Wien – "Vorsätzliche Gemeingefährdung" nennt sich das äußerst selten angeklagte Delikt, das Dominik P. vorgeworfen wird. Zur Anwendung kommt es, wenn man auf die unkluge Idee kommt, die Computerspielserie "Grand Theft Auto" in die analoge Welt zu verpflanzen und sich eine Hochgeschwindigkeitsverfolgungsjagd mit der Polizei im dicht verbauten Gebiet liefert, wie es der heute 19-Jährige im September gemacht hat.

"Wie kommt es zu sowas?", fragt Verteidiger Philipp Wolm im Eröffnungsplädoyer den Schöffensenat unter Vorsitz von Beate Matschnig und liefert sogleich die Antwort: "Er wollte sich einen Jugendtraum erfüllen und Auto fahren." Einen Ford kaufte sich der Arbeitslose Ende August um 500 Euro. Blöd nur, dass das Geld dann weder für einen Führerschein noch eine ordnungsgemäße Anmeldung reichte. Letzteres Problem löste er durch den Diebstahl fremder Kennzeichen.

Kokain und Joints konsumiert

In der Nacht vom 13. auf den 14. September fuhr P. von einer Feier heim. Im Blut Kokain und THC. Kurz nach Mitternacht wollte ihn eine Polizeistreife auf dem Hernalser Gürtel kontrollieren und winkte den Teenager zur Seite. Er blinkte, fuhr an den Rand – und gab wieder Gas.

"Ich habe plötzlich Panik bekommen", gesteht er. "Die hätte ich auch, wenn ich in der Situation wäre. Aber was haben Sie sich davon versprochen? Haben Sie wirklich geglaubt, Sie können der Polizei davonfahren?", wundert sich Matschnig. "Es war alles extrem schnell", versucht es der Angeklagte. "SIE waren extrem schnell!", merkt die Vorsitzende an.

Mit bis zu 120 Kilometern pro Stunde rasten P. und seine Verfolger durch die nächtlichen Bezirke Josefstadt, Rudolfsheim-Fünfhaus und Ottakring. Rote Ampeln stellten ebenso wenig ein Hindernis dar wie Einbahnstraßen, selbst auf dem Gürtel bretterte der Angeklagte gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung.

Zwei Straßensperren ignoriert

"Ich habe nichts gedacht, ich bin einfach nur gefahren", erklärt P. nun dazu. Zweimal versuchte die Polizei ihm mit quergestellten Streifenwagen den Weg zu blockieren. Beide Male beeindruckte ihn das nicht. Er fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit weiter, bis die Autos auswichen.

Im ersten Fall, beteuert P., hätte er auch noch selbst ausweichen können. "In einem alten Ford kann man ja keine Kunststücke machen. Sie sind ja nicht der Knight Rider", beweist die Vorsitzende televisionär-automotive Kenntnisse. Bei der zweiten Blockade hätte er noch rechtzeitig anhalten können, ist der Angeklagte überzeugt. Eine Einschätzung, die einige der beteiligten Polizisten teilen.

Schlussendlich stoppte der Angeklagte sich selbst – er fuhr in eine Sackgasse. Bei der Festnahme wehrte er sich, ein Polizist erlitt eine Knieverletzung. "Es war eine enge Gasse, und da waren plötzlich so viele Polizisten", begründet P. seine Gegenwehr. Die auch für ihn gravierende, wenngleich keine bleibenden, körperlichen Folgen hatte, wie Matschnig mit gerunzelten Augenbrauen dem Akt entnimmt. "Bei Ihrer Einlieferung hat ja sogar das Gefangenenhaus hier eine Anzeige erstattet. Sie waren dann auch im AKH?" – "Ja, acht Stunden lang."

"Musterhäftling" mit "geringer krimineller Energie"

Im Gefängnis sei sein Mandant seit vier Monaten ein "Musterhäftling", betont Verteidiger Wolm. "Er hat eine Therapie bekommen, hat mittlerweile ein Jobangebot von seiner Mutter und will einen Lehrabschluss machen!" Der Jurist ist auch davon überzeugt, dass der junge Mann "nur geringe kriminelle Energie hat. Obwohl – kriminell war dieses Desaster natürlich."

Das sieht nach kurzer Beratung auch der Senat so und verurteilt P. zu 18 Monaten Haft, vier davon unbedingt. Da er die bereits in der Untersuchungshaft verbracht hat, darf er heim, rechtskräftig ist das Urteil noch nicht, da der Staatsanwalt keine Erklärung abgibt. "Ich glaube, Sie haben gar keine Ahnung, wie viel Glück Sie gehabt haben! Sie haben nicht einmal einen Sachschaden verursacht", merkt die Vorsitzende noch an. (Michael Möseneder, 24.1.2018)