Die Demokratie steht weltweit unter autoritärem Druck. Wie soll man sich wehren? "Indem man sich angegriffen fühlt!", rief der deutsche Sozialpsychologe und Soziologe Harald Welzer bei der vom STANDARD mitveranstalteten Diskussion am Sonntag im Burgtheater.

Und fuhr fort: "Die meisten Menschen hier im Saal sind in einer Demokratie aufgewachsen. Das Problem dabei ist, dass oft das Bewusstsein fehlt, das auch verteidigen zu müssen. Und dem kann man nur entgegentreten, indem man dem entgegentritt."

"Es ist Zeit", um einen Wahlslogan von Sebastian Kurz aufzugreifen, dass die Demokraten sich der Gefahr bewusst werden und etwas tun. Europa kämpft mit dem Rechtspopulismus und Österreich mit einer schwer rechtslastigen Regierung.

Kurz argumentiert intern gegenüber Kritikern, ob sie nicht anerkennen könnten, dass er mit seinem Wahlerfolg verhindert habe, dass die FPÖ die Nummer eins und Heinz-Christian Strache Kanzler geworden wäre. Da ist was dran.

Der nächste Schritt von Kurz war aber, unter bewusster oder halbbewusster Ignoranz der nationalsozialistischen, extrem rechten DNA-Spuren in der FPÖ mit dieser eine Koalition zu bilden. Die FPÖ hat ihre Wurzeln im Nationalsozialismus nicht gründlich abgeschnitten. Auf jedes Judenvergasungslied in einer Pennäler-Verbindungsbude kommen drei Dutzend andere "Einzelfälle". Der FP-Abgeordnete Wolfgang Zanger sagte etwa im Jahr 2006: "Natürlich hat es gute Seiten am Nationalsozialismus gegeben, nur die hören wir heute alle nicht mehr." Bei den Koalitionsverhandlungen 2017 war er für das Thema "Verfassung" zuständig.

FPÖ-Chef Strache versucht, diese NS-DNA loszuwerden. Er hält immerhin vor den Gästen des Akademikerballs eine Rede, in der er den Antisemitismus ablehnt (schwacher Applaus, dafür heftiger Shitstorm seiner Anhänger auf Facebook). Er will eine Historikerkommission einsetzen, um die Wurzeln auszugraben und abzuschneiden. Aber selbst wenn die FPÖ all diese Restbestände an brauner DNA entfernt – was mehr als fraglich ist -, dann bleibt sie immer noch eine äußerst rechte Partei, die z. B. nicht aus der EU-feindlichen Fraktion im Europaparlament austreten, sondern eine neue, noch größere gründen will. So wie Marine Le Pen ihren neonazistischen Vater ausgebootet hat, aber die Vorsitzende eine ultrarechten Bewegung geblieben ist.

Mit so einem Partner will Sebastian Kurz regieren. Er tat es zuletzt wenig überzeugend. Sich auf das Strafrecht ("Verbotsgesetz") zurückzuziehen reicht da nicht für einen Bundeskanzler.

Neos-Chef Matthias Strolz hat schon in zwei Interviews die Sorge geäußert, dass Kurz selbst anfällig für ein Konzept einer "gelenkten Demokratie" sei. Das wäre mehr als dramatisch. Vorläufig reicht es, dass Demokraten sich angegriffen fühlen von den bereits klar sichtbaren Tendenzen der autoritären Rechten in Europa und Österreich – der deutsche AfD-Politiker Björn Höcke wurde auch am Akademikerball gesichtet. Das Bewusstsein, sich verteidigen zu müssen, von dem Harald Welzer sprach, sollte sich sehr rasch entwickeln – und sich zu einer Strategie ausformen. (Hans Rauscher, 30.1.2018)