Wollen an die Spitze der Wiener SPÖ: Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und Parlamentsklubchef Andreas Schieder. Am 27. Jänner entscheiden die Delegierten.

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Ein medialer Leckerbissen. Zwei rote Kandidaten – Michael Ludwig und Andreas Schieder –treten in Wien gegeneinander an, um einen Bürgermeister politisch zu beerben, dessen Politik sich seit längerem festgefahren hat. Wer mehr Hoffnungskapital aufbauen kann, um diesen Karren wieder flottzumachen, der wird gewinnen.

Beide beschwören die Einigkeit der Sozialdemokratischen Partei. Beide wissen, dass es sie schon lange nicht mehr gibt. Beide grenzen sich nach rechts ab. Beide wissen, dass Abgrenzen allein zu wenig ist. Beide wissen von der Parallelisierung von Lebensmilieus in dieser Stadt, die dazu führt, dass sich Menschen unterschiedlicher Herkunft immer stärker in ihre eigenen kulturellen Kreise zurückziehen. Eine Entwicklung, die viel Spannungen erzeugt, und der man nur mit konsequenter Integration entgegenwirken kann: wirtschaftliche, kulturelle, soziale, intellektuelle und politische Integration.

Die eigene Identität

Nur: Die große Schwester der Integration ist die Suche nach der eigenen Identität. Was wir derzeit zwischen den Parteien in Österreich erleben, ist auch ein Kampf um die Definitionshoheit unserer Identität.

Identität lässt sich nur schwerlich isoliert entwickeln. Sie entwickelt sich vielmehr im und durch das tagespolitische Geschehen. Diejenigen, die mit ihren politischen Zielen auch eine Vorstellung haben, wie man damit das Hintergrundrauschen unseres Alltagslebens (mit)gestalten kann, die beherrschen die hohe Kunst der Politik. Aber dazu braucht es Vorstellungen, Umsetzungskonzepte und konkrete Projekte, die Zugkraft entwickeln und die weit über den tagespolitischen Horizont hinausreichen.

Wien wird nur noch verwaltet

Ist das alles geschafft, beginnt der Kampf um die breite Zustimmung zu diesen Vorhaben. In Wien ein äußerst mühsames Geschäft. Da hilft es sehr in der öffentlichen Diskussion, wenn ein großes Projekt ökologische und wirtschaftliche Zugkraft hat. Große Projekte sind daher in Wien sehr langfristig angelegt. Und diese großen Projekte sind derzeit in Wien nicht erkennbar, wahrscheinlich gar nicht vorhanden.

Es hat sich das Gefühl breit gemacht, dass Wien eigentlich nur noch verwaltet wird. Wirtschaftspolitisch gibt es schon lange keine kommunizierte Strategie mehr, und medial ist die Stadtplanung im Gründickicht des Heumarktes zum Erliegen gekommen. Stagnation eben auf hohem Niveau, gepaart mit bekannt guter Lebensqualität. Heiße Eisen, wie etwa die gestiegenen Lebenshaltungskosten, werden nicht angesprochen, dafür wird die längst ein wenig ungemütlich gewordene Wiener Gemütlichkeit immer wieder prozessionsartig öffentlich zelebriert.

Urwiener Brutalität

Es war das politische G'spür von Michael Ludwig, diese Stagnation in eine Diskussion über die Person des Wiener Bürgermeisters weiterentwickelt zu haben. Ihm ist wohl schmerzhaft klargeworden, dass dieser Schwungverlust der Stadtregierung auch zu einer Parallelisierung von Lebensmilieus in der Wiener Sozialdemokratie geführt hat. Flächenbezirke mit blauanfälliger Wählerbasis auf der einen Seite, rot-grün inspirierte Innenbezirke auf der anderen Seite. Dazwischen Unverständnis. Das ist Urwiener Brutalität.

Ohne die Zugkraft einer attraktiven Vorstellung, wohin es mit Wien und in Wien in den kommenden Jahren gehen soll, ohne einen politischen Gestaltungsvorschlag, der breites Interesse weckt, bleibt die Personalentscheidung in der Wiener SPÖ nur Kosmetik. Das Hoffnungskapital, den Wiener Karren wieder flottzumachen, liegt in den politischen Ideen und nicht in den Personen. (Christian Cap, 19.1.2018)