Toni Sailer, die österreichische Legende: vielleicht ein Opfer schmutziger Tricks des polnischen Geheimdienstes?

Cermak, Alfred/ONB Bildarchiv/pi

Ihren Bericht über den Skandal um Toni Sailer, der 1974 in Polen eine junge Frau misshandelt, vielleicht vergewaltigt haben soll, habe ich mit Interesse gelesen. Ich habe nicht die Absicht, eine Lanze für die sportliche Ikone zu brechen. Gut möglich, dass es so war, wie der STANDARD, gestützt auf gründliche Recherchen, berichtet.

Doch die Tatsache, dass sich der Akt Toni Sailer vor allem auf polnische Unterlagen aus jener Zeit beruft, macht mich stutzig. Ich habe lange Jahre in Polen gelebt, auch in der Zeit, um die es hier geht. Mein Gefühl sagt mir, dass die Geschichte verdächtig nach dem polnischen Geheimdienst (Sluzba Bezpieczenstwa, SB) riecht. Diese Möglichkeit wird im STANDARD erwähnt, aber nur am Rande. Doch es ist unbestritten, dass sich der polnische SB, wie Dienste anderer kommunistischer Länder, gern solcher Methoden bediente. Beim mutmaßlichen Opfer in der Affäre Sailer handelte es sich, entnehme ich der Zeitung, um eine 28-jährige Geheimprostituierte, die vom Auftrieb westlicher Prominenz in den Skiort Zakopane gelockt wurde.

Womöglich eine Falle

Jeder, der damals in Polen unterwegs war, wusste, dass diese Mädchen mit der Polizei und dem SB zusammenarbeiteten. Wohl selten aus freien Stücken, sondern weil sie Druck auf sie ausübten und sie bei Bedarf für ihre Zwecke benützten. Es wäre denkbar, dass der SB die Nebenerwerbsprostituierte beauftragte, den prominenten Österreicher in die Falle zu locken. Aber warum hätten die SBler das tun sollen? Sicher nicht, um Sailer irgendwelche Informationen abzupressen. Was hätte ihnen der schon verraten können? Wie die Österreicher ihre Ski wachseln? Nein, darum ging es nicht. Aber sie hätten etwas in der Hand gehabt, um auf die österreichischen Behörden Druck auszuüben. Und das scheint ja funktioniert zu haben, denn österreichische Stellen haben aufgrund der Affäre monatelang rotiert. Und wer weiß, ob sie sich nicht dafür erkenntlich gezeigt haben, dass die Polen die peinliche Affäre am Ende ad acta legten. Wäre so etwas in einem Akt zu finden? Da habe ich meine Zweifel.

Die Möglichkeit, dass Sailer in eine Falle gelockt wurde, wird im STANDARD angesprochen, aber nicht weiter verfolgt. An einer Stelle heißt es: "Anton Sailer wies die Vorwürfe stets zurück und behauptete, ihm sei damals im Hotel Sport eine Falle gestellt worden. Darauf findet sich im Akt kein Hinweis."

Nur wenig Informationen

Hier ist von einem Akt die Rede, der sich überwiegend auf Informationen der polnischen Behörden stützt. Anzunehmen, dass sich in polnischen Materialien ein Hinweis auf schmutzige Tricks des polnischen Sicherheitsdienstes finden könnte, erscheint mir doch reichlich naiv. Doch über andere Informationen verfügten die Österreicher nicht. Sie waren kaum in der Lage, vermutlich auch nicht daran interessiert, auf eigene Faust Erhebungen anzustellen. Ihnen ging es primär darum, die Affäre möglichst leise aus der Welt zu schaffen.

Hat jemand von der Botschaft mit dem mutmaßlichen Opfer gesprochen, hat ein österreichischer Journalist die Verletzungen des Mädchens gesehen, von denen im polnischen Untersuchungsbericht die Rede ist? Davon steht im STANDARD nichts. Und selbst wenn ein Außenstehender die Verletzungen gesehen hätte, hätte das nichts zu besagen. Die hätte dem Mädchen auch ein Agent des SB beibringen können, um sie entsprechend zu "präparieren". Es hätte sich dagegen nicht wehren können, war diesen Leuten hilflos ausgeliefert. Die hätten es, ohne mit der Wimper zu zucken, ins Gefängnis stecken können, Vater, Mutter, Bruder hätten ihren Job verlieren können.

Keine unabhängige Justiz

Natürlich ist es denkbar, dass die Geschichte ganz einfach war wie in zahllosen Berichten von #MeToo beschrieben: Toni Sailer ist im Rausch übergriffig geworden und hat das arme Mädchen malträtiert. Aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass die polnische Justiz in jenen Jahren keineswegs unabhängig war. Das sollte man auch bei dieser Geschichte immer mitbedenken. Dass die jetzige polnische Regierung schon wieder bemüht ist, die Unabhängigkeit der Justiz zu demontieren, verleiht der historischen Affäre traurige Aktualität. (Martin Pollack, 21.1.2018)