanke Gottes" senkt sich dann die Weite des Waldes in die auf Empfang gestellte Seele. Gesucht und gefunden wird "ein Ausdruck von Tugend in dem von Menschenhänden noch nicht berührten Antlitze der Natur". Das Ideal des Stifter'schen Umgangs mit der Welt besteht in der Unterwerfung des Menschen unter die Unergründlichkeit ihres Geheimnisses.

Resignation Adalbert Stifter, der den Umtrieben von 1848 zunächst wohlwollend gegenüberstand, verlor irgendwann den Glauben an die gesamtgesellschaftliche Sphäre. Politik schien ihm kein geeignetes Feld, das allgemeine Wohl zu befördern. An die Stelle der bürgerlichen Öffentlichkeit trat die angeblich "weise" Beschränkung auf den familiären Wirkungskreis. Einzig das Prinzip der Nachkommenschaft schmiedet ein Band, das die störenden Wechselfälle des Weltbetriebs überdauert. Stifters Linzer Verhältnisse lassen sich getrost als Parodie auf die Familie – als die Sinn stiftende und Dauer verbürgende Organisationsform im Inneren der Gesellschaft – auffassen.

Sanftheit Das zu Tode zitierte "sanfte Gesetz", Adalbert Stifters gegen den höhnenden Hebbel gerichtete Polemik wider jede Form von (falscher) Größe, enthält im Plädoyer für alles Kleine eine Absage an das misstönend Heroische. Die Großsprecherei des 19. Jahrhunderts wird eindrucksvoll dementiert. Die Sorge um das "Ganze" der Schöpfung weist dem Menschen von vornherein nur eine äußerst bescheidene Stelle im Kosmos zu. Wer aber Kleiner unter Kleinen zu sein begehrt, dem bleibt die Fallhöhe der Tragik auf ewig verwehrt. Von dieser ungesunden Sehnsucht nach Unauffälligkeit, die nur zu leicht mit Heuchelei zu verwechseln ist, hat sich der Leumund des Erzählers Stifter nie mehr ganz erholt. Zu Unrecht.

Ungleichheit Häuser und Heime, die Stifter bis ins Detail liebevoll beschreibt, dienen nicht der Wohlbehaglichkeit ihrer Bewohner, sondern sie gleichen Exilstätten, Inseln oder unzugänglichen Waldflecken. Die gegenständliche Welt ist in Büchern wie dem Nachsommer zur endgültigen Ruhe, zur immerwährenden Harmonie verdammt. Den Dingen haftet zugleich ein Ruch des Todes an. In ihnen steckt eine Übermacht, die verderbenbringend ist, weil sie nur darauf lauert, den Fortschritt wie ein mechanisches Biest zu entfesseln. Bescheidenheit ist im Stifter'schen Kosmos eine Tugend. Sie verhilft dazu, vorindustrielle Zustände zu konservieren. Es entsteht eine Welt der Pechbrenner und Gutsbesitzer. Von ihr wird jeder Gedanke an soziale Ungleichheit mit äußerster Sorgfalt ferngehalten. (Ronald Pohl, 28.1.2018)