Rund 28.000 Haushalten in Österreich wird jedes Jahr der Strom abgedreht

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Jeden Dienstag kochen ehrenamtliche Mitarbeiter in den Wärmestuben Essen für energiearme Menschen.

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Wien – Langsam füllt sich die Gaststube. An den Tischen nehmen einige ältere Herren Platz, schlagen die Zeitung auf oder greifen sich einige der Kartenspiele, die beim Eingang bereitliegen. "Püree oder Gnocchi?", ruft Gerhard Koudela den hereinkommenden Gästen zu. Viele nehmen sich stillschweigend den Teller, manche erwidern mit einem kurzen "Danke". Koudela kennt einige der Besucher, setzt sich bei den Tischen dazu und fragt, wie es ihnen geht. Seit zweieinhalb Jahren leitet er die sogenannte "Wärmestube" der Caritas Breitensee in Wien-Penzing, in der ehrenamtliche Mitarbeiter einmal pro Woche gratis Essen an Menschen in der Umgebung ausgeben.

"Viele kommen für ein warmes Essen, einen beheizten Raum und die sozialen Kontakte vor Ort", sagt Koudela. Etwa zehn Gäste sind bisher gekommen, an manchen Tagen seien es bis zu vierzig. Die Hintergründe seien vielschichtig: Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit aber vor allem auch Schwierigkeiten bei der Zahlung von Strom- und Heizkosten, meint Koudela.

Unter den Gästen ist etwa Novak Zyrül. "Im Sommer kommt man gut über die Runden, im Winter ist ein warmer Raum und Essen wichtig", meint der 77-Jährige, der regelmäßig eine der Wärmestuben in Wien besucht. Der gelernte Werkzeugmacher ging vor fünfzehn Jahren in Pension, mit seinem Pensionsanspruch versuche er nun so gut es geht über die Runden zu kommen. "Ich habe einen älteren Mietvertrag und zahle deswegen etwas weniger Miete. Dafür ist die Isolierung im Haus schlecht", sagt Zyrül. Vor einigen Jahren sei er von einer Elektroheizung auf eine Ölheizung umgestiegen, weil die Stromrechnung zu hoch geworden sei. Um seine 50 Quadratmeter Wohnung zu beheizen, zahle er jetzt 200 Euro im Monat. Vor allem im Winter wisse man nie, wie hoch die Rechnung am Ende ausfallen werde, sagt Zyrül.

Häufiger Ölheizung

Zyrül ist nicht der Einzige, der mit der Stromrechnung zu kämpfen hat. Laut einer Studie der Regulierungsbehörde für Strom- und Gaswirtschaft, E-Control, waren im Jahr 2014 3,1 Prozent und damit 117.000 Haushalte in Österreich energiearm. Eine genaue Definition von Energiearmut sei schwierig, sagt Christina Veigl-Guthann von der E-Control. Grundsätzlich könne man aber sagen, dass darunter jene Haushalte fallen, deren Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen und die gleichzeitig überdurchschnittlich hohe Energiekosten haben. Während ein durchschnittlicher Haushalt in Österreich laut Statistik Austria 4,6 Prozent seines Einkommens für Heizkosten, Warmwasser, kochen und Licht ausgibt, seien es bei energiearmen Haushalten mit 22,8 Prozent mehr als viermal so viel. Energiearme Haushalte würden zudem häufiger mit Öl heizen und in älteren Wohnhäusern leben, so Veigl-Guthann. Betroffen seien allen voran alleinstehende Pensionisten und Pensionistinnen, alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern, sowie Personen, die nur einen Pflichtschulabschluss vorweisen können.

Rechnungen nicht bezahlt

Können diese ihre Stromrechnungen nicht bezahlen, beziehungsweise stehen sie mit den Zahlungen zu lange im Verzug, kann ihnen der Netzbetreiber im wahrsten Sinne des Wortes das Licht abdrehen. Laut E-Control wurden 2016 in Österreich in 23.421 Fällen der Strom und in 4747 Fällen das Gas abgedreht. Eine Anfrage des STANDARD bei heimischen Stromanbietern und Netzbetreiber zeigt die Unterschiede bei einzelnen Bundesländern: So führten die Wiener Netze 2016 insgesamt 7055 Abschaltungen durch, bei der EVN in Niederösterreich waren es 150 Fälle, beim Verbund wurden etwa 450 Verträge wegen fehlenden Zahlungen gekündigt, bei der Energie AG Oberösterreich will man keine genauen Zahlen nennen.

Bei vielen könne die Stromversorgung nach relativ kurzer Zeit wieder aufgenommen werden, erklärt EVN-Sprecher Stefan Zach. Zudem müssen zuerst mindestens zwei Mahnungen ausgeschickt worden sein, bevor der Strom abgedreht werden darf. An gesetzlichen Feiertagen dürfe ebenfalls nicht abgeschalten werden. Melden sich Kunden sofort bei ihrem Stromanbieter, wenn es zu Zahlungsproblemen kommt, könne in den meisten Fällen eine gemeinsame Lösung gefunden werden, so Zach. Oft helfe es auch, energiefressende Haushaltsgeräte oder veraltete Fenster auszutauschen.

Die Kälte kriecht durch

Was es heißt, auf die Heizung in der Wohnung zu verzichten, weiß auch Hans Stefan Zinke. Der 59-Jährige hat an einem der Tische in der Ecke der Wärmestube Platz genommen, die schwarze Jacke hat er angelassen. "Im Winter kriecht die Kälte durch die Wände", sagt Zinke. In seiner 36 Quadratmeter Wohnung könne er sich nicht mehr aufhalten, seit ihm die Wiener Netze vor zwei Jahren den Strom abdrehten. Zinke kann sich noch gut an den Tag erinnern: Wie ein Techniker in der Früh zu seiner Zählerkasten gekommen ist. Warum nehmen Sie mir das weg?, habe Zinke ihn gefragt. Bevor er die Raten nicht abbezahlt hätte, würden der Strom nicht wieder aufgedreht werden, habe der Techniker ihm geantwortet. Seither schläft Zinke bei Freunden.

Früher hatte Zinke als Fußballer bei der Austria gespielt, sei viel in Europa herumgekommen. Als er nach einer Zeit als Trainer aus dem Ausland wieder nach Österreich zog, habe er nur schwer einen Job finden können. "In meinem Alter kriegst du nix mehr", sagt er. Für zwei Jahre sei Zinke bei einem Beratungsunternehmen untergekommen, seit 2014 ist er arbeitslos. Vom AMS erhält Zinke Notstandshilfe, bekäme er einen Job, nehme er diesen aber sofort, meint er. Auch deswegen habe er sich für die Aktion 20.000 angemeldet, bis diese eingestellt wurde. Wie er sich die Rechnungen in Zukunft leisten soll, weiß er nicht. "Vielleicht geringfügig bei der MA 48. Ansonsten bin ich wohl nicht mehr zu gebrauchen." (Jakob Pallinger, 25.1.2018)