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Zum 200. Todestag Schillers gab es in der Wiener Hofburg einen schmissigen Festkommers.

Foto: (AP Photo/Hans Punz

Kaum jemand, der sich mit den schlagenden Burschenschaftsrecken ernsthaft und notgedrungen kritisch beschäftigt, tut dies aus Jux und Tollerei, aus Fixiertheit auf ein Feindbild, aus Enttäuschung über eine politische Wende. Die Ursache liegt vielmehr in der nachvollziehbaren Angst, ein Minimalkonsens der Zweiten Republik könnte schleichend aufgekündigt werden: die Verabscheuungswürdigkeit des NS-Regimes und die Ächtung seines unverdrossen fruchtbaren Schoßes. Das Liederbuch der Germania ist da nur die eisige Spitze eines Berges von Entgleisungen, die gewöhnlich mehr oder weniger unbeachtet bleiben.

Dass deutschnationale Burschenschafter dermaßen ins Machtzentrum der Republik vordringen würden, war vor wenigen Jahren absolut unvorstellbar. Welche Form von Attraktivität sollte dieser schmissige, trinkfeste und dünkelhafte Männerbund auf breitere Bevölkerungsschichten ausüben, dass sein politischer Einfluss einmal den anderer verhaltensorigineller Randgruppen in den Schatten stellen könnte?

Aus der Zeit gefallen schienen die verstaubten Rituale und endgültig diskreditiert die Hingezogenheit zu Blut und Boden, zum ungenierten Hantieren mit dem überholten Rassenbegriff und zu einer in einschlägigen Schriften gebetsmühlenartig wiederholten Bewertung der jüngeren Geschichte, die Götz Kubitschek, intellektueller Leitstern der extremen Rechten, 2015 in seiner heftig akklamierten Festrede zum 200. Gründungskommers der Urburschenschaft so in Worte kleidete: "Dann: die Republik und die Wirtschaftskrise und Hitler und die große Revanche, die in einem noch größeren Desaster endete."

Indirekte NS-Bekenntnisse

Mit anderen Worten: Die Nationalsozialisten haben möglicherweise etliches falsch gemacht, aber die wahre Katastrophe, das noch größere Desaster ist der Zusammenbruch 1945, die Niederlage, die Fremdbestimmung durch die Alliierten, die brutale Verfolgung der NS-Idealisten. Derlei indirekte Bekenntnisse finden sich regelmäßig und keineswegs geheim publiziert, sie gehören zum Standardrepertoire burschenschaftlicher Binnendiskurse.

Hier nur eine österreichische Variante jenes unsäglichen historischen Verständnisses: In der Jubiläumsbroschüre einer anderen Germania, der zu Ried im Innkreis, wird 2000 des Zweiten Weltkrieges gedacht, "der so bitter endete". Denn "die ersten Nachkriegsjahre brachten für viele Bundesbrüder Unbill und Verfolgung. Viele wurden aus ihren Ämtern gejagt, viele interniert und insgesamt fast alle verfolgt und verfemt." Wen der Verdacht beschleicht, dies mochte vielleicht Gründe gehabt haben, der wird in solchen Werken bestenfalls mittelbar fündig.

Wie jede verschworene Gemeinschaft, die sich mit ihren Grundsätzen teilweise am Rande der Legalität bewegt, greifen auch die Verbandsbrüder gern auf ein bewährtes Mittel zurück: die codierte Botschaft. Für den Eingeweihten ein offenes Buch, nach außen hin unauffällig. Und wird man ertappt, stellt man sich dumm und will von nichts gewusst haben. Wie das geschieht, lässt sich an der erwähnten Festbroschüre der Rieder Germania wunderbar demonstrieren.

Aus den Blütetagen der Verbindung zwischen 1919 und 1933 hat man zur Illustration nur ein einziges Einzelporträt eines seinerzeit aktiven Burschen für die vom Landeshauptmann mit Dankesworten einbegleitete Festpublikation ausgewählt. Die Bildlegende beschränkt sich auf den Namen des Dargestellten, Fritz Kranebitter. Nirgendwo ein Hinweis auf die Ämter, die der Polizist, Jurist und frühe illegale SSler nach der Machtübernahme ausgeübt hat, als da wären: Gestapochef von Wiener Neustadt, Referatsleiter in der Wiener Gestapozentrale am Morzinplatz, dann massenmordender Gestapochef von Charkow in der besetzten Ukraine und schließlich, nach Mussolinis Demontage, Abteilungschef in Verona, dem Hauptquartier der Gestapo in Italien. Was und wen aller der Innviertler Fritz Kranebitter auf dem Gewissen hat, beschreibt mein 2014 erschienener Roman Bitter in allen Details genauso wie sein Burschenschaftervorleben und seine freche, letztlich aber erfolgreiche Vernebelungsstrategie nach 1945. Mit großzügiger Hilfe der alten Seilschaften, versteht sich.

Wie, bitte, kann man auf den Gedanken kommen, einen solchen Paradeunmenschen kommentarlos als einzigen Vertreter der glorreichen Verbindungszeit prominent in einer Festbroschüre auszustellen? Dass keiner von den Alten Herren der Germania, darunter ein Mitglied der aktuellen oberösterreichischen Landesregierung, von Kranebitters zweifelhafter Prominenz die geringste Ahnung hatte und man schlicht den Fotogensten der Vorkriegsgermanen ausgewählt hat, mag glauben, wer will. Vielmehr steht zu fürchten, dass Kranebitter, SS-Spezialist für die brutale, die letale Ausschaltung politischer Gegner, darunter großer Teile des italienischen Widerstands von den Katholiken bis zu den Kommunisten, eine indirekte Würdigung erfahren sollte.

Aber so wie vermutlich kein Wiener Neustädter Germane das eigene Liederbuch kennen will, dürfte natürlich kein Rieder Germane eine Ahnung von der Biografie Kranebitters gehabt haben wollen. Und die Gesellschaft lässt den Herren das ewige Dummstellen zumeist anstandslos durchgehen.

So fern mir die Gedankenwelt der Burschenschafter steht, so sehr lehne ich es ab, rechtskonservative nationale Denkgebäude per se als NS-affin abzutun. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Nicht alle Burschenschafter haben Hitler zugejubelt, und unter denen von heute gibt es, will ich hoffen, durchaus anständige Leute. Besonders wenn sie öffentliche Ämter bekleiden oder Amtsträgern zuarbeiten, dürfen sie sich aber nicht wundern, auf unerträgliche Grauzonen in ihrem Freizeit- und Netzwerkbiotop angesprochen zu werden. Scheuklappen schützen nicht vor Mitverantwortung. (Ludwig Laher, 25.1.2018)