Wynton Marsalis spielt am Mittwoch im Wiener Konzerthaus.

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Wien – Versonnen lehnt der Bandleader am Klavier, während der Trompeter ein elegantes Solo über die Akkorde von Duke Ellingtons Mood Indigo legt. Wynton Marsalis könnte das auch; im Wiener Konzerthaus jedoch ist der Trompeter für einmal nur Pädagoge. Am Dienstag und Mittwoch konzertiert er mit dem Lincoln Center Orchestra im Sinne von Benny Goodman bzw. Dizzy Gillespie und Miles Davis. Im Mozartsaal war am Montag jedoch – vor jungem Publikum – Big-Band-Leader und Komponist Duke Ellington (1899-1974) sein Kernthema.

Traditionalist Marsalis wettert ja gerne gegen freie Improvisation, Jazzrock und sonstige Abweichungen von dem, was er für die "reine" Swinglehre hält. "Der größte Komponist des Jazz" ist für Marsalis also auch jene historische Größe, mit der er gewisse Konventionen als Teil eines "unumstößlichen" Regelwerks präsentieren kann. "Was ist ein Riff?", fragt Marsalis oder: "Was hat es mit einem Break auf sich?" Die Lincoln-Musiker setzen dann zur herzhaften Demonstration an. Später steht Marsalis wieder beim Flügel und erklärt die rhythmisch hin- und herhüpfende linke Hand seines Pianisten. Das sei das gute alte "Stride-Piano".

Bitte Wiederholen!

Was ein Riff ist, die beharrliche Wiederholung einer (Begleit-) Phrase also, lässt sich auch an Marsalis' pädagogisch etwas aufdringlichem Stil erkennen: Immer wieder – als ginge es darum, Anwesenden etwas einzuhämmern – lässt er Sätze und Namen wiederholen. Ellington hat von sich selbst gesagt, er sei der "weltbeste Zuhörer". Also jetzt bitte alle: "Sei der weltbeste Zuhörer, sei der weltbeste Zuhörer!", dirigiert der Mann aus New Orleans das Publikum. Für Marsalis ist Ellingtons Verdienst auch in der Stilfusion von "sweet" und "hot" begründet.

Und da der immer fein gekleidete "Duke" wie ein Maler dachte, das Orchester als Farbarchiv verstand, habe er mit den instrumentalen Klangvaleurs malend komponiert. Das wird dann eine schöne Demonstration: Posaune, Trompete und Klarinette spielen Mood Indigo in drei Versionen, um Ellingtons klangliche Raffinesse zu enträtseln. Charmant und erhellend.

Zitieren vs. Individualität zelebrieren

In solchen Augenblicken wird der Besucher Zeuge einer Art Originalklangbewegung des Jazz. Der einzelne Musiker hat nicht mehr die Aufgabe, seine Individualität, um die es ja im Jazz immer ging, zu zelebrieren. Er hat alte Stile zu simulieren.

Widerspruch dazu: Marsalis fordert alle auf, nicht zu kopieren, auch wenn seine Musiker nichts anderes taten, als Ellingtons Sound zu zitieren. Am Mittwoch wird es aber sicher individueller zugehen. Als Marsalis entspannt zur Kenntnis nimmt, dass seine Ambitionen, den Kleinen etwas einzuimpfen, wenig erfolgreich blieben, hatte er ja etwas von jener Großzügigkeit, die er bei Ellington als "generosity of spirit" entdeckt hat. Offenbar hat er selbige in Teilen verinnerlicht. (Ljubisa Tosic, 30.1.2018)