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Zweckoptimismus oder stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein? Oppositionspolitiker Alexej Nawalny organisierte am Sonntag Protestmärsche – und wurde wieder einmal vorläufig festgenommen.

Foto: AP Photo/Evgeny Feldman

Stell dir vor, es sind Wahlen, und keiner geht hin: Das ist die Vision von Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, nachdem die Wahlkommission ihm selbst die Teilnahme an der Abstimmung wegen einer vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof als "politisch motiviert" bezeichneten Vorstrafe verweigert. Der 41-Jährige will nun demonstrieren, dass der Kreml den Rückhalt des Volkes verloren hat. Am Sonntag rief er daher zu einem Wählerstreik auf.

Wieder einmal sammelte Nawalny seine Anhänger auf den Straßen von Moskau, St. Petersburg und anderen russischen Großstädten. Mit der russischen Flagge, Transparenten wie "Wir fordern legitime Wahlen" oder auch in Putin-Masken gingen erneut vor allem junge Leute demonstrieren. An Kreativität fehlte es den Demonstranten nicht, sehr wohl aber an Masse.

Im Frühjahr 2017 hatte Nawalny noch Zehntausende mit der Veröffentlichung eines Korruptionsskandals um Ministerpräsident Dmitri Medwedew zu Protesten mobilisiert. Das Video zu Villen, Weingütern und Yachten, die Medwedew zugeschrieben werden, wurde millionenfach geklickt, doch der Kreml antwortete auf die Vorwürfe nicht, sondern verhielt sich schreckstarr und stumm, was die Öffentlichkeit nur noch weiter erboste. Erst auf die friedlichen Demonstrationen reagierte die Obrigkeit – und zwar mit Härte und Festnahmen.

Diesmal hielt sich die Polizei weitgehend zurück; auch weil die Proteste gegen eine vierte Amtszeit Wladimir Putins viel schwächer ausfielen als der Unmut über die mutmaßliche Korruption des ohnehin unbeliebten Premiers. 350 Demonstranten wurden aufs Revier gebracht, das entspricht einem Drittel der Festnahmen bei den Frühjahrsaktionen. Auch Nawalny wurde natürlich abgeführt, aber bereits nach kurzer Zeit – zumindest vorläufig – wieder auf freien Fuß gesetzt.

Kreml zeigt sich gelassen

"Nein", eine Gefahr stellten die sonntäglichen Aktionen für Putin nicht dar, erklärte sein Sprecher Dmitri Peskow anschließend. Nawalny könne es an Popularität nicht mit dem Kremlchef aufnehmen, meinte er und fügte hinzu, es gebe weltweit wohl niemanden, der so populär wie Putin sei. "Es kann wohl kaum jemand in Zweifel ziehen, dass Putin in der öffentlichen Meinung absolut führend ist, der Anführer des politischen Olymps, mit dem in der derzeitigen Phase kaum jemand konkurrieren kann", sagte Peskow.

Zumindest in Russland zeigen die offiziellen Umfragen, dass Putin tatsächlich unangefochten in der Wählergunst führt. Die zugelassenen Gegenkandidaten des Amtsinhabers haben alle einstellige Zustimmungswerte, während Russlands Langzeitpräsident auf rund 70 Prozent bei der Sonntagsfrage kommt. Ein Wahlsieg in der ersten Runde ist fest eingeplant.

Tatsächlich führt auch kaum einer der Kandidaten einen ernsthaften Wahlkampf. In den Medien ist eigentlich nur Präsident Putin präsent; Xenia Sobtschak schaffte es lediglich mit der wenig förderlichen Meldung in die Schlagzeilen, dass sie mitten im Wahlkampf einen Abstecher nach Washington plane. Angesichts der antiamerikanischen Stimmung in Moskau dürfte sie damit weitere Minuspunkte in der Bevölkerung sammeln – allerdings halten einige politische Beobachter ihre Kandidatur ohnehin für eine PR-Aktion des Kreml, um das liberale Lager weiter zu diskreditieren.

Die anderen Kandidaten sind in der Öffentlichkeit praktisch abgetaucht. Auf den Wahlkampfplakaten in Moskau ist nur das Konterfei des Kreml-Chefs mit dem Slogan "Starker Präsident. Starkes Land" abgebildet. Im Februar sollen sich die Kandidaten immerhin in TV-Debatten präsentieren. Putin wird traditionellerweise dann allerdings nicht dabei sein, um sich nicht auf eine Stufe mit den Herausforderern zu stellen.

Und so trübt lediglich die niedrige Wahlbeteiligung das Bild des Kreml. Laut dem Politologen Kyrill Rogow werde sie auf "beispiellos niedrigem" Niveau liegen. Da es allerdings keine Untergrenze für die Wahlbeteiligung gibt, kann Putin auch diesem Trend gelassen entgegensehen. (André Ballin aus Moskau, 29.1.2018)