Bruno Kreisky als alter Mann. Könnte er heute ein neues sozialdemokratisches Jahrhundert einläuten?

Grafik: Felix Grütsch

Kreisky würde heute H.-C. Strache wählen", donnerte H.-C. Strache zur Eröffnung des niederösterreichischen Wahlkampfes in Vösendorf. Sebastian Kurz hatte sich schon kurz nach der Angelobung seiner türkis-schwarz-blauen Regierung ins Kreisky-Zimmer am Ballhausplatz gesetzt und vor dem Kreisky-Porträt posiert.

Immer unverschämter bedient sich die schwarz-blaue Koalition am Erbe einer Ära, die heute – innen- und außenpolitisch – als erfolgreichste Epoche der Zweiten Republik gewertet wird; von Historikern und vom Großteil der Bevölkerung.

Und die Firma Kurz-Strache versucht, an der Popularität des zum Mythos avancierten Sozialdemokraten mitzunaschen.

Wie soll dieser glatte Versuch einer Fake-Politik funktionieren? Der Markendiebstahl ist nur möglich, weil die SPÖ mit großer Konsequenz ihr Erbe verleugnet und sich von ihrem populärsten Vorsitzenden öffentlich distanziert. Christian Kern erklärte im Bruno-Kreisky-Forum (!), sein Vorbild sei nicht Kreisky, sondern Vranitzky.

Antworten für das neue Jahrhundert

Ideologisch und sachpolitisch unterwirft sich die SPÖ seit Jahrzehnten dem neoliberalen Zeitgeist und erhält dafür die Rechnung vom Wähler und der Wählerin. Über die Ursachen der sinkenden Wählerzustimmung wurde innerparteilich nie diskutiert, Kritik als "Ignoranz" abgetan.

Hier soll keiner Kreisky-Nostalgie und keiner Rückkehr in die "goldenen" Siebzigerjahre das Wort geredet werden, ein halbes Jahrhundert später hat sich nicht nur Österreich, sondern die ganze Welt verändert. Allerdings wird es auch nicht genügen, "die Herausforderungen von Digitalisierung, Globalisierung und Klimawandel anzunehmen", wie es im modischen Politsprech immer wieder heißt.

Statt Herausforderungen "anzunehmen", braucht die Sozialdemokratie Antworten für das neue Jahrhundert. Die Literatur zu den neuen Herausforderungen ist zahlreich – sie reicht von den Neokeynesianern bis zu Neomarxisten, von Linksliberalen bis zu sozial engagierten Christen.

Die Partei scheint sich intellektueller Debatten aber längst entwöhnt zu haben. Wenn es Debatten gibt, geht es um Personalia, nicht um Inhalte.

Globalisierung

International ist eine Diskussion über die Zukunft einer "ökosozialen Transformation" (Ulrich Brand) längst im Gange, der Themenkatalog längst festgeschrieben. Er reicht von der technologischen Revolution, die noch bei jedem Entwicklungssprung zu einer Arbeitszeitverkürzung und zu neuen Steuerkonzepten führte, über die Globalisierung, die nicht aufzuhalten ist, aber unter anderen, gerechteren Bedingungen stattfinden sollte. Vom Kampf um die Emanzipation bis zu einer neuen Ordnung der Geschlechter (als weltweites Thema). Vom Kampf gegen die wachsende Ungleichheit, die die Gesellschaften à la longue sprengen wird und schon jetzt wachsenden Fremdenhass und neuen Rassismus produziert, bis zum Klimawandel, der weitere massive Wellen der Migration zur Folge hat, und zur nötigen Schonung der globalen Ressourcen.

Alle diese Entwicklungen gefährden Frieden und Stabilität, schon jetzt steht Europa unter dem Druck autoritärer und präfaschistischer Parteien und Regierungen (die USA haben keinen unwesentlichen Anteil an diesem Trend).

Im 19. Jahrhundert wies die Sozialdemokratie als Erste auf die Gefahren eines ungezähmten Kapitalismus hin und leitete mit ihren Reformen "das sozialdemokratische Jahrhundert" (Ralf Dahrendorf) ein. Sie hatte damals die Vision einer gerechten Gesellschaft der Freien und Gleichen, ohne eine solche Vision hätte sie nie ihre historischen Erfolge erreicht. Ohne eine neue politische Vision wird die politische Linke, egal in welcher Formation, ihren Untergang nicht aufhalten können.

Was also würde Bruno Kreisky heute wählen? Er würde seiner Partei einen radikalen Kurswechsel verschreiben, und wenn dieser nicht gelingt, eine neue politische Bewegung ins Leben rufen. (Trautl Brandstaller, 19.1.2018)