Seit Jahren wächst die Zahl der Wölfe in Europa. Das polarisiert die Gemüter – zwischen Begeisterung und Ablehnung.

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Vor zwei Jahren ließ sich erstmals wieder ein Rudel in Österreich nieder. Hier eine Aufnahme vom Truppenübungsplatz Allentsteig im August 2016.

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Wien – "Erste Risse! Angst vor dem Wolf geht um", "Lage spitzt sich zu": Geht es nach Schlagzeilen der niederösterreichischen Lokalpresse in den vergangenen Wochen, hat Österreich ein veritables Wolfsproblem. Berichte über zunehmende Risse machen die Runde, Bauern warnen vor einer Gefährdung der Almwirtschaft, einige Jäger gar vor einer drohenden Ausrottung mancher Wildarten. Forderungen nach Abschussgenehmigungen für die durch EU-Recht streng geschützten Raubtiere werden laut.

Umweltschützer widersprechen vehement und sehen im Wolf einen unverzichtbaren Bestandteil der heimischen Ökosysteme, dessen Rückkehr wichtig und höchst begrüßenswert sei: Er erbeute vor allem kranke, schwache und alte Tiere und bleibe dem Menschen von Natur aus fern, argumentiert etwa der Naturschutzbund Österreich und fordert: "Mehr Akzeptanz für den Wolf!"

Erstes Rudel auf österreichischem Boden

Mit dem Wolf zieht offenbar auch ein Streit in unsere Gefilde, in dem sich vor allem zwei Positionen Gehör verschaffen: Hysterie, Angst und Hass auf der einen Seite, ein romantisch-verklärtes Bild der Natur auf der anderen, oder zugespitzt: der Wolf als Feind der modernen Zivilisation versus den Wolf als Retter der Ökosysteme. Wie sehr Canis lupus, so seine wissenschaftliche Bezeichnung, polarisiert, zeigt sich, wann immer er auftaucht.

Dabei ist das hierzulande bisher nicht besonders oft der Fall: Nach Jahrzehnten der weitgehenden Ausrottung, in denen es allenfalls einzelne Tiere auf Wanderschaft nach Österreich verschlug, lässt sich erst seit 2016 von einer wirklichen Rückkehr des Wolfs sprechen: Im niederösterreichischen Allentsteig – ausgerechnet auf dem größten Truppenübungsplatz des Landes – kam der erste dokumentierte Wolfsnachwuchs der Zweiten Republik zur Welt. 2017 gab es dort noch einen weiteren Wurf, sonst ist in Österreich aber kein anderes Rudel bekannt.

Zunehmender Bestand

Mehr als zehn bis 15 Tiere sind wohl noch nicht unterwegs, sagt Georg Rauer, Biologe am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Das könnte sich aber bald ändern: In Deutschland zählt man heute schon an die 70 Rudel, und auch in der Schweiz und im italienischen Alpengebiet nimmt deren Zahl stetig zu. "Es ist klar damit zu rechnen, dass auch mehr Tiere nach Österreich kommen werden", sagt Rauer, der Wolfsbeauftragter für Österreich ist und das Wolfsmonitoring, also Überwachung und Dokumentation der Tiere, verantwortet. Risse oder andere Probleme gebe es bisher nur "ganz wenige", so Rauer: "Die jetzige Aufregung gründet nicht auf den in Österreich tatsächlichen Vorkommnissen, sondern auf dem, wie sich das entwickeln kann – was es heißt, wenn einmal mehr Tiere da sind."

Welche Probleme, Chancen und Folgen der Wolf mit sich bringt, beobachtet Andreas Beerlage in Deutschland seit gut zwei Jahrzehnten. In seinem neuen Buch Wolfsfährten zeichnet der Journalist die Rückkehr des Wolfs in die Bundesrepublik nach. In Gesprächen mit Wissenschaftern, Schafzüchtern, Jägern und Umweltschützern sowie aus Medienberichten, Internetforen und Fachtagungen trug Beerlage Informationen zusammen, um die sehr verschiedenen Interessenlagen und Perspektiven zu beleuchten.

Ideologische Debatte

"Kein anderes Tier birgt größere gesellschaftliche Sprengkraft", sagt Beerlage. "Der Wolf bietet eine großartige Projektionsfläche: Für die einen ist er ein Heilsbringer auf vier Pfoten, der nur ökologische Vorteile bringt und für eine Welt steht, die noch in Ordnung war. Für die anderen ist er archaisch, gefährlich und steht schlicht im totalen Widerspruch zu einer modernen Welt."

Die Debatte berühre politisch-ideologische Denkmuster, den Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie und den Dauerkampf zwischen Jägern und Naturschützern – eine explosive Mischung. Für die tatsächlichen Probleme, die es mit Wölfen gibt, ist für Beerlage vorwiegend der Mensch verantwortlich: die Fragmentierung natürlicher Lebensräume, Mülldeponien, "Wolfsfreunde", die die Tiere füttern und damit an den Kontakt mit Menschen gewöhnen, oder Behörden, die nur zögerlich reagieren und damit die Sorgen der Bürger und Landwirte nicht ausreichend ernst nehmen, hätten erheblichen Anteil daran.

Mythos auf vier Pfoten

Er vermisst aber auch eine Ehrlichkeit seitens der Umweltschützer und Biologen: "In Deutschland ist anfangs immer nur von der natürlichen Scheu geredet worden, dass es dem Wolf quasi in den Genen liegt, uns aus dem Weg zu gehen." Das stimme aber so nicht: Der Wolf sei ein Opportunist, der genau das mache, was ihm nützt, so Beerlage: "Man müsste von vornherein sagen: Ja, da kann schon was passieren, aber es ist sehr unwahrscheinlich."

Für Beerlage steckt noch ein anderer, uralter Faktor hinter der emotionalen Diskussion über die Rückkehr der Wölfe: die mythische Rolle, die die Vierbeiner seit vielen Jahrtausenden in der Vorstellung des Menschen spielen, die sich schlicht aus der langen gemeinsamen Geschichte ergibt. Wann genau sich Mensch und Wolf zum ersten Mal begegnet sind, lässt sich zwar nicht sagen. Lange kann es aber nicht gedauert haben, nachdem Homo sapiens von Afrika aus die Welt eroberte.

Uralte Beziehung

Denn zu diesem Zeitpunkt war Canis lupus noch das am weitesten verbreitete Landsäugetier der Erde. Als Spitzenprädator stand er in direkter Konkurrenz zu den neu eingewanderten Zweibeinern. Doch wie bald sich die beiden Spezies in einer beispiellosen Partnerschaft zusammengetan haben, zeigen neue genetische und archäologische Untersuchungen immer deutlicher: Heute weiß man, dass sich die Genome von Wolf und Hund in Eurasien vor 35.000 Jahren getrennt haben, seither begleitet der Hund den Menschen. Die Beziehung zur wilden Stammform der Hunde verlief weniger geradlinig – wie sich bis heute zeigt.

Um in der aktuellen Situation die Wogen zu glätten, sei es nicht zuletzt wesentlich, finanzielle Mittel für diejenigen bereitzustellen, die unmittelbar von der Wiederansiedlung der Wölfe betroffen sind, sagt Beerlage: "Wenn man einem Schafzüchter nur 80 Prozent der Kosten für neue Zäune und Herdenschutzhunde ersetzt, ist er automatisch ein Verlierer. Ehrlich sein und zahlen: Ich glaube, damit wären schon einmal drei Viertel der Diskussionen vorbei."

Auch Rauer betont, dass man die Kosten nicht einfach den Betroffenen umhängen könne. Dass in Österreich bislang eine umfassende Regelung und der Aufbau von Herdenschutzmaßnahmen fehlen, sei aber auch eine Strategiefrage der Interessenvertreter: "Da wird zum Teil immer noch auf eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen gesetzt, um den Wolf zu verhindern. Aber dessen Schutz ist fest verankert – wir können nicht sagen, in Österreich kommen wir mit dem Wolf nicht zurecht, daher kann es ihn bei uns nicht geben." (David Rennert, 3.2.2018)