Die Neue Mittelschule ist nicht nur in Wien für viele Eltern keine Option

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Es geht um die Zukunft des eigenen Kindes. So schwer und bedeutungsvoll das klingt, so gewichtig fühlt sie sich auch an – die Entscheidung, die rund 80.000 Viertklässler-Eltern spätestens in der Woche nach den Semesterferien treffen müssen: Wie geht es ab Herbst, wenn die relative Geborgenheit im Nest der Volksschule verlassen wird, mit der schulischen Laufbahn des Nachwuchses weiter?

AHS oder NMS? Die Schule ums Eck oder die mit dem Bewegungsschwerpunkt, von dem die anderen Eltern so schwärmen? Das traditionelle öffentliche Gymnasium oder – falls finanziell stemmbar – die private Montessori-, Waldorf- oder konfessionelle Privatschule?

Das Beste fürs Kind

Es sind solche Fragen, die Eltern schlaflose Nächte bescheren. Entscheidungen, die keine Neunjährige und kein Neunjähriger alleine treffen kann. Was ist das Beste fürs Kind? Jeder hat eine Geschichte zu erzählen, sie alle eint: die Bitte um Anonymität. Auch, weil man mitunter nur mit "Tricks" an jener Schule landet, die man in mühevollem Abwägen der Argumente schlussendlich als Wunschschule auserkoren hat.

Manchmal beginnt die Qual der Wahl schon viel früher. Etwa für Frau A., die schon in die Suche nach einer geeigneten Volksschule für ihre leicht legasthenische Tochter viel Zeit und Nerven investiert hat. "Ich wollte eine Schule, an der sie gefördert wird." In den öffentlichen Volksschulen in ihrem Wohnbezirk in Wien 12 habe sie, was die Förderung anlangt, ein schlechtes Gefühl gehabt: zu viele Kinder, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft und/oder mangelhafter Sprachkenntnisse viel Aufmerksamkeit benötigen, fand Frau A. Also wollte sie ihr Glück in einer öffentlichen Volksschule im sechsten Bezirk versuchen.

Was folgte, war ein Vorgang, der so absurd wie im österreichischen Bildungssystem normal scheint: Das Kind wurde umgemeldet – nette Freunde hatten sich dazu bereiterklärt, Direktion und Meldeamt haben unterstützend beide Augen zugedrückt und keine Fragen zum ungewöhnlichen Wohnortwechsel gestellt.

Für Frau A. war es die Mühe wert. Sie war mit der Schule zufrieden, nur über das Plakat am Gang mit der Aufschrift "Für's Leben lernen wir, nicht für die Schule" ärgerte sie sich: "So ein Blödsinn, jeden Tag haben wir für die Schule gelernt, gerade meine Tochter." Trotzdem zeigte sich immer deutlicher: Die Tochter wird aufgrund ihrer Teilleistungsschwäche nie ein Gymnasium besuchen. "Es war klar: Wir brauchen eine Neue Mittelschule. Ich habe mich bereits Anfang der dritten Klasse danach umgeschaut."

Was sie an den öffentlichen NMS im Bezirk gesehen hat, hat ihr nicht gefallen: "Ein Großteil der Kinder mit Migrationshintergrund, fast nur Buben, eine extrem angespannte Situation." Auch eine private NMS hat keinen guten Eindruck hinterlassen: "Das war eine kleine, enge Schule. Wenn ich schon Geld zahle, stelle ich mir das anders vor." Letztlich ist Frau A. in Wien 15 fündig geworden, an einem Standort, an dem im Schulversuch mit Klassen von der ersten bis zur achten Schulstufe das Konzept Gesamtschule erprobt wird. Statt des ärgerlichen Plakats steht hier ein Trampolin am Gang.

"Nicht für mein Kind"

Die Neue Mittelschule ist nicht nur in Wien für viele Eltern keine Option. User "Neudopsym" schreibt im STANDARD-Bildungsforum: "Ich wohne im südlichen Niederösterreich, in einer Stadt mit sehr hohem Anteil an Migranten." Er selbst sei auch in Wiener Neustadt in die Hauptschule gegangen, erzählt er am Telefon, "und das will ich nicht für mein Kind". Das Niveau an den NMS sei "sozial und bildungstechnisch spannend", da helfe auch kein Deutschkurs. Sein Plan: "Bevor ich meine Kinder in eine NMS stecke, nehme ich jede Hürde in Kauf, um sie an einer AHS oder Alternativschule unterzubringen."

Jede Hürde? Ein anderer Vater, Herr B., erzählt dem STANDARD, wie die in seinem Fall ausgesehen hat: Eine großzügige finanzielle Spende für den Schulverein des konfessionellen Schulbetreibers könnte die Chancen des Sohnes, aufgenommen zu werden, deutlich erhöht haben.

Konkurrenz statt Ersatz

Der schlechte Ruf der Neuen Mittelschule passt ganz gut zu jenem Ergebnis, zu dem im März 2015 auch ein Evaluierungsbericht des Bildungsministeriums gekommen war. Kurz gefasst heißt es da, dass in der 2012 eingeführten neuen Schulform keine besseren Lernerfolge erreicht werden als in der von ihr abgelösten Hauptschule. Die Erklärung der Experten damals: Weil die NMS "nicht als Ersatz, sondern in Konkurrenz zu etablierten Schulformen eingeführt und sozial selektiv gewählt wurde".

Bildungsaffine Eltern bleiben besorgt zurück: "Angst vor der NMS hat uns viele Nerven gekostet – unbegründet, das Kind lernt dort gut und motiviert. Jetzt wird es Zeit für die AHS-Oberstufe – bin gespannt, ob sie dort hinkommt, wo wir es uns vorstellen, und wenn ja, wie es dort wird", schreibt ein Vater im STANDARD-Forum. Frau A. hat den Übertritt von der Wiener Mittelschule an die HTL beim ältesten Kind erlebt: "Er kämpft irrsinnig! Es scheint ihm an Vorwissen zu fehlen."

Wer Kinder hat, die schulmäßig "funktionieren", hat es leichter, aber nicht unbedingt einfacher. Zwar muss nicht spätestens ab der vierten Volksschulklasse Druck gemacht werden, dass die Noten passen – ob der weitere Bildungsweg aber in die Wunschschule führt, ist nicht ausgemacht. Die öffentlichen Gymnasien werden überrannt, künftig sollen sie laut Regierungsprogramm die "temporäre Möglichkeit von Eingangsverfahren" erhalten.

Mancherorts weiß man sich jetzt schon zu helfen: "Falls man sich gleich für den Altgriechisch-Zweig ab der fünften Klasse voranmeldet, bekommt man den Schulplatz, auch wenn man nicht im Bezirk wohnt", berichtet ein Vater. Nach einer Prüfung durch den Lehrstoff der Volksschule und Einblick in die Schularbeitshefte seiner Tochter darf er jetzt 650 Euro im Monat für eine Privatschule zahlen. Es geht schließlich um die Zukunft des Kindes! (Karin Riss, 1.2.2018)