Frage: Kurz und knapp, was ist in der "Causa Landbauer" passiert?

Antwort: Udo Landbauer, Spitzenkandidat der FPÖ Niederösterreich, ist kurz vor der Landtagswahl mit Rücktrittsaufforderungen konfrontiert. Der "Falter" berichtete von einem Liederbuch der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt (deren Vizevorsitzender Landbauer bis vor wenigen Tagen war), in dem antisemitisches und die NS-Zeit verharmlosendes Gedankengut verbreitet wurde. Landbauer behauptet, die inkriminierten Texte nicht zu kennen. Die FPÖ hält an ihm fest, die ÖVP fordert Aufklärung. Gegen die Burschenschaft laufen inzwischen Ermittlungen.

ZiB-Magazin: Einfluss der Burschenschafter.
ORF

Frage: Könnte Landbauer tatsächlich nichts von den Nazi-Liedern gewusst haben?

Antwort: Da spricht dagegen, dass es noch einen zweiten Berührungspunkt zwischen Landbauer und völkischem Liedgut gibt: Das "Profil" hat ausgegraben, dass der FPÖ-Politiker im Jahr 2010 – damals war er Spitzenfunktionär der Freiheitlichen Jugend – den als rechtsextrem eingestuften und inzwischen aufgelösten Verein Junge Patrioten unterstützt hatte. In einem mit seinem Konterfei versehenen Schreiben warb er damals bei Sympathisanten um Spenden – auch für ein vom Verein herausgegebenes "Liederbüchlein". Dieses Buch beinhaltete ebenfalls Texte aus der Zeit des Nationalsozialismus.

Burschenschafter singen gerne: "Die Pflege des deutschen Liedgutes ist bis heute ein zentraler Bestandteil des Verbindungswesens", sagt Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW).
Foto: elmar gubisch

Frage: Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ermittelt im Fall Germania wegen NS-Wiederbetätigung. Ist das nicht schon längst verjährt? Schließlich wurde die aktuelle Auflage des Liedbands vor mehr als zwanzig Jahren gedruckt.

Antwort: Nein. Da das Liederbuch noch immer aufliegt, muss sich die Burschenschaft bis heute vorwerfen lassen, nationalsozialistisches Gedankengut zu verbreiten und NS-Verbrechen gutzuheißen.

Frage: Kommt Udo Landbauer selbst als Täter infrage? Schließlich war er stellvertretender Vorsitzender der Verbindung, bevor er seine Mitgliedschaft bis zur Klärung der Vorwürfe ruhend gestellt hat.

Antwort: Das ist eine Beweisfrage, die – sollte es zur Anklage gegen Landbauer kommen – das Gericht zu klären hat. Kann Landbauer nicht nachgewiesen werden, dass er vom Liedtext wusste und es aktiv zugelassen hat, dass der Text verbreitet wird, dann ist von seiner Unschuld auszugehen. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen vier bekannte Personen, die laut Verfassungsschutz für die Zusammenstellung der Liederbücher verantwortlich gewesen sein sollen. Namen werden nicht genannt.

Frage: Ist es auch strafbar, das Lied gesungen zu haben?

Antwort: Im Prinzip ja. Nicht nur das Verbreiten des gedruckten Textes, sondern auch das Absingen des NS-verherrlichenden Textes könne eine Straftat im Sinne des Verbotsgesetzes sein, sagt Strafrechtler Farsam Salimi von der Universität Wien zum STANDARD. Auch hier gilt aber: Es muss gewichtige Indizien geben – beispielsweise mehrere glaubwürdige Zeugenaussagen.

Frage: Wird in Burschenschaften tatsächlich regelmäßig gesungen?

Antwort: "Die Pflege des deutschen Liedgutes ist bis heute ein zentraler Bestandteil des Verbindungswesens", sagt Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Der Rechtsextremismusforscher ist überzeugt, dass das "Singen von NS-Liedern" in österreichischen Burschenschaften "nicht unüblich" sei. Die Lieder hätten in den Verbindungen eine "ideologische Komponente" und eine "identitätsstiftende Funktion". Jede Burschenschaft habe ihr eigenes Bundeslied. Auszug aus dem der Germania: "Bildet eine heil'ge Gilde nicht allein aus Stahl und Erz, wahrt die besten eurer Schilde, deutsche Zunge, deutsches Herz."

Udo Landbauer bei einer Veranstaltung der Burschenschaft Germania in Wiener Neustadt.
Foto: privat

Frage: Hat FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Juni 2017 nun an der Festveranstaltung der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt zu deren 100. Geburtstag teilgenommen?

Antwort: Strache behauptet: nein. Er war am 3. Juni zwar in Wiener Neustadt, habe dort aber nur am Burschentag des Österreichischen Pennäler-Rings, nicht aber am Stiftungsfest der Germania teilgenommen. Das ihm verliehene Ehrenband stamme vom Pennäler-Ring. Die Einladungen und das Programm der Germania sowie des ÖPR belegen aber, dass es sich um ein und dieselbe Veranstaltung gehandelt hat. Das ist auch auf einem Video auf der Facebook-Seite des Pennäler-Rings klar zu erkennen. Auf dem Podium der Veranstaltung im Sparkassensaal ist deutlich das Transparent der Germania zu sehen. Das Video wurde am Freitag offline genommen, die Seite des ÖPR war nicht mehr zugänglich. Dem STANDARD liegen auch Fotos von dieser Veranstaltung vor, auf denen sowohl Strache als auch Landbauer zu sehen sind.

Heinz-Christian Strache in Wiener Neustadt.
Foto: privat

Frage: In einer ersten Reaktion schloss Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) Ermittlungen gegen seinen Parteifreund Landbauer aus. Droht die Affäre damit vom Tisch gewischt zu werden?

Antwort: Einige Stunden nach dieser Aussage stellte Kickl klar, dass er sich missinterpretiert fühle. Sein Satz, dass er Ermittlungen gegen Landbauer für "ziemlich ausgeschlossen" halte, habe sich auf seinen Wissensstand zu diesem Zeitpunkt bezogen – schließlich wurde gegen unbekannte Täter ermittelt und nicht gegen Landbauer.

Frage: Warum dann die ganze Aufregung darüber?

Antwort: Grundsätzlich sind Beamte in den Ministerien an die Weisungen ihres Ressortchefs gebunden – wenn sich ein Minister schon vorab zum Ausgang eines laufenden Verfahrens äußert, kann das als Signal an die erhebenden und ermittelnden Behörden, also Exekutive und Judikative, aufgefasst werden. In Demokratien westlichen Zuschnitts gilt außerdem das Prinzip der Gewaltenteilung: Der Polizeiminister kann der Justiz keine Vorgaben machen, wie sie die Affäre rund um Landbauer zu beurteilen hat.

Frage: Was sagt der Justizminister zu der Affäre?

Antwort: Justizminister Josef Moser, einst bei der FPÖ, nun bei der ÖVP, versicherte am Freitag, dass die Justiz frei von politischer Einflussnahme vorgehe: "Das garantiere ich Ihnen zu tausend Prozent – denn da geht es um Rechtsstaatlichkeit." Entscheidend sei, dass die Verantwortlichen ausgeforscht und die nötigen Maßnahmen gesetzt würden.

Frage: Angesichts der Affäre rund um die Germania sprach sich FPÖ-Chef Strache für eine Historikerkommission aus – was meint er damit?

Antwort: Im Detail erklärte Strache am Freitag, dass sich "die Korporationen und das dritte Lager einer Aufarbeitung der Vergangenheit widmen" mögen – und dies könne durch eine Historikerkommission erfolgen, die "sich schonungslos mit den Fehlern der Vergangenheit auseinandersetzen" solle. Die Historikerkommission der Republik etwa hatte unter der schwarz-blauen Regierung von Wolfgang Schüssel (ÖVP) ein umfassendes Mandat, vor allem mit dem Fokus, welches Eigentum während der NS-Zeit entzogen und was nach 1945 überhaupt zurückgegeben wurde. Fünf Jahre lang dauerte allein diese Aufarbeitung.

Frage: Wie kann gewährleistet werden, dass die von Strache angeregte Kommission seriös arbeitet?

Antwort: Eva Blimlinger, einst Forschungskoordinatorin der Kommission der Republik, heute Rektorin der Akademie der bildenden Künste sowie Vorsitzende der Universitätenkonferenz, erklärt dem STANDARD: "Wenn die FPÖ eine Historikerkommission einsetzen möchte, soll sie wie damals jedenfalls die Institute für Zeitgeschichte, das Ludwig-Boltzmann-Institut und das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands um Vorschläge für eine Aufarbeitung ersuchen, um die Unabhängigkeit zu garantieren." Niederösterreichs FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer erklärte übrigens zuletzt, der "Falter" oder das Dokumentationsarchiv seien für ihn "nicht der Maßstab", was man singen und sagen dürfe oder was rechtsextrem sei. Aus Blimlingers Sicht wäre für eine Kommission außerdem wichtig, "hier den Rahmen vom Verband der Unabhängigen (Vorgängerpartei der FPÖ, auch WdU, Anm.) bis hin zur FPÖ und ihren Vorfeldorganisationen zu definieren – sowie die Biografien der Funktionäre zu erforschen".

Frage: Was sagt die Kirche dazu?

Antwort: Kardinal Christoph Schönborn sieht das NS-Liederbuch der Burschenschaft Germania als Zeichen dafür, dass das während der Tragödie der Shoah zugefügte Leid "noch keinen Abschluss gefunden" habe. "Der spöttische Applaus für die Mordtaten des Holocaust offenbart ein Ausmaß an Menschenverachtung, dem sich unsere Gesellschaft entschieden entgegenstellen muss." (Katharina Mittelstaedt, Maria Sterkl, Michael Völker, Nina Weißensteiner, 26.1.2018)