Tizian: "Mädchen im Pelz" (um 1535) aus dem Kunsthistorischen Museum war ursprünglich auch Teil der Sammlung von Charles I.

Foto: KHM

London / New York / Wien – Durchschnittlich einmal im Jahr kommt Königin Elizabeth II. ins Londoner Parlament, um die neue Session zu eröffnen. Auf dem Weg zwischen dem Monarcheneingang und dem Oberhaus hängt an prominenter Stelle eine Kopie des Todesurteils gegen Karl I. vom Januar 1649 – immerwährende Mahnung an englische Monarchen, sich dem im Parlament repräsentierten Willen des Souveräns nicht zu widersetzen.

Verschwender und Nichtskönner hat es auf dem englischen Thron reichlich gegeben. Der 1600 geborene Karl (Charles) kann als schlimmstes Beispiel gelten. Aufgewachsen im Schatten seines erfolgreichen, kräftigen Bruders klammerte sich "der stotternde Wicht", wie ihn der Historiker John Morrill bezeichnet, nach dem Tod des Kronprinzen an die göttliche Vorsehung – schließlich hatte diese ihm ja den Weg zum Thron freigemacht.

Dieses ungewöhnliche Porträt Karls I. schuf van Dyck 1635/36. Das Gemälde "reiste" nach Rom, wo es Bernini als Vorlage für eine Marmorbüste des Monarchen diente.
Foto: Royal Collection Trust / © Her Majesty Queen Elizabeth II 2017

Kompromisslos in den Bürgerkrieg

Im Bewusstsein seines Gottesgnadentums verfiel der seit 1625 regierende Stuart-König dem Irrglauben, ein König müsse sich weder mit den Untertanen verständigen noch im Parlament rechtfertigen.

Diese Verbohrtheit stürzte das eigentlich königstreue Land in den blutigen Bürgerkrieg der 1640er-Jahre, an dessen Ende Karl seinen Kopf verlor. Selbst der überaus royalistische Autor Andrew Gimson urteilt über den kompromisslosen Karl I., dieser habe "als Staatsmann und Kriegsherr versagt" und "einige seiner treuesten Gefolgsleute im Stich gelassen".

Eine positive Eigenschaft dieses politischen Versagers feiert jetzt die Royal Academy (RA) anlässlich ihres 250-jährigen Bestehens. Denn der Monarch liebte die Kunst. Noch als Prinz hatte er 1623 eine Reise nach Spanien unternommen und dort die reichen Kunstsammlungen König Philipps IV. kennen gelernt, die in nachhaltig beeindruckten. Bei seiner Heimkehr hatte er bereits wertvolle Gemälde von Tizian und Veronese mit im Gepäck.

Einzigartige Kunstsammlung

Unterstützt von Agenten baute er in den folgenden Jahren eine Kunstsammlung auf, die mit ihrem Schwerpunkt auf italienischer Malerei aus Sicht der Fachwelt in Nordeuropa einzigartig war.

Zeitgleich verwüstete der 30-jährige Krieg (1618–1648) ganze Landstriche des europäischen Kontinents und trieb kunstsinnige Fürstenhäuser in den Ruin. Der königlichen Kauflust tat dies keinen Abbruch, im Gegenteil. 1632 berief er Anthonis van Dyck zum Hofmaler und erhob ihn in den Adelsstand.

"Charles I" heißt die opulente Ausstellung, die 140 Werke aus seiner einstigen Sammlung zeigt. Ebenso gut hätte man sie "van Dyck" nennen können, stellen doch dessen Gemälde den Kern der Zusammenschau dar. Bis heute nennt die englische Krone die umfangreichste Sammlung seiner Werke ihr Eigen.

Andrea Mantegna: "Triumpf des Kaisers: Die Vasenträger" (circa 1484–1492).
Foto: Royal Collection Trust / © Her Majesty Queen Elizabeth II 2017

Hofmaler Van Dyck

Bis zu seinem Tod 1641 bannte der Hofmaler immer wieder den Monarchen, die Königin, den König hoch zu Pferd oder im Kreis der Familie auf die Leinwand. Ein Gemälde ist großartiger als das andere. Da hatten sich zwei gefunden: Van Dyck gilt ja rückblickend als steifer als seine Zeitgenossen Rembrandt und Velazquez, ganz erkennbar entsprach dies der Persönlichkeit seines Arbeitgebers.

Gleich im ersten Raum lässt sich darüber streiten, wer denn nun der Wichtigere ist: Der König oder doch eher der Künstler, dessen dreiköpfige Studie Karls I. den Saal dominiert. Das Gemälde wurde nach Rom geschickt, wo Bildhauer-König Gian Lorenzo Bernini eine Büste anfertigte. Die Skulptur fiel später einem Feuer zum Opfer; das wunderbare Gemälde böte Gelegenheit, über mindestens drei Charakteristika Karl I. zu reflektieren: die persönliche Unsicherheit, die politische Unfähigkeit, den Kunstsinn.

Verkauf der Kunstsammlung 1650

Nichts davon leistet die "Traumausstellung", von der RA-Präsident Christopher le Brun, schwärmt. "König und Sammler", lautet ihr Untertitel, aber vom verheerend schlechten König ist kaum die Rede. Gerühmt wird der Connaisseur, dessen Sammlung nach seiner Hinrichtung am 30. Jänner 1649 weitestgehend in alle Welt zerstreut wurde.

Das lag nicht nur an der Skepsis der tiefreligiösen Puritaner, die nun angeführt von Oliver Cromwell die Republik einführten. Vor allem lag es an den enormen Schulden, die der Enthauptete hinterlassen hatte. Und diese sollten etwa auch über den Verkauf von 1.300 Gemälden gedeckt werden, die eine Verwaltungsdelegation auswählte.

Bis Mai 1650 waren jedoch nur 350 Werke verkauft und musste das Parlament die Schulden vorfinanzieren. Zeitgleich bot man der Heerschar von 970 in 14 Kreditorenkonsortien vereinten Gläubigern Gemälde als alternative Kompensation an.

Dieser Tizian ging aufgrund der Schulden des Königs in den Besitz seines Installateurs über, der einer der Gläubiger von Charles I. war. Jetzt ist er Teil einer Altmeister-Auktion bei Sotheby's in New York.
Foto: Sotheby's

Ein Tizian für den Installateur

Darunter war etwa auch "A piece of Christ done by Leonardo" für 30 Pfund, dessen Spur sich für mehr als 350 Jahre verlieren sollte: jene Salvator-Mundi-Darstellung, die der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman im November 2017 für 450 Millionen Dollar ersteigerte.

Denn Werke dieser royalen Provenienz kommen immer wieder auf den Markt. Aktuell sollen in der Nacht auf Freitag bei Sotheby’s in New York gleich zwei solcher Gemälde zum Schätzwert von jeweils zwei bis drei Millionen Dollar den Besitzer wechseln: ein von Van Dyck gemaltes Porträt des fünfjährigen Prinz Willem II. von Oranien sowie die aus der Werkstatt Tizians stammende Darstellung der Märtyrerin Margareta mit dem ihr zugewiesenen Attribut eines Drachen.

Letzteres Bild findet sich auch im Verkaufsinventar von 1649 vermerkt ("Margrett afraid of a Monster. By Tytsian", geschätzt auf 100 Pfund) und war als Ausgleich für offene Rechnungen in den Besitz des königlichen Installateurs gekommen.

Bestände im KHM

Auch in Wien stößt man auf Kunstwerke, die einst Karl I. gehörten. Konkret im Kunsthistorischen Museum (KHM), in dessen Bestand sie teils über Ankäufe von Erzherzog Leopold Wilhelm oder über Tausch gelangten. 17 insgesamt, darunter Caravaggions "David mit dem Haupt des Goliath", Van Dycks Porträt von Nicholas Lanier oder auch die Tizian-Gemälde "Lukrezia, Mädchen im Pelz" und "Isabella d’Este".

Andere Kapazunder fanden im Prado (Madrid), im Louvre (Paris) oder später auch in US-amerikanischen Museen eine endgültige Heimat, wie die nun in London gastierenden Leihgaben belegen.

Dieses Bildnis des Prinzen Willem II von Oranien, den Van Dyck samt Hund porträtiert hat, sucht nun in New York einen neuen Besitzer.
Foto: Sotheby's

Idealisierung des Bürgerkriegskönigs

Eine Reihe britische Kunstkritiker nahm die Ausstellung zum Anlass, den Connaisseur Karl I. rückwirkend zu idealisieren und über den Bürgerkriegskönig zu stellen. Prompt erklärte die öffentlich-rechtliche BBC den parlamentarischen Nachfolger Oliver Cromwell zum "Idioten". Wie der die Millionenschulden stattdessen hätte tilgen sollen, blieb offen.

Nachdem sein Sohn Karl II. 1660 den Thron bestiegen hatte, holte dieser einige der Kunstwerke wieder zurück. Rund 200 davon gehören Queen Elizabeth II., ein Bruchteil hat sich zum temporären Gastspiel in der Rocal Acadamy eingefunden.

Insgesamt umfasst die königliche Sammlung dreimal so viele Kunstwerke wie die National Gallery im Bestand hält. Queen Elizabeth II., so heißt es offiziell, verwaltet sie – man beachte die Reihenfolge – "treuhänderisch für ihre Nachfolger und die Nation". (Sebastian Borger, Olga Kronsteiner, 1.2.2018)