Wenn einer der bekanntesten Köche Italiens Spaghetti alla Carbonara kocht, dann hat er nicht einen, sondern gleich zwei Becher Obers bei der Hand. Dabei weiß in Italien jedes Kind, dass eine Carbonara mit Obers so ziemlich der schlimmste Fauxpas ist, den man sich überhaupt vorstellen kann – abgesehen vielleicht vom Schneiden der Nudeln mit dem Messer.

Dem zum Trotz haben Millionen Italiener das Video angeklickt und Chef Ruffi, so nennt sich der Übeltäter, dabei zugesehen, wie er sich schamlos an einem ihrer höchsten kulinarischen Kulturgüter vergeht – und dies mit tausenden hasserfüllten Postings kommentiert.

Viele der allzu heftigen Kommentare wurden inzwischen gelöscht. Doch immer noch wird der Koch aufs Wüsteste beschimpft, etliche Poster wünschen ihm Gefängnis und Krankheiten an den Hals, andere beleidigen seine Familie. Sogar vom "Antichrist der italienischen Küche" ist immer wieder die Rede.

Dabei würden seine Videos in wohl jedem anderen Land der Welt völlig unbemerkt durchgehen, in Italien aber machten sie ihren Autor zum Internetstar. Und lösten gleichzeitig einen Sturm der Entrüstung aus. Schändet Ruffi doch eines der Heiligtümer des Landes – die klassische italienische Küche.

Chef Ruffi

Als Gipfel des Affronts nennt er seine Youtube-Sendung auch noch "l'Arte della Cucina Italiana". Das Setting ist immer dasselbe: Der Küchenchef werkt in einer ziemlich engen und unspektakulären Küche, sein Gesicht sieht man nie, dafür seine in unappetitliche blaue Plastikhandschuhe gepackten Hände. Und dazu die verpöntesten Techniken und Zutaten, die man sich als Italiener nur vorstellen kann.

Für seine Spaghetti Cacio e Pepe etwa, ein zurzeit äußert angesagtes klassisches römisches Pastagericht mit Käse und Pfeffer, das symbolisch für die Einfachheit und gleichzeitige Größe der italienischen Küche steht, verwendet Ruffi statt des vorgeschriebenen Pecorino romano profanen Scheiblettenschmelzkäse. Die Nation erschaudert.

Weitere immer wiederkehrende No-Gos sind Ketchup, Glutamat und Dosenfleisch. Stets geht es ihm darum, die Kochzeit so kurz wie möglich zu halten. Auch das gilt in Italien als regelrechtes Verbrechen, sind Langsamkeit und Sorgfalt in der Zubereitung doch die Wesensmerkmale schlechthin, um gute von schlechter italienischer Küche zu unterscheiden.

Wer steckt hinter dem Internetphänomen namens Chef Ruffi?
Foto: Chef Ruffi

Internet-Troll

Offen bleibt bei all dem Negativhype die Frage, was die Person oder die Gruppe, die hinter dem Internetphänomen steht, eigentlich bezweckt. Viele unter jenen wenigen, denen die Ironie der Sache nicht entgeht, sehen darin reine Provokation und in Ruffi einen Internet-Troll, der sich aus der Brüskierung des bisweilen übertriebenen kulinarischen Traditionsbewusstseins seiner Landsleute einen Spaß macht. Andere wiederum interpretieren mehr hinein, wie etwa eine Satire auf die Mediatisierung des Kochberufs, eine Art Anti-Jamie-Oliver also.

Wieder andere vermeinen in der Show eine Kritik am dramatischen Qualitätsverlust zu erkennen, dem die italienische Küche in Zeiten von Industrialisierung der Lebensmittelerzeugung sowie der Zunahme von Convenience-Produkten auch in Restaurantküchen ausgesetzt ist. Doch eine Vielzahl nimmt Chef Ruffi einfach wörtlich.

Nun läge es freilich auf der Hand, den Küchenchef selbst nach seinem Antrieb zu befragen. Das Problem ist nur, dass Ruffi mit Journalisten nicht spricht, zumindest nur schriftlich antwortet. Auf die Frage, wie er denn umgehe mit dem ganzen Hass, der ihm im Internet entgegenschlage, antwortet er: "Das sind doch nur Neider, die mir meinen Erfolg nicht gönnen. Ich mag sie trotzdem alle, auch wenn ich mir manchmal vorkomme wie ein offenes Buch, umgeben von lauter Analphabeten."

Ob die italienische Küche die beste der Welt sei? "Auf jeden Fall zählt sie zu den allerbesten. Und sie strahlt auf der ganzen Welt", findet Italiens meistgehasster Koch, "ganz genauso wie beispielsweise unser Fußball". (Der bekanntlich eine der größten Krisen in seiner Geschichte durchlebt.)

Chef Ruffi

Wo er herkommt, in welchen Restaurants er gekocht hat, will Ruffi nicht verraten. Lediglich so viel: "Ich bin Italiener, viel herumgekommen in der Welt, liebe die Küche meines Landes und will diese Liebe vermitteln. Zurzeit arbeite ich in keinem Restaurant, sondern ausschließlich als Showkoch."

Und das mit der Panna, also dem Obers? "Woher dieser Hass gegen die Panna kommt, kann ich mir nicht erklären, allerdings denke ich, dass sie viel beliebter ist, als die Leute zugeben, das beweisen ja allein schon die Verkaufszahlen", antwortet Ruffi.

Als größtes Vorbild unter seinen Kollegen hätte er bis vor kurzem noch den Superstar und Drei-Sterne-Koch Massimo Bottura genannt. "Doch seit der große Lapo Elkann in das Gewerbe eingestiegen ist, ist natürlich er mein Role-Model Nummer eins", beteuert der Internetstar.

Dazu ist zu wissen, dass der flamboyante Lapo Elkann ein in Italien äußerst bekannter Fiat-Erbe ist, der üblicherweise als eitler Pfau verlacht wird, bislang vorwiegend in den Societyspalten vertreten war und wiederholt durch Drogenexzesse mit transsexuellen Stricherinnen auffiel – vergangenen November in Mailand aber ein bizarr-pompöses Mittelding aus Automuseum und Restaurant eröffnete.

Ist es vorgesehen, die kultige Kochshow irgendwann zu übersetzen oder zumindest zu untertiteln, damit auch Zuseher außerhalb Italiens in den Genuss von Chef Ruffis Kochkunst kommen können? "Sag niemals nie", antwortet der Befragte, "aber Pläne dazu gibt es im Moment nicht. Denn das beste Publikum von allen ist zweifellos das italienische. Und das habe ich ja bereits erobert." (Georges Desrues, RONDO, 10.2.2018)

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