Stellen Sie sich bitte vor: ein altes Bauernhaus in Niederösterreich, der Geruch von abgeschliffenem Holz und frischer Wandfarbe und darin eine Gruppe Stadtmenschen, die sich um den frischgebackenen Hausherrn versammeln, der eine rein zufällige Ähnlichkeit mit Kanzleramtsminister Blümel hat.

Der leistungstragende junge Mann erzählt Horrorgeschichten von der Renovierung seines neuen Wochenendhauses: Viele der Kacheln des schönen Herds in der Küche seien zerbrochen gewesen, der Herd nicht mehr zu heizen. Am Boden und an den Wänden Kunststoffbeläge. Überall habe er Schimmel gefunden. Wie könne man in einer solchen Bruchbude wohnen? Eine dunkelhaarige Frau nickt zustimmend – ihre Ähnlichkeit mit Landwirtschaftsministerin Köstinger ist frappierend.

Gesichter der Armut

Szenenwechsel in eine Sozialwohnung in der Bezirkshauptstadt: ein geschiedener 48-jähriger Mann, allein, seine beiden Kinder leben bei der Mutter. Über Generationen hinweg sind seine Vorfahren Bauern gewesen und nannten einen prächtigen Hof ihr Eigen. Die Landwirtschaft hatte schon lange nicht mehr genug eingebracht. Er selbst war nie Vollerwerbsbauer gewesen, sondern hatte eine Ausbildung zum Facharbeiter absolviert. Nur einige Hühner und der Hof hatten an das frühere Bauernleben erinnert. In seiner Lebensmitte ging dann einiges schief. Die Ehe war nicht zu halten, sein berufliches Fachwissen plötzlich veraltet.

Um den Unterhalt für die beiden Söhne zahlen zu können, verkaufte der Mann Felder und seinen Wald. Einen neuen Job fand er nicht, trotz unzähliger Bewerbungen, trotz AMS-Maßnahmen. Von der Notstandshilfe konnte er gerade leben, musste er doch fürs Wohnen nichts zahlen. Geld für den Erhalt des schönen Hofes blieb nicht. Dann, 2018, wurde aus der Notstandshilfe die Mindestsicherung und aus dem Langzeitarbeitslosen ein zu enteignender Vermögender.

Die Geschichte ist zwar erfunden, sie macht aber deutlich, wie eines der vielen Gesichter von Armut in unserer Gesellschaft konkret aussieht. Auf dem Land gibt es weniger Obdachlosigkeit als in der Stadt, denn hier haben viele der ansonsten Besitzlosen ererbte Häuser. Sie können diese allzu oft eher schlecht als recht instand halten, haben aber ein Dach über dem Kopf – ihr "Familiendach", an dem Emotionen und Erinnerungen hängen. Sie wohnen in dörflichen Strukturen und erhalten dort das soziale Leben mit aufrecht, gehen zum Bäcker, manchmal ins Wirtshaus.

Obdachlosigkeit schaffen

Wer diesen Menschen ihr "Vermögen" nimmt, schafft Obdachlosigkeit, fördert akute Armut, erhöht die Kosten für den sozialen Wohnbau bzw. die Wohnbeihilfen und trägt zur Zerstörung der Dorfkultur bei. Und das alles vor dem Hintergrund, dass sich Menschen mit geringem Einkommen in Österreich das Wohnen zur Miete kaum noch leisten können. Ein Umstand übrigens, dem unsere neue Regierung nicht einmal eine Randnotiz gewidmet hat, obwohl es nach Meinung der Armutsexperten und -expertinnen das brennende soziale Problem unserer Zeit schlechthin ist.

Was derzeit an Kalkulationen zum staatlichen Einsparungspotenzial der Umwandlung von Notstandshilfe in Mindestsicherung kursiert, rechtfertigt ihre sozialen und gesellschaftlichen Nachteile nicht, lässt aber absehen, wie die türkis-blaue Regierung Sozialpolitik betreiben möchte: als Politik der Gefühle, die auf Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse einfach pfeift.

Die "Sozialschmarotzer" sollen leiden, liegen sie uns Leistungsträgern doch mit Absicht auf den Taschen. Dass jede individuelle Armut zahlreiche Gründe hat (Jobverlust, der keineswegs in der Mehrzahl selbstverschuldet ist, Krankheiten und privates Unglück), ist egal: Feindbilder müssen her, möglichst solche, die zu schwach sind, um sich zu wehren.

Almosenempfänger

Damit legitimiert die Regierung jenes empörende Verhalten, das viele Behörden gegenüber Armutsbetroffenen an den Tag legen: So wie wir es aus den Bezirksgerichten kennen, bei denen nicht anwaltlich vertretene Parteien gern als lästiges Ärgernis und daher als schuldig betrachtet werden, kommen nun auch arme Menschen in Österreich immer häufiger nur dann zu ihrem Recht, wenn sie sich von einer NGO begleiten lassen. Kommen die Betroffenen hingegen allein, versucht man, sie loszuwerden, informiert sie lückenhaft – und das in einem Ton, der jeden Respekt vermissen lässt und sie zu Almosenempfängern degradiert.

Nun wird es auch offizielle Politik, nach jenen zu treten, die schon auf dem Boden liegen, und ihnen ihre Würde und ihre letzte Habe zu nehmen: das ererbte Häuschen oder das Sparbuch, mit dem sie das Auto reparieren lassen oder auch den Kindern einmal ein Geschenk machen konnten – mit jenem Geld, das sie einmal mit den eigenen Händen erarbeitet haben. (Evelyn Dawid, 23.1.2018)