Marmorkrebse wurden in den 1990er-Jahren in Aquarien entdeckt und erobern nun Gewässer von Deutschland bis Japan – und zwar ohne Männchen.
Foto: Ranja Andriantsoa

Heidelberg/Wien – Es ist eine der jüngsten Tierarten dieses Planeten – und dazu eine der invasivsten: Marmorkrebse tauchten erstmals in den 1990er-Jahren als leicht zu haltende Aquarientiere auf, wo man sie auch als neue Art entdeckte. Mittlerweile haben sie Gewässer in sehr verschiedenen Weltgegenden erobert: Die Flusskrebsart kommt unter anderem in Deutschland, Schweden, Italien, Madagaskar oder Japan in freier Wildbahn vor und entwickelt sich dort zur Plage. Ein Ende der Welteroberung ist nicht absehbar.

Entstehung vor 30 Jahren

Forscher um Frank Lyko vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg haben anhand von Genomanalysen die Evolution der Tiere rekonstruiert, die eine ungeschlechtliche Art der Everglades Sumpfkrebse sind, wie man schon etwas länger weiß. Ganz genau konnte man ihre Entstehung zwar nicht ermitteln, "Urmutter" dürfte aber ein Marmorkrebs sein, der vor 30 Jahren lebte und sich durch Jungfernzeugung (also ohne Männchen) vermehrte.

Eientwicklung beim Marmorkrebs.
Marbled Crayfish

Wie der Genomvergleich von elf Tieren zeigte, dürften alle heute lebenden Nachkommen genetisch quasi identische Klone sein, berichten die Forscher im Fachblatt "Nature Ecology & Evolution". Die genetischen Abweichungen sind jedenfalls extrem gering. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Tiere in so unterschiedlichen Gegenden wie Madagaskar oder dem Schwarzwald in Deutschland wohlfühlen.

Anözoon und Neobiota

Wissenschaftlich betrachtet sind Marmorkrebse als Zuchtprodukte ein Anözoon, also eine neue Art (Neozoon), dessen Entstehung vom Menschen befördert wurde. Und sie gehörten zudem zu den gefährlichsten Neobiota: Im Zwölf-Wochen-Rhythmus können die Tiere bis zu 700 Eier produzieren. Der Lebensraum der Krebse auf Madagaskar etwa hat sich dadurch innerhalb von zehn Jahren von 1.000 auf 100.000 Quadratkilometer ausgedehnt.

Parthenogenese als Erfolgsstrategie: Die Klone der Flusskrebsart vermehren sich explosionsartig und sind zugleich sehr anpassungsfähig.
Foto: Ranja Andriantsoa

Diese schnelle Ausbreitung ist umso erstaunlicher, zumal die genetisch identischen Krebse eine große Anpassungsfähigkeit bewiesen. In Deutschland sind die Tiere beispielsweise sowohl in Badeseen mit sehr hohem als auch in solchen mit sehr niedrigem pH-Wert zu finden. Eine solche Verbreitung ließe eigentlich genetisch angepasste Subspezies erwarten, doch genau das ist beim Marmorkrebs eben nicht der Fall.

Vom Flusskrebs zu Krebszellen

Was aber ist es dann, was die enorme Ausbreitung der rund zwölf Zentimeter langen Tiere ermöglichte?

Laut Frank Lyko machen das die Tiere mit Hilfe sogenannter epigenetischer Mechanismen. Dabei lagern sich im Laufe des Lebens kleine Schalter an die Erbgutstränge, die Gene ein- oder ausschalten. Und das wiederum könne die Erforschung des Marmorkrebses auch wegweisend für das Verständnis von Tumoren machen, ist Lyko überzeugt, der die Abteilung Epigenetik am DKFZ leitet.

Denn ähnlich wie beim Marmorkrebs hätten auch Krebszellen ihren Ursprung in einer einzelnen Zelle. Und beide breiten sich durch Teilung rasant aus. Wie dieser Prozess aber genau funktioniert und welche Implikationen er für das Wachstum eines Tumors habe, sei noch nicht geklärt. Womöglich kann ein Krebs dabei helfen. (tasch, 5.2.2018)