Im Dezember hat sich Wolfgang Brandstetter aus der Regierung verabschiedet

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Nun könnte Brandstetter mit Unterstützung von ÖVP-Chef Sebastian Kurz einer von 14 Richtern beim VfGH werden

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SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim plädiert für eine zweijährige Cooling-off-Phase für Politiker.

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Neos-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak wirft der Regierung ein intransparentes Vorgehen vor.

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Für Alfred Noll von der Liste Pilz fehlt Brandstetter das verfassungsrechtliche Know-how

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Wien – Man muss fast 100 Jahre zurückgehen, um ähnliche Fälle zu finden. Zuletzt gab es in der Ersten Republik direkte Wechsel aus der Regierung in den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Michael Mayr war zunächst ab November 1920 Bundeskanzler der neuen Republik Österreich, ehe er 1921 zum Höchstrichter bestellt wurde. Zur gleichen Zeit wurde auch Justizstaatssekretär Rudolf Ramek Richter, später war dieser sogar gleichzeitig Nationalratsabgeordneter und VfGH-Richter.

Mit Wolfgang Brandstetter könnte nun wieder jemand mehr oder weniger volley aus der Regierung in das Höchstgericht wechseln. In Koalitionskreisen gilt es als ausgemacht, dass der 60-Jährige, der bis Dezember Justizminister und zuletzt auch Vizekanzler war, von Türkis-Blau vorgeschlagen wird. Aus rechtlichen Gesichtspunkten gibt es keine Einwände dagegen. Die Verfassung schreibt heute nur vor, dass Präsident und Vizepräsident des VfGH in den vergangenen fünf Jahren nicht Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments gewesen sein dürfen. Für die zwölf "einfachen" Richter gibt es keine Cooling-off-Phase.

Bedenken im VfGH

Bei etlichen Richtern des Verfassungsgerichtshofs stößt der Brandstetter-Plan aber auf völliges Unverständnis. Der Ex-Minister habe jahrelang in der Justiz und über Gesetze bzw. Gesetzesvorhaben (mit)bestimmt. Dass er als VfGH-Richter die damalige Regierung kontrollieren solle, sei "von der Optik her ein Wahnsinn", meint etwa ein Jurist. Er hielte die Bestellung Brandstetters für "alles andere als glücklich", aus etwaigen Befangenheiten könnten "unangenehme Situationen" entstehen.

Die Frage sei etwa, ob sich Brandstetter bei jeder Gesetzesprüfung, die Materien aus seiner Ministerzeit betrifft, als befangen erklären müsste, meint ein anderer VfGH-Jurist. Das Ganze habe jedenfalls einen "üblen Beigeschmack" und bereite "keine Freude". Zudem thematisieren Kritiker die Parteinähe des Ex-Ministers. "Ich möchte nicht, dass wir mit Leuten an einem Tisch sitzen, die ständig ihr rotes Telefon mit direktem Draht zum Kanzler in der Tasche haben", formuliert es ein Verfassungsrechtler zugespitzt. Ein anderer meint nur etwas ätzend: "Da freut sich das Ersatzmitglied, das viel zu arbeiten bekommen wird" – nämlich immer dann, wenn Brandstetter an einer Causa wegen Befangenheit nicht mitarbeiten darf.

Problem mit Frauenquote

Thematisiert wird im Verfassungsgerichtshof angesichts der Besetzungspläne der Regierung auch die Frauenquote im Höchstgericht. Die frei werdenden Stellen werden ausschließlich von Männern nachbesetzt. Brigitte Bierlein rückt zwar von der Vizepräsidentin zur ersten VfGH-Präsidentin in der Geschichte auf – aber das nur für zwei Jahre, weil sie dann, mit 70 Jahren, ausscheiden muss. Ihr nachfolgen wird dann wohl der jetzt 52-jährige Universitätsprofessor Christoph Grabenwarter, der nun zum Vizepräsidenten aufsteigen dürfte.

ÖVP und FPÖ wollten sich am Montag auf Anfrage nicht zur Causa äußern. Die anderen Parlamentsparteien hätten mit einem VfGH-Richter Brandstetter jedenfalls keine Freude. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim wäre angesichts dieses Falles für strengere Unvereinbarkeitsbestimmung. "Zwei Jahre Cooling-off für das Höchstgericht hielte ich für angemessen", sagt er, der bei einem sofortigen Wechsel Brandstetters befürchtet, dass diesem die für das Amt "notwendige Objektivität" fehle.

Noch viel größere Bedenken als gegen den Ex-Vizekanzler hat Jarolim aber gegen FPÖ-nahe Kandidaten, die als neue Verfassungsrichter kolportiert werden (mehr dazu hier). Es brauche Richter, die "ein breites Feld an unterschiedlichen gesellschaftlichen Strömungen abdecken", Vertreter "schlagender Verbindungen fallen aus meiner Sicht aber nicht nur aufgrund der jüngsten sattsam bekannten Entwicklungen nicht darunter", so der SPÖ-Politiker.

"Schiefe Optik"

Neos-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak will Brandstetter zwar nicht die Qualifikation absprechen, wirft der Regierung aber vor: "Wenn man nicht transparent macht, warum man eine Entscheidung getroffen hat, ist es schwierig, eine schiefe Optik zu vermeiden." Bevor er nach Gesetzesänderungen rufe, möchte er sich zwar den Fall noch näher ansehen, Scherak meint aber: "Spontan fällt mir keine Erklärung ein, warum es für Präsidenten und Vizepräsidenten andere Regeln geben soll als für normale VfGH-Richter."

Alfred Noll, im Zivilberuf Rechtsanwalt und Justizsprecher der Liste Pilz, hat einen anderen Zugang. Er hält grundsätzlich nichts von Cooling-off-Phasen, denn: "Es gibt Leute, die noch nie in der Politik waren und Vasallendienste leisten. Und umgekehrt gibt es Leute, die aus der Politik kommen und trotzdem unabhängig sein können." Am Strafrechtler Brandstetter störe ihn auch nicht, dass dieser zuvor Minister war, sondern: "Ich weiß von ihm nur, dass er mit Verfassungsrecht zeitlebens nichts zu tun hatte." (Renate Graber, Günther Oswald, 6.2.2018)