Aus der Entfernung, umwoben von Nebel und Kälte, erscheint das hektische Treiben des dieser Tage alles flutenden Carnevale di Venezia wunderbar im Nichts gefangen.

Foto: Lukas Friesenbichler

Italien bedeutet für nördlich von Venedig oder Triest geborene Menschen etwas ganz Besonderes. Italien ist seit Jahrhunderten verbunden mit dem Sinnbild des sagenumwobenen Arkadien. Und Venezia, la Serenissima, ist ein wahrer Sehnsuchtsort, ein realer, ein virtuoser, und trotz der surrealen Unwirklichkeit, die der Stadt innewohnt, kein virtueller – und das, schon lange bevor das Wort virtuell das bedeutete, was es heute bedeuten will.

Gerade in diesen Tagen, da der Sommer richtig weit entfernt ist, erbarmungslos und kalt, nimmt in den kargen Alpenregionen die undefinierbare Sehnsucht nach dem Süden zu. Mythenreich ergreift die Idee von Arkadien Besitz von uns, die wir von einer Welt in Frieden, Freiheit und Gleichheit träumen. Unter den ein Elysium idyllischen Lebens beschwörenden Künstlern befanden sich Honoré d'Urfé, Botticelli, Goethe, Parmigianino, Cervantes, Giacomo Casanova et alii.

Arkadien, bisweilen fast kitschig

Auch heute lässt Arkadien grüßen. Jeder trägt sein persönliches Paradies, sein Ideal in sich. Der Idee dieses Ideals nähert sich fotografisch Serge Ramelli. In melancholischen Perspektiven versucht er die Seele Venedigs einzufangen. Obwohl keinerlei Menschen auf seinen Fotos sind, ist ihr Leben spürbar. Bestechend sind Ramellis Nachtaufnahmen, seine im Abseits, in kleinen Seitengassen, in schmalen Kanälen verorteten Fassaden. Hier wird der fragile Charme désolé der dem Untergang geweihten Stadt spürbar.

Bisweilen droht Ramelli farbig ins Kitschige abzugleiten. Die Gefahr besteht ja bei allen Venedig-Fotos. Schön wäre, wenn Ramelli wieder zu seinen atmosphärisch dichten, aus der Zeit gefallenen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zurückkehren würde. Dennoch lohnt die Reise – wie jede Visite Venedigs. (Gregor Auenhammer, 9.2.2018)