Wien / Wiener Neustadt – Die Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt hat den Verantwortlichen für die Erstellung des antisemitischen und rassistischen Liederbuchs identifiziert und suspendiert. Der Mann werde sich den Behörden stellen, teilte die Burschenschaft der APA am Donnerstag mit. In dem Liedheft ist unter anderem zu lesen: "Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: 'Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.'"

Niederösterreichs FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer nahm in der "ZiB 2" am Mittwochabend zu den Vorwürfen Stellung.
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Der Verantwortliche sei bei einer Versammlung Mittwochabend identifiziert worden. Die Burschenschaft betonte erneut, dass bei allen Liederbüchern, die sich im Besitz des Vereins befinden, die entsprechenden Liedtexte geschwärzt seien. "Dennoch bleibt weiterhin Gegenstand der Untersuchung, warum es offensichtlich dieses vorliegende Liederbuch gibt."

Burschenschaft: "Widerlich, abartig, jenseitig"

Die Burschenschaft bezeichnet die NS-Texte als "widerlich, abartig und jenseitig" und lehne "jegliche Verherrlichung und Verharmlosung von Verbrechen der NS-Diktatur" ab. Die Verbindung unterstütze "jede Maßnahme der Behörden", die zur Aufklärung beitrage, sagte der stellvertretende Obmann Philip Wenninger.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verlangt für die Verantwortlichen nun die volle Härte des Gesetzes: "Es braucht volle und rasche Aufklärung. Wer für so etwas verantwortlich ist, solche Lieder singt oder diese Inhalte verbreitet, der agiert nicht nur abscheulich antisemitisch und verhetzerisch, sondern macht sich in unserem Land auch strafbar", wird Kurz in einer Aussendung zitiert.

Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt leitete bereits am Mittwoch von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Verbotsgesetz ein.

"An Klarheit nichts vermissen lassen"

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) sorgte am Donnerstag für zusätzliche Aufregung in der Causa Landbauer, weil er seinem Parteifreund quasi einen Persilschein ausstellte. Er wurde am Rande des EU-Innenministertreffens in Sofia von Journalisten gefragt, ob und ab welchem Stand der Ermittlungen der Justiz er dem FPÖ-Spitzenkandidaten in Niederösterreich den Rücktritt empfehlen würde. Diese Ermittlungen "richten sich ja nicht gegen ihn, sondern die richten sich gegen unbekannt", antwortete der Innenminister.

Landbauer habe erklärt, er sei "durchaus bereit, seinen Beitrag zu leisten". Kickl weiter: "Ich interpretiere seine Bereitschaft, entsprechend aufklärend zu wirken, im Sinne der Unterstützung dieser Ermittlungen. Ich halte es, ehrlich gesagt, für ziemlich ausgeschlossen, dass es Ermittlungen gegen ihn gibt."

Als Begründung dafür hatte Kickl zuvor angeführt, Landbauer habe "selbst gesagt, dass er größtes Interesse an einer Aufklärung dieser Vorgänge hat, die allesamt aus einer Zeit kommen, wo er selbst noch nicht aktiv gewesen ist" – gemeint ist in der Burschenschaft Germania. Dieser sei zum Zeitpunkt, als das Liederbuch herausgegeben wurde, erst "elf Jahre alt gewesen, ist erst viel, viel später in diese Verbindung eingetreten".

Burschenschafter im Rahmen des "Totengedenkens" im Jahr 2012 in Wien.
Foto: APA HERBERT P. OCZERET

Dass Landbauer nur vier Jahre nach der Bucherstellung der Germania beitrat und in den 17 Jahren seither doch Kenntnis von den Naziliedern gehabt haben könnte, darauf ging Kickl nicht ein. Er betonte, dass die FPÖ "in der Vergangenheit stets null Toleranz gegenüber Rechtsextremismus und Nationalsozialismus" vertreten habe. Landbauer habe in der Causa die Konsequenzen gezogen.

Aus der Opposition hagelte es Kritik an Kickls Aussagen, die als Einmischung in die Unabhängigkeit der Justiz angesehen wurden. Der Innenminister schickte am Nachmittag eine Erklärung nach und wies "Missinterpretationen" seiner Aussagen zurück. Er habe lediglich seinen aktuellen Wissensstand zum Ausdruck gebracht. Die Leitung der Ermittlungen in dieser Causa sei einzig Aufgabe der unabhängigen Justiz, hieß es in der Aussendung des Innenministeriums.

Liederbücher sichergestellt

Die Polizei führte am Mittwochabend eine Hausdurchsuchung bei der Germania durch. Dabei wurden auch 19 Liederbücher und zwei Ordner mit Unterlagen sichergestellt. Eine erste Beschuldigteneinvernahme soll es am Freitag geben.

Die Liederbücher werden nach Angaben der Staatsanwaltschaft nun von Experten des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung geprüft. Der von der Burschenschaft als Hauptverantwortlicher für ihre Neuauflage im Jahr 1997 Identifizierte soll am Freitag befragt werden.

Zu prüfen wird in dem Verfahren auch sein, ob die Vorwürfe juristisch noch aktuell sind. Nationalsozialistische Wiederbetätigung verjährt nach zehn Jahren, das Liederbuch wurde aber bereits 1997 veröffentlicht. Geklärt werden muss deshalb, ob die fraglichen Lieder seither propagandistisch verwendet wurden.

SPÖ beruft Sicherheitsrat ein

Die SPÖ hat in der Causa nun den Nationalen Sicherheitsrat einberufen. "Wir haben ganz stark den Eindruck, dass in dieser Bundesregierung aufgrund ihrer personellen Zusammensetzung diese Dinge nicht mit aller Härte verfolgt werden", sagte Klubchef Andreas Schieder und verwies auf die Mitgliedschaft führender FPÖ-Politiker in Burschenschaften. "Wir wollen sicherstellen, dass aufgrund der personellen Verstrickungen vieler Regierungsmitglieder in anderen Burschenschaften nichts unter den Teppich gekehrt wird."

Der Sicherheitsrat im Kanzleramt ist ein vertrauliches Beratungsgremium der Regierung in Angelegenheiten der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Vertreten sind neben den zuständigen Regierungsmitgliedern auch Vertreter aller im Hauptausschuss des Nationalrats vertretenen Parteien – also auch von SPÖ, Neos und Liste Pilz.

Uni-Professoren wenden sich an Kurz

In einem offenen Brief wenden sich mehrere Universitätsrektoren und -professoren in der Causa an Bundeskanzler Kurz. "Das ist ein Aufruf zum Massenmord, der als solcher behandelt werden muss", heißt es darin. "Beenden Sie die Zusammenarbeit mit allen, die Mitglieder rechtsextremer Burschenschaften in ihren Büros beschäftigen." (mika, tom, APA, 25.1.2018)