Es ist schwer, jenes wunderbare Gefühl zu beschreiben, das im Mund und Hals entsteht, wenn man gute Wontons isst. Da ist zunächst der herrliche Moment, wenn die dünne Teighülle platzt und sich der intensiv-würzige Fleischsaft aus seinem Inneren im Mund ausbreitet. Richtig gut wird es aber erst beim Schlucken. Wontons gehören zu den Teigtaschen, bei denen der Teig fast wichtiger ist als die Fülle: Sie sind so gefaltet und geformt, dass rund um die Füllung lange, extradünne Schleppen entstehen, die dem Gaumen ihres Essers auf ganz besondere Art schmeicheln und ihn streicheln.

Die nie um Fress-Poesie verlegenen Chinesen nennen sie wegen ihrer in der Suppe wabernden Hülle "Wolkenschwalben" (die Übersetzung von Wonton bzw. Wuntun), Fuchsia Dunlop vergleicht sie recht treffsicher mit "gefransten Goldfisch-Schwänzen", ich glaube, ich finde einen, sagen wir, Seidenschal appetitlicher.

Foto: Tobias Müller

Chinesische Teigtaschen zählen generell zu den größten kulinarischen Genüssen (es gibt nicht viel auf dieser Welt, was so gut ist wie die Krabben Xiaolongbao bei Linlonfang in Schanghai), die meisten von ihnen sind aber schwer selbst zu machen und eine Fitzelei – wer nicht 1.000 am Tag formt, kriegt sie nicht ordentlich hin, ganz abgesehen davon, dass der Aufwand für Haushaltsmengen in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht. Wontons aber sind die löbliche Ausnahme: Ihr Teig ist italienischer Pasta sehr ähnlich, und sie sind nicht schwerer zu formen als Tortellini – sogar feinmotorisch wenig begabte Menschen wie ich können sie daher relativ problemlos selbst frisch zu Hause machen.

Sie sind das Arbeitstier unter den Teigtaschen und am vielseitigsten einsetzbar. Es gibt sie von daumennagel- bis fast handflächengroß, mit Fleisch, Gemüse oder Tofu gefüllt, als Beilage oder Hauptgang, gekocht oder (dann weniger seidig) frittiert. In einer guten Suppe gehen sie leicht als komplettes Mittagessen durch, in chinesischen Städten gibt es kleine Läden, die nichts anderes servieren als frisch vor den Augen der Esser gefüllte Wontons in Brühe. Mir persönlich am liebsten sind sie aber trocken (sozusagen Wonton asciutta) mit Sichuan-Chiliöl: Das Öl macht ihren ohnehin schon seidigen Teig noch geschmeidiger, die Schärfe der Chilis und das Prickeln des Sichuan-Pfeffers sind ein wunderbarer Kontrast zur Wohlfühlkonsistenz. Ich lege zur Abrundung und Gaumenberuhigung noch ein wenig Grünzeug (etwa gedämpften Pok Choi) dazu.

Die allermeisten chinesischen Restaurants in Wien machen ihre Teigtaschen nicht selbst, sondern servieren tiefgekühlte Ware. Das liegt unter anderem daran, dass frische Teigtaschen einen Arbeits- und Personalaufwand bedeuten, der mit westeuropäischen Löhnen und Beschäftigungsgesetzen nur sehr schwer vereinbar ist. Auch eingefroren gibt es Passables (nehmen Sie im Asiamarkt die mit der handschriftlichen Bezeichnung am Sackerl), an richtig gute frische Ware kommt es aber trotzdem nicht heran. Die Australierin und ich haben uns daher ans Experimentieren gemacht.

Wenn Sie es uns gleichtun: Machen Sie unbedingt mindestens doppelt, besser dreimal so viele Wontons, wie sie gerade essen wollen. Sie lassen sich wunderbar einfrieren. Und wer selbstgemachte Wontons im Tiefkühler und Chiliöl im Kasten hat, hat in wenigen Minuten eine wunderbare Vorspeise oder ein noch wunderbareres Katerfrühstück.

Foto: Tobias Müller

Wontons selbst gemacht

Wir haben insgesamt vier verschiedene Rezepte für Füllung und Teig ausprobiert: jene aus Fuchsia Dunlops "Land of Plenty", Barbara Tropps "The Modern Art of Chinese Cooking" (vergriffen, antiquarisch erhältlich), Carolyn Philipps superem "All Under Heaven" und Dannie Bowiens wunderbarem "Mission Chinese Food Cookbook". Zum Vergleich haben wir noch im Asiashop tiefgekühlten Wonton-Teig gekauft (den nur aus Mehl und Wasser, siehe Foto).

Foto: Tobias Müller

Der Teig

Alle drei Damen setzen auf einen Teig, der italienischer Pasta sehr ähnlich ist, eine simple Mischung aus Mehl, Wasser und Eiern – wobei im Gegensatz zu den meisten italienischen Teigen mehr Wasser als Ei enthalten ist. Tropp aber staubt ihren Teig beim Ausrollen mehrmals mit Maisstärke ein – das macht einen riesigen Unterschied und verleiht ihm die spezielle, extraseidige Note (der Tiefkühlteig enthält statt Maisstärke Tapioka-Mehl, das einen ähnlichen Effekt hat, aber schwieriger zu besorgen ist.) Wir haben Tropps Teig auf der Pastamaschine auf die dünnste Stufe ausgerollt und waren höchst zufrieden: Er ist leicht zu machen, unkompliziert zu verarbeiten, und das Ergebnis ist superseidig.

Bowiens Teig ist, so wie seine Küche generell, ungewöhnlich. Er nimmt statt Wasser Weißwein, knetet geriebenem Parmesan mit hinein (eine Technik, die auch in Süditalien, vor allem an der Amalfiküste, verbreitet ist) und lässt die Eier weg. Das Ergebnis ist für sich genommen sehr geschmacksintensiv: Sowohl Käse als auch Wein sind deutlich bemerkbar. Weil die Füllung aber ohnehin sehr aromatisch ist, geht die Teigwürze im Endprodukt unter, und er ist generell weniger seidig als Tropps Version.

Foto: Tobias Müller

Der Tiefkühlteig ist, zugegeben, noch eine Spur dünner und seidiger, aber mühsamer im Handling (sehr dünn, reißanfällig, schwer zu kleben) und hat nicht den Körper und den guten Geschmack wie der frische Eierteig.

300 Gramm Mehl

130 ml Wasser

2 ganze Eier

Foto: Tobias Müller

Ergibt jede Menge Wonton-Teig. Die Zutaten in einer Schüssel mischen, bis ein fester Teig entsteht. Auf einer gemehlten Fläche ordentlich zehn Minuten kneten (wie Pastateig). Zu einem Ball formen, mit Sesamöl einölen, in Klarsichtfolie packen und mindestens eine Stunde rasten lassen.

Foto: Tobias Müller

Mit einer Pastamaschine auf die dünnste Stufe ausrollen. Zwischen jedem Rolldurchgang mit Maisstärke stauben. (Frau Tropp meint es besonders ernst und staubt sogar die Pastamaschine mit Maisstärke ein.)

Dann in Quadrate schneiden und nochmals stauben. Sie werden jetzt schon merken, wie die Maisstärke dem Teig eine ganz besondere Konsistenz verleiht. Die Größe der Quadrate ist Geschmacksache, bloß die quadratische Form ist wichtig, weil sie das Formen enorm erleichtert.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Die Füllung

Dunlop und Philipps füllen klassisch, Bowien extravagant. Beides ist sehr gut, Bowien ist noch besser. Weil er aber doch deutlich mehr und mitunter ungewöhnliche Zutaten verwendet, folgen zwei Varianten: seine und jene von Philipps, die meiner Meinung nach beste klassische.

Lassen Sie die Füllung idealerweise ein paar Stunden oder überhaupt über Nacht rasten: Die Gewürze ziehen besser durch, und das Salz bekommt Zeit, das Fleisch zu bearbeiten und für eine bessere Konsistenz zu sorgen.

Nach Carolyn Philipps

250 Gramm frisch faschierter Schweinebauch oder Schulter (lassen Sie sich ja kein fertig abgepacktes Supermarktfaschiertes andrehen!)

200 ml gute Hühnersuppe oder Schweinsfußfond

1 daumengroßes Stück Ingwer, geschält und klein geschnitten

1 großes Ei

2 Esslöffel helle Sojasauce

3 Esslöffel Shaoxing-Reiswein

2 Frühlingszwiebeln, klein gehackt

2 Esslöffel gutes geröstetes Sesamöl

Ordentlich frisch geriebener Pfeffer

Eine Prise Zucker nach Geschmack

Foto: Tobias Müller

Nach Danie Bowien

150 Gramm Hühnerfaschiertes (optional, geht auch nur mit Schweinebauch)

150 Gramm faschierter Schweinebauch

1 großes Ei

1 daumengroßes Stück Ingwer, klein geschnitten oder gerieben

1 Handvoll gehackter Koriander

1 Handvoll gehackte Frühlingszwiebeln

2 Hände voll gehackte Sichuan-Pickles (Gemüse, mit Chili, Sichuanpfeffer, Sternanis und Cadsiarinde milchsauer vergoren)

Ein wenig Zucker nach Geschmack

2 Esslöffel helle Sojasauce

2 Esslöffel gutes geröstetes Sesamöl

4 Esslöffel Fischsauce

2 Esslöffel Hoisinsauce

Fleisch und Gewürze und Ei mischen, dann für das Philipps-Rezept nach und nach (Tasse für Tasse) den Hühnerfond untermischen, bis er ganz im Faschierten aufgesogen wurde. Mindestens zwei Stunden, gern auch über Nacht kaltstellen.

Das Formen

Eine Tasse Wasser und die Füllung bereitstellen.

Mit Daumen und Zeigefinger einen Ring formen. Ein Teigquadrat darauflegen. Einen Finger in die Wassertasse tauchen und den Teig entlang des Daumen-Zeigefinger-Rings nass machen.

Foto: Tobias Müller

Etwas Füllung in die Mitte des nassen Rings legen, das Wonton auf den Tisch legen und zu einem Dreieck falten. Rund um die Füllung (dort, wo der Teig nass ist) zusammendrücken – es soll möglichst wenig Luft drinbleiben.

Foto: Tobias Müller

Die unteren beiden Ecken des Dreiecks zusammenbringen: eine Ecke nass machen und die andere daraufdrücken.

Foto: Tobias Müller

Die Füllung bei Bedarf ein wenig von unten eindrücken, sodass sich die Ecken besser zueinander führen lassen. Das Ergebnis erinnert optisch ein wenig an ein Boot. Je weniger Füllung und je mehr Teig, desto seidiger das Esserlebnis.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Die Saucen

Servieren Sie Ihre Wontons entweder in kräftiger Hühnersuppe (noch besser: Hahnsuppe, vielleicht bald einmal mehr dazu) oder mit Chiliöl. Sie können entweder im Chinashop Chilicrisps kaufen (Marke: Lao Gan Ma, erkennbar an der streng dreinblickenden Frau auf dem Label) oder es selbst machen. Ich empfehle Letzteres. Das Öl ist universell einsetzbar.

Mein Rezept dafür findet sich hier.

Das Kochen

Chinesen kochen Wontons traditionell nach der "Dreimal kochen"-Methode: Die Teigtaschen werden in kochendes Wasser geworfen. Wenn es wieder aufwallt, wird eine Tasse kaltes Wasser dazugegossen, dieser Prozess wird dreimal wiederholt – dann sind die Wontons gar. Wem das zu viel Aufwand ist: Wasser aufkochen, Wontons einlegen, wieder zum Sieden bringen, von der Hitze nehmen, drei Minuten warten tut's auch. Die tiefgekühlten Teigtaschen können gefroren ins Wasser geworfen werden.

Vorsichtig mit einem Schaumlöffel aus dem Wasser heben, möglichst viel Flüssigkeit abtropfen lassen und in Suppe oder mit Chiliöl und gedämpftem Pok Choi und frischem Koriander servieren. (Tobias Müller, 4.2.2018)

Foto: Tobias Müller

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